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Johnnie Duke sah ihn völlig überrascht an.»Warum holen wir uns nicht gute, schnelle Rennpferde?«wollte er wissen.

«Sie lassen sich zu leicht identifizieren. Dafür sorgen Tätowierung und Registrierung. Aber Fohlen! Neugeborene Fohlen. Wer will da sagen, welches welches ist? Also nehmen wir uns eine erstklassige Stute, die von dem besten Deckhengst tragend ist, und wir bringen sie ein ganzes Stück weit weg und verkaufen sie am Ende der Reise an einen Besitzer oder Trainer, der froh ist, ein fabelhaftes Vollblutfohlen für den Bruchteil dessen zu bekommen, was es ihn bei einer Auktion gekostet hätte.

Das hochkarätige Fohlen wird bald nach der Geburt mit irgendeinem anderen vertauscht, das gerade zur Hand ist, eingetragen und unter seiner neuen Identität tätowiert. Sein neuer Besitzer weiß, was er bekommen hat. Also wird er es, wenn es für die Rennen zu alt ist, zur Zucht behalten. In der Vergangenheit haben einige meiner Klienten Millionen an diesen Fohlen verdient. Ich bin immer mit einem kleinen Prozentsatz beteiligt.«

Johnnie Duke hörte ihm mit offenem Mund zu.

«Das ist kein normaler Diebstahl«, sagte Martin Retsov mit einem gewissen Stolz.»Das ist, als würde man die Mona Lisa stehlen.«

«Aber was passiert anschließend mit der Zuchtstute? Und mit dem anderen Fohlen?«

«Einige meiner Klienten haben ein Gewissen. Bei denen hole ich gegen ein kleines Entgelt die Stute und das Fohlen ab und setze sie auf irgendeinem geeigneten Feld ab. Wenn der Besitzer des Feldes ehrlich ist, wird die Stute identifiziert und nach Hause geschickt.«

Johnnie Duke fragte nicht, was passierte, wenn der Klient kein Gewissen hatte. Er schluckte.

«Haben Sie bereits einen Käufer für die zwei, die wir morgen holen?«fragte er.

«Natürlich. Man stiehlt nicht aufs Geratewohl einen Leonardo da Vinci. «Martin Retsov lachte über den Gedanken und entblößte eine Reihe kräftiger Zähne.»Wenn wir die Stuten haben, sage ich dir, wo du sie hinbringst. Du wirst allein fahren. Und du wirst mit dem Geld zurückkommen.«

Wieder war Johnnie Duke überrascht.»Können Sie mir vertrauen?«fragte er.

«Das will ich herausfinden.«

Als es am nächsten Abend dämmerte, holten sie den kürzlich gekauften Wagen und koppelten den Anhänger an. Martin Retsov hatte Schwierigkeiten, das Gespann in dem kleinen Garagenhof zu parken, und Johnnie Duke trat hinter den Anhänger, um ihm zu zeigen, wieviel Platz er hinter sich noch hatte.

«Verschwinde da hinten!«sagte Martin Retsov scharf.

«Geh sofort da weg. «Er stieg aus, und Johnnie Duke sah, daß er zitterte.

«Ich wollte nur…«:, begann er.

«Du wirst nie wieder hinter den Anhänger gehen. Verstanden? Niemals.«

«Ist ja schon gut. Wenn Sie es sagen.«

Martin Retsov holte mehrmals tief Luft und wischte sich die Handinnenflächen an seiner Hose ab. Die Wucht seiner eigenen Reaktion entsetzte ihn. Drei Jahre, dachte er, hatten das Grauen keineswegs abgemildert. Er fragte sich, ob er nicht das Projekt abblasen sollte, wenn seine Nerven so bloß lagen. Er fragte sich, ob die Tatsache, daß er drei Jahre gebraucht hatte, um wieder ins Geschäft zu kommen, vielleicht bedeutete, daß er tief im Innern Angst davor hatte.

Er leckte sich die Lippen. Sein Herzschlag beruhigte sich. Diesmal würde es keinen Hinterhalt geben, wenn er die Pferde holte. Das letzte Mal hatte sein angeblicher Kunde ihn an die Polizei verraten, aber diesmal war die Sache absolut sicher. Dieser Kunde hatte in der Vergangenheit drei erstklassige Fohlen gekauft und war hocherfreut gewesen zu erfahren, daß er noch zwei weitere bekommen könnte. Martin Retsov schob sich wieder in den Wagen, und Johnnie Duke stieg neben ihm ein.

«Was ist los?«fragte Johnnie.

