Zusammen mit dem Trainer eilte sie dem von der Bahn kommenden Paar entgegen, sah, daß Billyboy wie gewöhnlich, wenn er nach einem Rennen verschwitzt war, durch die Nüstern ausatmete, und hörte Derek zu, der über die Schulter mit ihr sprach, während er die Schnallen am Sattel löste.
«… ist nicht ganz fehlerfrei aufgesprungen nach der drittletzten, aber das hat ihn nicht aufgehalten… Er sollte eigentlich recht bald mal ein Rennen gewinnen, würde ich sagen.«
Er lächelte sie auf seine spezielle Weise an, grüßte knapp und enteilte dann zum Zurückwiegen und Umziehen fürs nächste Rennen; unterwegs wickelte er die Gurte um den Sattel. Angela sah ihm nach, bis er verschwunden war, und fragte Clement, wann ihre Pferde die nächsten Rennen hatten.
«Hamlet hatte heute morgen eine leichte Entzündung in einem Bein«, sagte er,»und Billyboy braucht zwischen zwei Rennen mindestens zwei Wochen Pause. «Er blickte sie mit neckisch verdrehten Augen an.»Wenn Sie es bis dahin nicht ohne sie aushalten können, warum kommen Sie dann nicht einfach einmal morgens herüber und sehen sie sich beim Trainingsgalopp an?«
Der Gedanke gefiel ihr.»Reitet Derek den Galopp?«
«Manchmal«, erwiderte er.
Am folgenden Tag überlegte Angela, während sie verträumt durch ihr Haus streifte, ob sie nicht ein weiteres Pferd kaufen solle.
Sie suchte sich Derek Roberts’ Nummer heraus und rief ihn an.
«Noch ein Pferd für Sie finden?«fragte er.»Jaa… Klar… Ich finde, ein weiteres Pferd ist eine großartige Idee, aber Sie sollten Mr. Scott fragen…«
«Wenn Clement ein Pferd für mich findet«, sagte Angela,»würden Sie mich dann begleiten, wenn ich es mir ansehe? Ich würde wirklich gern Ihre Meinung hören, bevor ich es kaufe.«
«Tja…«Er zögerte, denn eine solche Nutzung seiner Freizeit erschien ihm wenig ersprießlich. Aber ihm war auch klar, daß ein weiteres Pferd für Angela mehr Reitgelder für ihn bedeutete.»Ja gut, ich komme natürlich mit, Mrs. Hart, wenn ich Ihnen behilflich sein kann.«
«Das ist nett«, sagte sie.»Ich werde gleich Clement anrufen.«
«Noch ein Pferd?«fragte Clement überrascht.»Ja, wenn Sie wollen, obwohl es ein bißchen spät in der Saison ist. Warum warten Sie nicht…?«:
«Nein«, fiel Angela ihm ins Wort,»lieber Clement, ich will es jetzt.«
Clement Scott hörte den drängenden Unterton in ihrer Stimme durchaus, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Vier Tage später jedoch, als sie kam, um ihre beiden Pferde bei der Arbeit zu sehen — nachdem sie sich vorweg versichert hatte, daß Derek sie reiten würde —, verstand er sofort.
Die matronenhafte, nicht mehr ganz taufrische Angela hatte nur noch Augen für Derek Roberts. Sie beobachtete ihn aufmerksam, wenn er kam und ging — ganz gleich, ob hoch zu Roß oder zu Fuß —, und erforschte, während er sprach, unablässig sein Gesicht. Sie stellte ihm Fragen, um ihn in ihrer Nähe zu halten; ihr Interesse erlahmte merklich, wenn er nach Hause ging.
Clement Scott, der dergleichen oft genug mit angesehen hatte, gab sich ihr gegenüber noch galanter und verkniff sich jedes spöttische Lächeln. Er habe erfreulicherweise von einem Pferd gehört, das für sie in Frage käme, sagte er, und werde sie mitnehmen, damit sie es sich ansehen könnte.
«Eigentlich«, wandte Angela vorsichtig ein,»habe ich bereits Derek gebeten, mich zu begleiten. und er hat zugesagt.«
An diesem Abend rief Clement Derek an.
«In mich vernarrt?«fragte Derek erstaunt.»Das ist absoluter Blödsinn. Ich reite jetzt schon mehr als ein Jahr für sie. Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, daß ich so etwas nicht gemerkt hätte.«
«Machen Sie doch mal die Augen auf, Junge«, sagte Clement.»Ich schätze, sie will dieses Pferd jetzt nur als Vorwand, um Sie öfter zu sehen; und deshalb, mein Junge, habe ich Ihnen einen kleinen Vorschlag zu machen.«
Er umriß den kleinen Vorschlag ziemlich ausführlich, und Derek mußte feststellen, daß dabei hinter der Aussicht auf einen schnellen, steuerfreien Profit Mrs. Harts Interessen weit abgeschlagen auf Platz zwei rangierten.
