Bill Williams, der ein solches Verlangen sehr wohl hatte, spürte, wie die Kampfbereitschaft der Direktion abflaute, und wie immer, wenn er sich durchgesetzt hatte, ließ auch seine eigene Feindseligkeit nach. Die Schutzschilde sinken zu lassen ist tödlich, hatte man ihn oft gewarnt, aber er hatte noch nie den Bogen raus gehabt, einen am Boden liegenden Feind zu treten. Mit einer jähen Gebärde erhob er sich vom Stuhl der Direktion und strebte der frischen Nachtluft und dem Pfad durch den Rosengarten und der blauen Polstermatratze seines Kahns entgegen.
Er wechselte seine Kleider, schlug die Regenschutzbaldachine des Kahns zurück und blickte von seinem Schlafsack aus in den trockenen, klaren Himmel hinauf. Er wußte, daß er jede Chance verloren hatte, den Daily Troubadour zu leiten. Statt zu schlafen, verbrachte er die Nacht damit, in Gedanken wieder und wieder die Demütigungen nachzuvollziehen, die man ihm unverdientermaßen zugefügt hatte, und sein eigenes Unvermögen, öffentlich Theater zu machen. Und hätte das Theater ihm den Troubadour eingetragen? Hätte ein solches Verhalten sich nicht eher in eine Geschichte verwandelt, die unter höhnischem Gelächter zum besten gegeben wurde, während der Abend, so wie er gelaufen war, Mrs. Robin Dawkins sicherlich als eine neue Waffe in diesem gegenseitigen Vernichtungskrieg dienen würde, weil er ihre vorgefaßte Meinung bestätigt hatte?
Er gab sich Phantasien über eine geziemende Rache hin und bezweifelte gleichzeitig seine Fähigkeit, etwas Derartiges in die Tat umzusetzen. Als Ex-Chefredakteur konnte er den Restaurantkritiker nicht dazu bewegen, eine Vernichtungskampagne zu starten: Es war derselbe Kolumnist, der dem jüngst eröffneten Restaurant eine Bombenkritik geschrieben hatte. Als Mister Normalbürger konnte er vor sich hin wüten, ohne daß das Mainstream Mile es auch nur einen Bruchteil seiner schlaflosen Nacht kostete.
Die Dämmerung bescherte ihm keine süßen Träume. Bei hellem Tageslicht konnte man ihn sehen, wie er den Kahn auf Hochglanz brachte, obwohl ihm seine Reise keinen Spaß mehr machte. In der nächsten Stadt flußabwärts würde er die Lechlade-Leute anrufen, damit sie ihr Boot holen kamen.
Über den Weg durch den Rosengarten kam derselbe, dunkel beanzugte Kellner wie am Vortag, wenn auch diesmal ohne den federnden Schritt und das Grinsen im Gesicht.
«Die Direktion«, sagte er,»lädt Sie zu einem Kaffee ein.«
«Kaffee?«
«In der Bar.«
Er wandte sich ab und ging, ohne auf eine Antwort zu warten.
Bill Williams hätte auch nicht gewußt, was er hätte antworten sollen. War Kaffee ein Olivenzweig? Eine Entschuldigung? Ihm stand nicht der Sinn danach, etwas Derartiges anzunehmen. Konnte der Kaffee aber vielleicht das Vorspiel zu der Stornierung seiner Kreditkartenbelastung sein? Hatte die Direktion befunden, daß er für die abscheuliche Behandlung nicht auch noch bezahlen sollte?
Hatte die Direktion nicht. Es war keinesfalls das Geld, das Bill Williams erzürnte, da sein abrupter Hinauswurf aus der Voice die neuen Besitzer mehrere Nullen gekostet hatte. Er betrat das Restaurant in der Absicht, eine Entschädigung widerwillig zu akzeptieren, bekam aber nicht einen einzigen Cent angeboten.
Er ging in die Bar, die um die Frühstückszeit dunkel und mit geschlossenen Fensterläden vor ihm lag. Ein Kellner kam langsam herbei und stellte auf einen der kleinen Tische ein Tablett mit einer Tasse und einer Untertasse, einem Milchkännchen, Zucker und einer Porzellankanne mit Kaffee.
Und das war alles. In kaltem Staunen trank Bill Williams zwei einsame Tassen zugegebenermaßen guten, starken Kaffees. Niemand kam in die Bar. Niemand sagte irgend etwas.
Wenn der Kaffee ein Olivenzweig war, so war er gleichzeitig auch eine Beleidigung.