«Ich habe einmal einen Unfall mit angesehen. Ein Mann ist hinter einem Pferdeanhänger gestürzt.«

«Oh.«

Martin Retsov schloß den Mund vor den unbeschreiblichen Einzelheiten, aber sie spulten sich unausweichlich in seinen Gedanken ab. Der Hinterhalt. Polizeischeinwerfer, die plötzlich aufleuchteten, bevor sein Vater wieder sicher neben ihm in der Fahrerkabine des Pferdetransporters saß. Er hatte ein oder zwei Meter zurücksetzen müssen, um durch die einzige Stelle zwischen den Polizeiwagen und dem Zaun durchbrechen zu können. Er hatte den Schalthebel nach vorne gestoßen, mit voller Wucht auf das Gaspedal getreten und war zurückgeschossen — er würde niemals den Schrei seines Vaters vergessen. Niemals.

Nur ein einziger Schrei, der jäh verstummte. Er war aus dem Wagen gesprungen und hatte den Reifen gesehen, der sich in den Bauch drückte, das Blut, das aus dem Mund des Sterbenden sickerte… und den anderen Mann, den Polizisten, der daneben stand und hinunterblickte und nichts tat, um zu helfen.

«Helfen Sie ihm!«hatte Retsov verzweifelt gesagt.

«Helfen Sie ihm doch selbst.«

Er rannte zurück zum Wagen, stieg, von Panik überwältigt, auf den Fahrersitz und wußte, noch während er mit einer körperlosen Hand den Schalthebel durchdrückte, daß sein Vater tot war.

Tot. Jenseits aller Hoffnung auf Hilfe, auf Rettung, auf irgend etwas.

Er ließ den Pferdetransporter von dem zerquetschten Körper herunterrollen und fuhr einfach weiter. Das überraschte die Polizei. Er fuhr den Pferdetransporter mit hundert Stundenkilometern zwei Kilometer weit, und lange bevor sie ihn eingeholt hatten, hatte er ihn stehengelassen und war im Wald verschwunden.

Die Polizei kannte seinen Namen nicht, da er ihn seinen Kunden klugerweise niemals offenbarte. Alles, was die Polizei hatte, war ein einziger kurzer Eindruck von ihm in extremis, was nicht ausreichte, und zu guter Letzt hatten sich Ausweichmanöver und Flucht als die geringsten seiner persönlichen Probleme erwiesen.

Er hatte nie das Gesicht des Polizisten vergessen, der auf seinen Vater hinunterblickte. Ein ranghöherer Polizist mit Autorität und Abzeichen. Er sah ihn nur allzu oft in seinen beklommenen Träumen.

Martin Retsov schüttelte die furchtbare Vergangenheit ab und wandte seine Konzentration dem bevorstehenden Diebstahl zu. Er hatte erwartet, die alte prickelnde Vorfreude zu verspüren, die alte Erregung, das angenehme Rasen des Pulses. Er fühlte nichts von alledem. Er fühlte sich alt.

«Kommen Sie schon«, sagte Johnnie Duke.»Sonst ist es schon wieder hell, bevor ich die Ware ausliefere.«

Martin Retsov nickte unwillig und überantwortete sie beide dem Abenteuer. Eine halbe Stunde später, als sie in einer dunklen Nebenstraße stehenblieben, war es ihm ge-lungen, die Schatten auf seiner Seele in ihr Verlies zurückzudrängen, so daß er der vor ihm liegenden halben Stunde mit kühler, ruhiger Nüchternheit entgegensah.

Leise stiegen sie aus dem Wagen und ließen die Rampe des Anhängers herunter. Die Nacht umschloß sie — kleine Geräusche, ein leiser, seufzender Wind, Sterne, die in funkelnden Gruppen zwischen grau dahintreibenden Wolken aufblitzten. Gelegentlich fuhr auf der einen Kilometer entfernten Hauptstraße ein Wagen vorbei, eher ein Aufblitzen von Lichtern als ein Geräusch. Martin Retsov wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann legte er dem jungen Mann ganz leicht eine Hand auf den Arm.

«Hier entlang«, sagte er. Seine Stimme war ein sanftes Flüstern, und als er sich bewegte, machten seine Füße nicht das leiseste Geräusch auf dem Grasstreifen. Johnnie Duke folgte ihm und staunte über die Lautlosigkeit und die mühelose Schnelligkeit des großen Mannes.

«Wo sind wir?«flüsterte Johnnie.»Wessen Pferde holen wir uns?«

«Nicht deine Sache.«

Sie kamen an ein Tor mit einem Vorhängeschloß. Die Schraubenschlüssel und die Säge machten ihnen die Arbeit leicht. Sie schlüpften hindurch auf die Weide. Martin Retsov pfiff in der Dunkelheit leise zwischen den Zähnen eine verführerische Zigeunermelodie.

Dann zog er eine Handvoll Thoroughbred-Pferdenüsse aus der Tasche und rief schmeichelnd in die Schwärze vor ihnen.