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Er nahm noch einen Drink. Und noch einen. Und so weiter.

Sein Termin für die telefonische Durchgabe seiner Story an das Büro lief um zehn Uhr am folgenden Morgen ab. Als diese Stunde schlug, lag er schlafend, schnarchend und voll bekleidet auf seinem Bett. Die leere Bourbonflasche lag auf dem Boden neben ihm, und seine Gewinne, die er zu zählen versucht hatte, waren über seine Brust verstreut.

Frühlingsfieber

Die Zeitschrift Women’s Own bat mich überraschend um eine Erzählung. (Fünftausend Worte, bitte.)

Der Inhalt solle mir überlassen bleiben, hieß es, aber man ziehe doch eine Erzählung vor, die auf die Bedürfnisse der weiblichen Leserschaft zugeschnitten sei.

>Frühlingsfieber<, das ich sehr gern geschrieben habe, war das Ergebnis.

Rückblickend konnte Mrs. Angela Hart genau sagen, wann sie sich gegen alle Vernunft in ihren Jockey verliebt hatte.

Angela Hart, dicklich, mütterlich und zweiundfünfzig, sah zu, wie der Vierundzwanzigjährige zu den Rennen von Cheltenham in den Führring marschierte. Er trug ihre leuchtenden Farben, rosa und weiß, und sie dachte:»Wie jung er ist, wie fit, wie schlank… wie kühn!«

Er kam über den hellen Rasen auf das übliche, kurze Geplauder zu ihr herüber, bevor er ihr Pferd über die zwei Kilometer Hürden jagte. Während sie versonnen betrachtete, wie sich seine wettergegerbte Haut über die Wangenknochen spannte, pflichtete sie ihm automatisch bei, ja, die Frühlingssonne sei herrlich und ja, das trockene Geläuf würde ihrem Billyboy wohl besser gefallen als der Regen der vergangenen Wochen.

Es war ein Tag wie so viele andere. Zwei Rennpferde hatten in Angelas Herz befriedigenden Ersatz für den verstorbenen und moderat beweinten Edward Hart geschaffen. Sie verbrachte ihre Zeit damit, Hindernisrennen zu besuchen, um ihre Lieblinge laufen zu sehen, schnitt die Artikel aus den Rennseiten der Zeitungen aus, in denen sie erwähnt waren, und rief ihren Trainer, Clement Scott, regelmäßig an, um sich nach der Gesundheit ihrer Pferde zu erkundigen.

Sie war eine liebenswürdige und gutmütige Frau, hing aber dem gefährlichen Glauben an, daß alle anderen im Grunde ebenso wohlmeinend waren wie sie selbst. Wie ein Kind, das einen Tiger streichelte, erwartete sie ein dankbares Schnurren als Gegenleistung für ihre freundliche Geste. Der Gedanke, daß ihr statt dessen der Arm abgebissen werden könnte, kam ihr nicht.

Der Jockey, Derek Roberts, sah in Mrs. Angela Hart prosaisch die Frau mittleren Alters und Eigentümerin von Billyboy und Hamlet. Er begegnete ihr gewohnheitsmäßig mit einer Höflichkeit, die daher rührte, daß er auf die Reitgelder von ihr angewiesen war. Die Zufriedenstellung der Kundschaft vor und nach dem Rennen gehörte für ihn genauso zu seinem Job wie die Notwendigkeit, während des Rennens selbst sein Bestes zu geben. Und da er schon vor langen Jahren entdeckt hatte, daß die meisten Besitzer geradezu mitleiderregend beglückt waren, wenn ein Jockey ihre Pferde pries, hatte er beinahe ohne Zynismus die Gewohnheit kultiviert, Optimismus zu versprühen, auch wenn er nicht ein einziges Wort davon glaubte.

Als er in den Führring von Cheltenham marschierte und Mrs. Hart in ihrem grünen Tweedmantel und der braunen Fellmütze auf der anderen Seite des Rasens entdeckte, dachte er, da Billyboy in der heutigen Konkurrenz keine große Chance hatte, die alte Henne wohl besser auf die bevorstehende Enttäuschung vorzubereiten, um sich gleichzeitig dagegen abzusichern, daß man ihm die Schuld zuschob.

«Schöner Tag heute«, sagte er und schüttelte ihr die Hand.»Richtiges Frühlingswetter.«

«Wirklich schön. «Da sie nichts hinzufügte, versuchte er es nach einem kurzen Schweigen noch einmal.

