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Er schenkte sich mit Händen, die nun doch zitterten, ein halbes Glas Whisky ein, und als er sich ruhiger fühlte, beschloß er, daß er, wenn er diesmal damit durchkam, sich mit seinen Profiten zufriedengeben und nicht noch mal mit irgendwelchen Karotten rummachen würde. Er würde es einfach nicht noch einmal riskieren.

Chick stellte sich am Startpfosten in der Mitte des Feldes auf, obwohl der Trainer ihm geraten hatte, auf der Außenseite zu starten, um es dem unerfahrenen Pferd über die er-sten Hürden leichter zu machen. Chick erinnerte sich nicht an diese Anweisung, weil er nicht zugehört hatte, und selbst wenn er zugehört hätte, hätte er dasselbe getan, getrieben vom gewohnheitsmäßigen Zwang, anderer Meinung zu sein. Er dachte an Toddy, der sich vor einer Stunde an dieser Stelle aufgestellt hatte, ohne zu wissen, daß sein Pferd die Hindernisse nicht sehen würde. Chick hatte nicht gewußt, daß Doping ein Pferd blind machen konnte. Wie hätte man damit auch rechnen können? Es ergab keinen Sinn. Vielleicht hatte das Dopingmittel den Fuchs auch nur so sehr verwirrt, daß er das Hindernis zwar sah, aber irgendwie nicht begriffen hatte, daß er darüberspringen sollte. Der Fuchs konnte unmöglich wirklich blind gewesen sein.

Chick schwitzte bei diesem Gedanken und vergaß zu überprüfen, ob die Gurte nach dem Galopp zum Startpfosten immer noch stramm saßen. Und auch, als der Starter die Bänder hochschnellen ließ, war er noch immer mit diesen grauenhaften Vorstellungen beschäftigt, so daß er den richtigen Augenblick verpaßte und nur langsam loskam. Der kleine Trainer auf der Tribüne schnalzte verärgert mit der Zunge, und Arthur Morrison hob den Blick himmelwärts.

Die erste Hürde stand auf gleicher Höhe mit dem ersten Zaun, und den ganzen Weg dorthin war Chick von der unlogischen Angst erfüllt, daß sein Pferd nicht abspringen würde. Er verwandte die Aufmerksamkeit, die er der richtigen Positionierung seines Pferdes hätte schenken müssen, ganz auf den verzweifelten Versuch, sich einzureden, daß ihm niemand eine Möhre gegeben haben konnte. Er konnte nicht selbst auf einem gedopten Pferd sitzen… Das wäre nicht fair gewesen. Warum wäre es nicht fair gewesen? Weil. weil.

Das Pferd geriet beim Sprung ins Straucheln, schlug hart gegen den Holzrahmen und kam beim Aufsprung fast zum Stillstand. Der kleine Trainer begann zu fluchen.

Chick zog einen Zügel, der sich gelöst hatte, fester an, und das Hürdenpferd schwankte in zaudernder Unentschlossenheit hin und her. Es mußte mit Sorgfalt und Zuversicht geritten werden, man mußte ihm Gleichgewicht und Rhythmus beibringen. Man mußte es vor den Sprüngen richtig einstellen und danach schnell wieder versammeln. Es mangelte ihm an Erfahrung, es mangelte ihm an Urteil, und es brauchte dringend einen Jockey, der beides beisteuern konnte.

Chick hätte die Sache einigermaßen hinbekommen, wenn er es versucht hätte. Statt dessen ließen Übelkeit und geistige Erschöpfung alle seine Fähigkeiten dahinschmelzen, und er verlegte sich darauf zu beweisen, daß er nie viel getaugt hatte.

Beim zweiten Hindernis sah er vor seinem inneren Auge, wie der Fuchs mit einem Purzelbaum durch die Luft geflogen war, und als sie um die Kurve gingen, verweilte sein Blick auf dem zerbrochenen Rail und dem zertretenen Gras davor. Dort war der Fuchs gestorben. Alle im Stall würden unter den finanziellen Folgen zu leiden haben. Er hatte den Fuchs getötet, das ließ sich nicht länger leugnen, er hatte ihn mit der Karotte so sicher getötet, als hätte, er den Bolzen selbst abgeschossen. Plötzlich schluchzte Chick, und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Die nächsten beiden Hürden sah er nicht. Sie schossen in einem fliegenden Nebel unter ihm hinweg. Rein instinktiv blieb er auf seinem Pferd sitzen, und die Tränen liefen über die Wangen und wurden vom Wind weggepeitscht, sobald sie unter dem Rand seiner Jockeybrille hervorrannen.

Das unerfahrene Pferd war verängstigt und führerlos. Der nächste Sprung stand unmittelbar bevor, und das Pferd vor ihnen stolperte über die Hürde und warf einen Balken um, so daß er schräg hängenblieb. Das Hürdenpferd wartete bis zum letzten Augenblick auf Hilfe oder Anweisung von dem Mann auf seinem Rücken und ging dann unentschlossen auf den umgeworfenen Abschnitt der Hürde zu, der in seinen Augen niedriger und leichter zu überspringen schien als das andere Ende.

