«Die erste für gestern abend. Williams, vier Personen, acht Uhr. Wir haben natürlich auch seine Telefonnummer notiert.«
Dennis Kinser warf einen Blick auf die Telefonnummer, und sein ganzer Körper zuckte. Er kannte diese Nummer. Er konnte es nicht glauben. Wollte es nicht glauben. Er riß das Telefon seiner Tante heftig zu sich herüber, drückte auf die Knöpfe und lauschte der Frau, die am anderen Ende sagte: »Cotswold Voice, guten Morgen.«
Halb sprachlos bat Dennis Kinser, mit dem Rennsportredakteur verbunden zu werden, der wie gewöhnlich mit seinem Stuhl schaukelte und sich die Fingernägel saubermachte.
«Williams?«fragte der Rennsportredakteur.»Klar, natürlich kenne ich den. Der war früher unser Chefredakteur. Und ein verdammt guter, obwohl ich ihm das nie gesagt hätte. Ihm ist es zu verdanken, daß du die ganze Publicity für deine Renngemeinschaften und so weiter bekommen hast. Er hat mich beauftragt, dich zu interviewen, an dem Tag, an dem wir den Fotografen für die Bilder da hatten. Was willst du von ihm?«
«Ich… ähm… ich wollt’s nur mal wissen. «Dennis Kinsers Kehle fühlte sich an, als hätte er Leim getrunken.
«Leg dich besser nicht mit ihm an«, sagte der Rennsportredakteur, und sein Tonfall enthielt eine halbernste Warnung.»Er mag ja klein und harmlos aussehen, aber wenn er wütend ist, greift er an wie eine Klapperschlange.«
Dennis Kinser, der sich ein wenig benommen fühlte, schluckte und sprach als nächstes mit dem Restaurantkritiker, der den Souffles seiner Tante Pauline mit seinen Lobgesängen den nötigen Aufwind gegeben hatte.
«Williams?«sagte der Restauranttyp.»Er hat mich immer gerne Rezepte machen lassen. Der neue Chefredakteur hat einen Chips-und-Ketchup-Komplex. Bill Williams hat mich gefragt — na ja, wahrscheinlich hat er einen Witz gemacht, aber er fragte mich, wohin er drei Geschäftsleute zum Essen einladen solle, die über seine ganze Zukunft entscheiden könnten, also habe ich ihm das Restaurant Ihrer Tante empfohlen, und ich weiß, daß er auf der Stelle da angerufen hat.«
Dennis Kinser legte den Hörer auf, während sein ganzes Gehirn wie ein Mantra immer wieder dieselben Worte wiederholte:»O mein Gott, o mein Gott.«
«Was ist los?«fragte seine Tante.»Du bist ja ganz blaß geworden.«
«Dieser Mann, Williams…«Dennis Kinsers Stimme klang erstickt.»Was hast du zu ihm gesagt, um die Sache wieder geradezubiegen?«
Pauline Kinser zog die Stirn kraus.»Ich hab ihm einen Kaffee spendiert.«
«Kaffee! Und eine demütige Entschuldigung? Und die Rückerstattung seines Geldes? Und einen Gang nach Canossa, wie man ihn in diesem Jahrhundert noch nicht gesehen hat?«
Verwirrt schüttelte sie den Kopf.»Bloß Kaffee.«
Ihr erschrockener Neffe schrie sie an:»Du dämliches Weibsbild. Du verfluchtes, dämliches Weibsbild. Dieser Mann wird einen Weg finden, uns beide in den Bankrott zu treiben. Er schreibt für Zeitungen. Und ich stehe in seiner Schuld… bei Gott, ich stehe in seiner Schuld… und für gestern abend wird er uns ruinieren.«
Seine Tante sagte störrisch:»Es ist alles deine Schuld. Du warst es, der gesagt hat, wir sollen keine Boote annehmen.«
An diesem Nachmittag hielt in London die Lionheart News Group ihre monatliche Routinesitzung ab, eine Versammlung, bei der sich die drei sich befehdenden Eigentümer, die geschäftsführenden Direktoren sämtlicher Zeitungen und Zeitschriften des Konzerns sowie verschiedene Finanzberater trafen. Zu dieser Art von Zusammenkunft wurden niemals Redakteure oder Journalisten eingeladen: Für Mrs. Robin Dawkins — die als Vorsitzende fungierte — waren diese Leute lediglich untere Chargen, bezahlte Dienstboten.