Einige Tage später fuhr er zu ihrem Haus in Wentworth; von dort aus ging es in ihrem Wagen, einem Rover, mit ihm am Steuer weiter. Das Pferd gehörte einem Mann in Yorkshire, so daß der Ausflug, wie Angela mit großer Zufriedenheit überlegte, den ganzen Tag dauern würde.
Sie hatte sich ihren Wunsch nach einem weiteren Pferd damit erklärt, daß ihr Interesse am Rennsport einfach zugenommen habe, und ihre Begeisterung für die Fahrt nach Yorkshire führte sie auf bloße Ungeduld zurück, sofort zu sehen, was Clement ihr als» tolle Gelegenheit für zwanzigtausend, genau das Richtige für Sie, meine liebe Angela «beschrieben hatte.
Sie konnte es sich gerade eben erlauben, dachte sie, wenn sie diesen Sommer nicht auf Kreuzfahrt ging und weniger Geld für Kleidung ausgab. Sie gestand sich aber keine Sekunde lang ein, daß es ein paar Stunden hier und da von Derek Roberts Leben waren, die sie sich für diesen Preis kaufte.
Ein Stück nördlich von Watford sagte Derek:»Mrs. Hart, hat Mr. Scott Ihnen schon viel von diesem Pferd erzählt?«
«Er sagte, Sie würden das übernehmen. Und nennen Sie mich doch Angela.«
«Ehm…«Er räusperte sich.»Angela…«Er sah sie an, wie sie da neben ihm saß, rundlich, entspannt und glücklich. Das konnte doch nicht wahr sein, dachte er. Leute wie Mrs. Hart unterlagen doch keinen Schwärmereien. Sie war viel zu alt: fünfzig… Ein unvorstellbares Alter für einen Vierundzwanzigjährigen. Er rutschte unbehaglich in seinem Sitz hin und her und empfand Scham (aber nur leichte) für das, was er im Begriff stand zu tun.
«Mr. Scott meint, das Pferd hätte ein unglaubliches Potential. Erst sechs Jahre alt. Hat letztes Jahr ein Hürdenrennen gewonnen…«Er redete weiter wie ein Verkäufer, flocht geschickt die wenigen Tatsachen ein, die sie anhand der Rennberichte überprüfen konnte, falls sie das wollte, und überzog alles andere mit einem zartrosa Hauch.»Im Winter ist er natürlich keine Rennen gelaufen, aber ganz unter uns gesagt… äh, Angela… Mr. Scott glaubt, er könne den Hengst sogar für das Whitbread melden. Und möglicherweise ist das genau seine Liga.«
Angela lauschte verzückt. Der Whitbread Gold Cup in sechs Wochen war das letzte große Rennen der Saison. Ein Pferd zu besitzen, das sie in dieses Rennen schicken konnte, noch dazu mit Derek Roberts als Jockey, das erschien ihr als ein solcher Gipfelpunkt in ihrem Rennleben, wie er bisher unvorstellbar gewesen war.
«Nein, wie wunderbar«, sagte sie begeistert. Derek Roberts wäre beinahe zusammengezuckt.
«Mr. Scott meinte, es wäre Ihnen vielleicht recht, wenn ich ein wenig für Sie feilsche«, sagte er.»Um den Preis etwas zu drücken.«
«Der liebe Clement denkt auch an alles. «Sie warf Derek ein leicht ängstliches Lächeln zu.»Aber feilschen Sie nicht so gründlich, daß ich das Pferd verliere, ja?«
Er versprach es ihr.
«Wie heißt es denn?«fragte sie, und er sagte es ihr:
«Magic.«
Magic stand in einem Hof, der Angela eigentlich hätte argwöhnisch machen müssen, aber sie hatte oft genug gehört, daß in Irland schon Meisterpferde in Schweineställen entdeckt worden waren, und den letzten Funken Vorsicht hatte sie bereits fallenlassen. Der gute Clement würde niemals ein schlechtes Pferd für sie kaufen, und mit Derek persönlich als ihrem Berater… Sie betrachtete den nichtssagenden braunen Wallach, den man ihr vorführte, voller Vertrauen und sah nur ihre Träume — nicht den schlammigen Boden, nicht das verrottete Holz an den Stalltüren, nicht das brüchige Leder des Sattelzeugs.
Sie sah, wie Magic in dem unkrautüberwucherten Hof hin- und hergeführt wurde, und sie sah, wie man ihn in einem kleinen, ampferüberwachsenen Gehege am Führzügel etwas traben ließ; sie sah aber nicht den Ausdruck von Bestürzung auf Dereks Zügen, den er nicht hatte unterdrük-ken können.
«Was meinen Sie?«fragte sie Derek. Ihre Augen strahlten — ungeachtet all dessen, was sie sahen.