Auf der Tribüne sahen sowohl der kleine Trainer als auch Arthur Morrison, daß Chick keinen Versuch unternommen hatte, weiter geradeaus zu reiten oder dem Pferd zu sagen, wann es abspringen sollte. Es landete mit den Vorderbeinen in der geneigten Hürde, blieb dort hängen und schleuderte Chick über seinen Kopf aus dem Sattel.

Der Instinkt der Selbsterhaltung, der Chick normalerweise veranlaßt hätte, sich zu einem rollenden Ball zusammenzukrümmen, funktionierte nicht. Er stürzte lang und gerade durch die Luft, und sein letzter Gedanke, bevor er aufschlug, war, daß der blöde kleine Mistkerl von einem Trainer sein Pferd nicht vernünftig trainiert hatte. Das Tier hatte keine blasse Ahnung vom Springen.

Lange Zeit später erwachte er in einem hohen Bett in einem kleinen Raum. Irgendwo brannte ein gedämpftes Licht. Er spürte keinen Schmerz. Er spürte überhaupt nichts. Seine Gedanken schienen durch seinen Kopf zu treiben, und sein Kopf trieb durch den Raum.

Nach einer weiteren Ewigkeit begann er zu glauben, daß er tot sei. Er nahm diesen Gedanken sehr gefaßt auf und war stolz darauf. Dann dämmerte ihm langsam, ganz langsam, daß er nicht tot war. Sein Kopf steckte in einer Art Hülle, die ihn weich lagerte. Er konnte sich nicht bewegen.

Er blinzelte bewußt mit den Augen und leckte sich die Lippen, um sicherzugehen, daß zumindest sie funktionierten. Er hatte keine Ahnung, was passiert war. Seine Gedanken waren ein dichter, aber friedvoller Nebel.

Schließlich erinnerte er sich an die Möhre, und die ganze komplizierte und qualvolle Geschichte wurde wieder in sein Bewußtsein zurückgespült. Er schrie protestierend auf und versuchte, sich zu bewegen, aufzustehen und wegzulaufen, der unmöglichen, unerträglichen Schuld zu entfliehen. Irgendwelche Leute hörten seine Stimme und kamen ins Zimmer und standen um ihn herum. Er sah sie verständnislos an. Sie waren weiß gekleidet.

«Es ist alles in Ordnung«, sagten sie.»Keine Sorge, junger Mann, Sie kommen schon wieder in Ordnung.«

«Ich kann mich nicht bewegen«, protestierte er.

«Das kommt schon noch«, sagten sie beschwichtigend.

«Ich spüre… nichts. Ich spüre meine Füße nicht. «Plötzlich wurde Panik in seiner Stimme laut.»Ich spüre meine Hände nicht. Ich kann… meine Hände… nicht bewegen.«

Er schrie jetzt, und seine Augen waren angstvoll aufgerissen.

«Keine Sorge«, sagten sie.»Das kommt schon wieder. Sie kommen wieder in Ordnung. Sie kommen wieder in Ordnung.«

Er glaubte ihnen nicht, und sie pumpten ihm ein Beruhigungsmittel in den Arm, um ihn ruhigzustellen. Er konnte den Einstich der Nadel nicht spüren. Er hörte sich schreien, weil er keinen Schmerz spürte.

Als er wieder aufwachte, wußte er mit Sicherheit, daß er sich den Hals gebrochen hatte.

Nach vier Tagen besuchte Arthur Morrison ihn und brachte ihm sechs frisch gelegte Eier und eine Flasche frischen Orangensaft mit. Er blickte auf den unbeweglichen Körper mit dem Gipsverband um Schultern und Kopf herunter.

«Nun, Chick«, sagte er verlegen.»Es ist nicht so schlimm, wie es hätte sein können, oder?«

«Schön! So kann man das auch sehen«, sagte Chick rüde.

«Sie sagen, das Rückenmark sei nicht durchtrennt worden, es ist nur gequetscht. Sie sagen, in einem Jahr oder so würdest du einen Gutteil deiner Bewegungsfähigkeit zurückerlangen. Und du würdest jetzt jeden Tag wieder etwas mehr Gefühl bekommen.«

«Das sagen sie«, sagte Chick höhnisch.»Aber ich glaube es nicht.«

«Du wirst es glauben müssen, mit der Zeit«, sagte Morrison ungeduldig.

Chick antwortete nicht, und Arthur Morrison stöberte unbehaglich in seinen Gedanken nach irgend etwas, das er sagen konnte, um die Minuten zu überbrücken, bis er anständigerweise gehen konnte. Er konnte den Jungen nicht besuchen und einfach nur schweigend vor seinem Bett stehen. Er mußte irgend etwas sagen. Also begann er von dem zu reden, was in seinen Gedanken an erster Stelle stand.