«Viel besser für Billyboy, daß jetzt dieser Regen wegtrocknet.«

«Ja, da haben Sie bestimmt recht.«

Sie war nicht so redselig wie sonst, dachte er. Das gewohnte erregte Geplapper blieb heute aus. Er beobachtete Billyboy, der sich durch den Ring quälte, und sagte ermutigend:»Er müßte heute eigentlich gut laufen… Obwohl die Konkurrenz natürlich ziemlich heiß ist.«

Mrs. Hart, die ein wenig geistesabwesend wirkte, nickte lediglich. Derek Roberts tat die Sache mit einem inneren Achselzucken ab, schenkte ihr ein routiniertes, halbechtes Lächeln und rechnete sich (fälschlicherweise) aus, daß das, was sie möglicherweise beschäftigte und worüber sie nicht reden wollte, schon nichts mit ihm zu tun haben würde.

Einen Schritt von ihnen entfernt stand Billyboys Trainer, Clement Scott, der sich ebenfalls auf das Pferd konzentrierte. Er war kräftig, ging auf die Sechzig zu und hatte — ein Leben lang ein Charmeur — seinen Erfolg eher seiner Persönlichkeit zu verdanken als irgendwelchen besonderen Fähigkeiten im Umgang mit Pferden. Er kleidete sich gut. Und er konnte reden.

Unter seinem einnehmenden Äußeren verbarg sich eine Kälte, um die neben seiner zurückhaltenden Frau und seinen erwachsenen und verheirateten Kindern letzten Endes alle wußten, die ihn gut kannten. Er war eine angenehme Gesellschaft, aber es fehlte ihm an Mitgefühl. Die Gutmütigkeit war nur aufgesetzt: Darunter verbarg sich skrupellose Selbstsucht.

Clement Scott verstand sich auf Jockeys und Besitzer, und in beruflicher Hinsicht hielt er eine Menge von dem Paar, das da vor ihm stand: von Derek, weil er die Besitzer zufrieden machte und außerdem noch recht gut ritt, und von Angela, weil ihr Hauptinteresse den Pferden selbst galt und nicht den Preisgeldern.

Mütterliche Damen mit sentimentalen Neigungen waren seiner Meinung nach die unkritischsten und nachsichtigsten Besitzer, und er fand sich gerne mit ihren überschwenglichen Telefonanrufen ab, weil sie außerdem dazu neigten, seine Rechnungen prompt zu bezahlen. Angela gegenüber — einer wohlhabenden Dame mit einem Haus am Rand des Golfplatzes von Wentworth — gab er sich mit jener onkelhaften Schalkhaftigkeit, deretwegen so manche Witwe seinem Stall treu geblieben war, und das trotz der beharrlichen Gerüchte, daß er sie wahrscheinlich bei der erstbesten Gelegenheit übers Ohr hauen würde.

Angela war wie so manche andere Dame nicht geneigt, diesen Gerüchten Glauben zu schenken. Clement, der gute, schlimme Clement, unter dessen Obhut der Besitz eines Rennpferdes zu einer so rundum erfreulichen Sache wurde, würde sie auf keinen Fall betrügen.

Angela stand neben Clement auf der Tribüne, um das Rennen zu beobachten, und verspürte eine ganz neue Dimension der Sorge: Nicht nur um die unbeschadete Rückkehr ihres Lieblings Billyboy, sondern auch und ganz besonders um die des Mannes auf seinem Rücken. Was für Risiken er eingeht, dachte sie, während sie ihn durch das Fernglas beobachtete. Bis zu diesem Tag hatte sie nur darauf geachtet, ob er das Tempo richtig einschätzte, eine sich bietende Lücke nutzte oder ein entschlossenes Finish hinlegte. Bei diesem Rennen aber beurteilte sie ihn nicht mehr objektiv, sondern emotional — ein Wechsel, den sie selbst zu diesem Zeitpunkt nur vage wahrnahm.

Derek Roberts gönnte dem Pferd, obwohl es schon geschlagen war, keine Ruhe und zwang Billyboy auf diese Weise kurz vor dem Ziel auf die vierte Position, denn er wußte, daß Angela ein vierter Platz besser gefallen würde als ein fünfter oder sechster oder siebter. Clement Scott lächelte bei sich. Ob vierter oder siebter Platz, das Pferd hatte kein Preisgeld gewonnen; aber dieser gutaussehende, mit allen Wassern gewaschene Junge wußte jedenfalls, wie man sich die Besitzer warmhielt.

Ihr Fernglas fest auf die Brust gepreßt atmete Angela Hart nach dieser pulstreibenden Anspannung erleichtert auf. Dankbar überlegte sie, daß der vierte Platz angesichts der starken Konkurrenz gar nicht schlecht und es ein gutes Zeichen sei, daß Billyboy bis zum Ende durchgelaufen war… und Derek Roberts hatte das Rennen ohne Schaden überstanden.