Mrs. Dawkins behandelte die dringende Notwendigkeit, einen neuen Chefredakteur für den Daily Troubadour zu finden — der vierte Punkt auf der Tagesordnung —, als fehle ihr noch ein Butler. Solange er seinen Platz kannte und, im übertragenen Sinne, sich gut darauf verstand, das Silber in makellosem Zustand zu halten, konnte sie seine nachmittägliche Vorliebe für Portwein übersehen. Die bestürzten Direktoren versuchten taktvoll darauf hinzuweisen, daß die Schwäche des gegenwärtigen Chefredakteurs für
Portwein am Nachmittag drei Viertel des Problems ausmachte.
Russell Maudsley trug mit großem Nachdruck vor, daß Absalom Williams, Ex-Chefredakteur der Cotswold Voice, den sie zunächst in Erwägung gezogen hatten, keine weitere Beachtung verdiene, und F. Harold Field erklärte gar mit noch größerem Nachdruck, daß Absalom Williams mit seinen dreiunddreißig Jahren zu jung sei, zu viele akademische Abschlüsse habe und sich überdies nicht durchsetzen könne.
Mehrere Direktoren hielten den Atem an, nicht zuletzt die tüchtige, aber unauffällige Geschäftsführerin des Daily Troubadour, die aus Erfahrung wußte, daß Field und Maudsley nur gegen eine Maßnahme zu sein brauchten, damit Mrs. Robin Dawkins sich plötzlich dafür aussprach. Als Mehrheitsaktionärin würde sie darauf bestehen, und die beiden Männer würden die Achseln zucken und nachgeben.
Die Geschäftsführerin des Daily Troubadour wußte, daß die meisten großartigen Chefredakteure mit Mitte Dreißig an die Spitze kamen: daß sie wie Orchesterdirigenten das gewisse Etwas hatten oder es nicht hatten. Sie hörte sich an, wie Mr. Field sich bei Mrs. Dawkins darüber beklagte, daß Williams überdies nicht einmal schreiben könne, und dann las sie einen Teil von nur einem der fotokopierten Blätter, die F. Harold lustlos aus einem Aktenordner gezogen und auf dem Tisch verteilt hatte, und spürte darin die unvermittelte Wucht von Williams’ sprühendem Talent. Der Mann konnte nicht schreiben? Das war das Beste, was ihr je unter die Augen gekommen war.
Als die Geschäftsführerin aufblickte, sah sie, daß F. Harold Field sie beobachtete. Er lächelte. Er will diesen Absalom, dachte sie.
An eben diesem Nachmittag verschlimmerte sich Dennis Kinsers anfängliche explosive Wut auf seine Tante zu etwas äußerst Schmerzhaftem, wie es etwa Verbrennungen durch Senfgas sind. Er saß an ihrem Schreibtisch, die Ellbogen aufgestützt, den Kopf in die Hände vergraben, und suchte nach einem Ausweg aus dem Treibsand seiner Schuld.
Seine Tante murmelte mit monotonem Regelmaß: »Du warst es, der gesagt hatte, keine Boote.«
«Halt den Mund.«
«Aber.«
«Zum Teufel mit den Booten«, sagte Dennis Kinser aufgebracht, und seine Tante, die in einem Kaftan nach Dennis’ Wahl — einem Gemisch aus Blau, Silber und Purpur — geradezu königlich wirkte, zog sich verletzt zurück und weinte in dem winzigen Wohnzimmer vor sich hin, in dem alles stand, was ihr von ihrem früheren Heim übriggeblieben war. Alles andere hatte sie Dennis gegeben. Sie konnte seinen Ärger nicht ertragen. Sie mochte keine Pferde. Sie haßte den Mann mit dem Kahn.
Dennis Kinsers Machenschaften gründeten zwingend auf dem Gedeihen des Mainstream Mile, des letzten Schreis der Region. Trotz der goldenen Superlative des Rennschreibers der Voice hatte es bisher bei weitem nicht genügend erfolgversprechende Anfragen für die Samstag-nachmittags-Couch-Eignergemeinschaften gegeben, um auch nur eine kurze Boxenreihe mit Pferden belegen zu können, ganz zu schweigen den gesamten glanzvollen Stall, nach dem es ihn verlangte. Um der Lizenzbehörde des Rennsports weiszumachen, daß er die erforderlichen zwölf Pferde in seinem Stall stehen hatte, hatte er ein paar erfunden und andere humpelnd von den Weiden herbeischaffen lassen, wo sie ihr Gnadenbrot erhielten; und in einem Anfall von typischer Selbstüberschätzung hatte er versprochen, ein Hürdenrennen über 3200 Meter für den Renntag in Marlborough zu sponsern — den Kinser Cup. Der Ruhm würde schon folgen. Reiche Besitzer würden beeindruckt sein, in seinem Restaurant essen und ihm dutzendweise Pferde schicken. Ruhm und Reichtum zogen Ruhm und Reichtum an. Er hatte es gesehen. Er, Dennis Kinser, würde beides haben.