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«Dann ist es Ihnen also gelungen, die Jungs für unsere Sache zu gewinnen?«fragte er. Er stand auf den Absätzen, während er die Hände in den Taschen hielt und sein Bauch ihm über den Gürtel quoll.

Piper Boles zündete sich mit langsamen Bewegungen eine Zigarette an, ließ seinen Blick dann beiläufig über den sternenübersäten Himmel wandern und sog genüßlich den Rauch in seine Lungen.

«Ja«, sagte er.

«Und für wen haben Sie sich entschieden?«

«Amberezzio.«

«Nein«, protestierte Marius.»Der ist nicht gut genug.«

Piper Boles zog abermals an seiner Zigarette. Er hatte Hunger. Hundertelf mußte er morgen auf die Waage bringen, und er hatte nur hundertfünfzig Gramm Steak im Magen. Er hatte etwas gegen dicke Menschen, vor allem gegen reiche dicke Menschen. Seinen eigenen kleinen Vorrat an Fett steckte er in Immobilien und Wachstumsfonds, aber mit achtunddreißig Jahren drohte ihn der körperliche Kampf beinahe zu überwältigen. Er konnte nicht mehr viele dieser Hungerjahre verkraften, denn je älter sein Körper wurde, um so schwerer fiel ihm das Fasten. Das Gefühl, daß die Zeit drängte, hatte ihn jüngst über Möglichkeiten nachdenken lassen, schnelle Zehntausender zu machen, die ihm früher nur ein höhnisches Lächeln entlockt hätten.

Er sagte:»Es muß Amberezzio sein. Er ist sauber.«

Marius dachte darüber nach. Es gefiel ihm nicht, aber schließlich nickte er doch.

«Na gut. Dann also Amberezzio.«

Piper Boles nickte und machte Anstalten zu gehen. Als Jockey konnte er sich nicht allzu lange mit Marius Tollman sehen lassen, nicht, wenn er weiter zweites Lot für die angesehene Somerset Farm reiten wollte, was ganz eindeutig der Fall war.

Marius bemerkte den Impuls des anderen und sagte glatt:

«Haben Sie noch mal über ein kleines Ablenkungsmanöver auf Crinkle Cut nachgedacht?«

Piper Boles zögerte.

«Das wird Sie was kosten«, sagte er.

«Klar«, stimmte Marius ihm achselzuckend zu.»Wie wär’s mit noch mal zehntausend obendrauf?«

«Benutzte Scheine. Die Hälfte im voraus.«

«Gut.«

Piper Boles schüttelte sein Gewissen ab und entledigte sich des letzten Restes seiner Integrität.

«Okay«, sagte er und schlenderte zu seinem Wagen, ganz als wären seine Nerven nicht zum Zerreißen gespannt und in höchste Alarmstufe versetzt.

Fred Collyer hatte jedes Wort mitgehört, und er wußte, ohne hinsehen zu müssen, daß eine der Stimmen Marius Tollman gehörte. An diesem asthmatischen Bostoner Akzent kam niemand vorbei, der sich eine Weile im Rennsport bewegte. Ihm war klar, daß Marius eine Gaunerei eingefädelt hatte, und ihm war auch klar, daß diese schöne kleine Gaunerei sich sehr erfreulich in seiner Spalte ausnehmen würde. Benebelt dachte er darüber nach, daß er herausfinden mußte, mit wem Marius geredet hatte, und daß er sich, da er die Stimme hinter sich gehört hatte, besser umdrehen und der Sache auf den Grund gehen sollte.

Die Zeit verlief für ihn jedoch nicht kontinuierlich, sondern in Sprüngen, und als er sich von der Wand abstieß und auf die Anstrengung einließ, die richtige Richtung zu finden, waren beide Männer bereits fort.

«Mistkerle«, sagte er laut in die leere Nacht hinein, und ein anderer später Gast, der gerade das Hotel verließ, nahm ihn mitleidig am Ellbogen und führte ihn zu einem Taxi. Er schaffte es gerade noch bis in sein eigenes Zimmer, bevor er ohnmächtig wurde.

Seit dem Abflug von La Guardia an diesem Morgen hatte er sechs Bier getrunken, vier Brandys, einen doppelten Scotch (aus Versehen) und fast drei Liter Bourbon.

Er wachte am nächsten Morgen um elf Uhr auf und konnte es nicht glauben. Er starrte die Uhr auf dem Nachttisch an.

Elf.

Er hatte die Inspektion der Ställe und das ganze morgendliche Tamtam auf der Bahn verpaßt. Ein Schauder überlief ihn, als er sich dessen bewußt wurde, und ließ ihn frösteln, aber es sollte noch schlimmer kommen. Als er versuchte, sich aufzusetzen, drehte sich das Zimmer um ihn, und in seinem Kopf hämmerte es gewaltig. Als er die Decke zurückschlug, stellte er fest, daß er voll bekleidet und mit Schuhen geschlafen hatte. Er versuchte, sich an seine Heimkehr am vergangenen Abend zu erinnern, doch vergebens.