Als er die zweite Tasse geleert hatte, erhob Bill Williams sich von seinem kleinen Tisch, ging durch den Raum und öffnete die Ausgangstür, die durch eine kleine Halle zu dem Parkplatz draußen führte. Über der Eingangstür eines jeden Lokals in Großbritannien, dem es gestattet war, alkoholische Getränke auszuschenken, mußte von Gesetzes wegen der Name des Lizenzinhabers geschrieben stehen. Bill Williams ging, ohne einen klaren Vergeltungsplan zu haben, hinaus, um wenigstens den Namen zu lesen, der hinter dem Affront stand.
Der Name über der Eingangstür des Mainstream Mile lautete Pauline Kinser.
Kinser. Ein Zufall, aber doch merkwürdig. Bill Williams kehrte wieder in die Bar zurück und fand sie diesmal nicht leer vor. Die Direktionsdame vom vergangenen Abend stand dort, begleitet von vier ihrer Angestellten. Sie standen steif da — Leibwächter —, aber auch wachsam, damit die Dame sie nicht für ihr Benehmen tadeln konnte.
«Sind Sie«, fragte Bill Williams die Dame langsam,»Pauline Kinser?«
Sie nickte widerstrebend.
«Bekomme ich eine Entschuldigung für gestern abend?«
Sie sagte nichts.
Er fragte:»Kennen Sie jemanden mit Namen Dennis?«
Bill Williams war sich einzig einer sich vertiefenden Stille bewußt. Pauline Kinser starrte ihn düster an, und in ihren Augen war nicht der geringste Anflug eines Schuldeingeständnisses zu lesen. Er zitterte, so heftig war der primitive Impuls, der in ihm aufwallte; am liebsten hätte er sie gegen die Wand geschleudert und mit Drohungen zum Sprechen gebracht. Was ihn daran hinderte, war nicht Barmherzigkeit, sondern der Gedanke an Handschellen.
Pauline Kinser war erleichtert, ihren schwierigen Gast zu seinem Kahn zurückkehren und flußabwärts davonfahren zu sehen, und sie glaubte, damit sei die Sache erledigt. Sie erwähnte diesen Vorfall, der in ihren Gedanken mit dem Etikett» unerfreulich «abgetan war, nicht einmal, als ihr Neffe Dennis Kinser zu einer ihrer regelmäßigen Geschäftsbesprechungen vorbeikam. Dennis Kinser, der schon immer eine goldene Zunge besessen hatte, hatte seine unverheiratete Tante zuerst überredet, ihr Haus zu verkaufen und das Restaurant zu eröffnen, und es dann mit einer Hypothek belegt, um sich als Rennpferdtrainer etablieren zu können. Seine Tante Pauline sträubte sich dagegen, den Erlös aus dem Verkauf ihres Hauses direkt in einen Rennstall fließen zu lassen, da sie Pferde nicht mochte. Davon abgesehen konnte Dennis in ihren Augen nichts falsch machen. Dennis war derjenige, der die bequemen Stühle im Restaurant und das hübsche Porzellan ausgesucht, sie mit Kaftans ausstaffiert, die Zeitungskolumnisten hergelockt und mit Perfektion geblendet hatte, und es war auch Dennis gewesen, der die Regel aufgestellt hatte, nach der Boote nicht zugelassen wurden.
«Londoner Restaurants weisen Kunden, die sie nicht haben wollen, einfach ab«, hatte er seiner Tante erklärt.»Und ich möchte nicht, daß vulgäre Mietboote unseren Pier verstopfen und uns Krethi und Plethi ins Haus bringen.«
«Nein, Dennis«, sagte seine Tante getreulich, da sie die Vernunft seiner Worte einsah.
Ihr Neffe erfuhr die Sache mit dem Kunden in dem Kahn von den Kellnern in der Küche, und da ihre ausweichenden Rechtfertigungsversuche ihn mit einem vagen Unbehagen erfüllten, fragte er seine Tante, was geschehen sei.
Dennis Kinser war nur mäßig bestürzt. Wie groß das Unrecht auch sein mochte, das man ihm angetan hatte, ein einziger mißgestimmter Gast konnte ein sagenhaft erfolgreiches Unternehmen kaum ruinieren.
«Dieser Typ mit dem Kahn«, sagte er, als er die Rechnungsbücher durchblätterte,»hat hier wirklich einen Tisch reservieren lassen?«
«Ja, hatte er.«
«Dann hättest du ihn ordentlich bedienen lassen sollen, genau wie alle anderen Gäste auch.«
«Aber du sagtest doch, keine…«
«Ja, ja, aber benutz doch deinen Verstand.«
Pauline Kinsers Reservierungsbuch lag aufgeschlagen auf dem Tisch. Dennis Kinser warf einen Blick darauf und fragte:»Welche Reservierung gehört zu dem Mann mit dem Kahn?«
«Die da. «Seine Tante zeigte auf die entsprechende Stelle.