Er trottete ins Badezimmer. Sein Gesicht blickte ihm wie ein Alptraum aus dem Spiegel entgegen, zerknittert und rotäugig, über Nacht um zehn Jahre gealtert. Er war schon x-mal verkatert aufgewacht, aber dies hier fühlte sich ganz anders an als der gewohnte Morgen danach. Ein Gefühl nicht wiedergutzumachender Katastrophe lauerte irgendwo hinter dem akuten körperlichen Elend in seinem Kopf und seinem Magen, aber erst, als er seinen Mantel, sein Hemd und seine Hose ausgezogen, sich von seinen Schuhen befreit und schwach wieder auf das zerwühlte Bett gelegt hatte, erst da wurde er sich der Natur dieser Katastrophe bewußt.

Schlagartig ging ihm auf, daß er sich nicht nur an den Rückweg zu seinem Motel nicht erinnerte, sondern praktisch den gesamten vergangenen Abend vergessen hatte. Bruchstücke von Gesprächen aus den ersten Stunden blitzten in seinem Hirn auf, und er erinnerte sich, daß er am Tisch zwischen einem ungehaltenen alten Schreiber von der Baltimore Sun und einer ernsthaften Züchterin aus Lexington gesessen hatte, beides Leute, die er nicht mochte; aber ungefähr in der Mitte des Brathuhns setzte eine flächendeckende Gedächtnislücke ein.

Er hatte schon von alkoholbedingten Blackouts gehört, aber vermutet, daß so etwas nur Alkoholikern passierte; und das traf auf ihn, Fred Collyer, nicht zu. Natürlich trank er ein wenig, das räumte er ein. Na gut, eine Menge. Aber wenn er wollte, konnte er jederzeit aufhören. Natürlich konnte er.

Er lag auf dem Bett und schwitzte und sah dem grausamen Gedanken ins Auge, daß ein Blackout zum nächsten führen konnte, bis die Blackouts weißen Mäusen wichen. Der Sportchef seiner Zeitung hatte ihm eingeschärft, daß er diesmal einen Reißer von ihm erwartete, und zum ersten Mal verspürte er bei dem unbehaglichen Gedanken an die zwei Mal, da er seinen Artikel nicht geliefert hatte, eine Spur von Angst um seinen Job. Binnen fünf Minuten hatte er sich dahingehend beruhigt, daß sie Fred Collyer niemals feuern würden, aber trotzdem würde er um der Zeitung willen den Drink aufschieben, bis er seine Zeilen über das Derby geschrieben hatte. Dieser Entschluß bescherte ihm ein strahlendes Gefühl selbstloser Tugendhaftigkeit, das ihm zumindest über die Zitteranfälle und den pulsierenden Kopfschmerz dieses extrem elenden Tages hinweghalf.

Draußen auf den Churchill Downs waren drei andere Männer nicht minder besorgt. Piper Boles trat sein Pferd vorwärts in die Startboxen und machte sich Sorgen über das, was George Highbury, der Trainer der Somerset Farm, gesagt hatte, als er mit zwei Pfund Übergewicht aus der Waage kam. George Highbury hielt sich allen Jockeys für überlegen und nahm kein Blatt vor den Mund.

«Erzählen Sie mir keinen Scheiß«, sagte er auf Boles’ Entschuldigungen.»Sie waren gestern abend beim Turfw-riter’s Dinner, also was erwarten Sie?«

Piper Boles erinnerte sich deprimiert noch einmal an den hungrigen Abend mit dem einen Martini und sagte, er sei am Morgen schon im Schwitzkasten gewesen.

Highbury runzelte die Stirn.»Wenn Sie Crinkle Cut im Derby reiten wollen, bleiben Sie heute abend und morgen mit ihrem dicken Arsch vom Tisch weg.«

Piper Boles mußte Crinkle Cut im Derby unbedingt reiten. Er nickte Highbury mit gesenktem Blick demütig zu und schwang sich unglücklich in den Sattel.

Statt ihn anzustacheln, raubte ihm die Angst, Crinkle Cut vielleicht nicht reiten zu dürfen, seine Konzentration, so daß er zu langsam aus der Startbox kam, das erste Viertel zu schnell anging, um an die dritte Stelle zu kommen, in der Kurve zu weit abkam und auf der Geraden wieder alles verlor. Er ging als Sechster ins Ziel. Er war ein absolut erfahrener Jockey von überdurchschnittlichen Fähigkeiten. Es war nicht sein Tag.