Er nickte ihr zu, schenkte ihr ein letztes Strahlen und ging seines Weges. Angela rang um Luft, als habe er ihr einen Boxhieb versetzt.
Angela ging blindlings durch den Ausgang. Ihre Beine trugen sie automatisch zu ihrem Wagen. Zitternd setzte sie sich auf den Fahrersitz und fuhr mit einem Gefühl der Unwirklichkeit die ganzen hundertfünfzig Kilometer nach Hause.
«Der Mann muß da was falsch verstanden haben«, dachte sie.»Nicht sieben- und fünftausend, sondern siebzehn-und fünfzehntausend. «Als sie zu Hause ankam, schlug sie die Adresse von Magics früherem Besitzer nach und rief ihn an.
«So ist es«, sagte er.»Fünftausend, genau. «Die breite Yorkshire-Stimme schwappte fröhlich über viele Grafschaften hinweg zu ihr herüber.»Haben Ihnen wohl ein bißchen mehr in Rechnung gestellt, wie?«Er kicherte.»Ein paar Hundert vielleicht? Das können Sie ihnen nicht verübeln. Die müssen ja auch ihre Provision haben, sozusagen. So läuft das eben.«
Sie legte auf, setzte sich auf ihr einsames Sofa und starrte ins Leere. Zum erstenmal begriff sie, daß das, was sie für Derek empfunden hatte, Liebe war. Sie begriff auch, daß Clement und Derek das schon vor Wochen bemerkt haben mußten und daß sie sie deswegen auf eine Art und Weise ausgebeutet und manipuliert hatten, die fast genauso roh war wie eine Vergewaltigung.
All die Zuneigung, mit der sie sie überschüttet hatte, all die Freude und die liebevollen Gedanken und das Glück… die beiden hatten all das gesehen und es ausgenutzt und sich keinen Deut um sie geschert.»Sie mögen mich nicht einmal«, dachte sie.»Derek mag mich nicht einmal.«
Der Schmerz dieser Zurückweisung erfüllte sie mit Elend von einer Tiefe, wie sie es nie zuvor kennengelernt hatte. Wie konnte sie nur, dachte sie in ihrem Unglück, so dumm, so blind, so armselig unreif gewesen sein!
Für eine Weile streifte sie durch das große Haus. Seit Edward nicht mehr für Unruhe sorgen konnte, war es still geworden. Schließlich ging sie in die Küche. Sie machte sich eine Tasse Tee und weinte.
Nach einigen Tagen besuchte sie Derek im Krankenhaus. Er lag in der Mitte einer langen Reihe von Betten und hatte das Bein in einem Streckverband. Für einen Augenblick wirkte er wie ein Fremder: ein dünner junger Mann, den Kopf aufs Kissen gebettet, die Augen geschlossen. Nicht mehr wie ein starker junger Mann, dachte sie. Eher schon wie ein krankes Kind.
Aber auch das war eine Illusion.
Er hörte sie an sein Bett treten und öffnete die Augen, und da er ganz und gar nicht auf ihre Anwesenheit vorbereitet war, sah sie ganz deutlich die Verlegenheit, die ihn überfiel. Er schluckte und biß sich auf die Lippen; und dann lächelte er. Es war dasselbe Lächeln wie zuvor, das vordergründige Gesicht des Verrats. Angela verspürte leichte Übelkeit.
Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich an sein Bett.»Derek«, sagte sie,»ich bin hier, um Ihnen zu gratulieren.«
Er war verwirrt.»Wozu?«
«Zu Ihrem großen Gewinn: der Differenz zwischen fünftausend Pfund und fünfzehntausend.«
Sein Lächeln verschwand, und er wandte den Blick ab. Er war also ertappt. Ärger und Scham überkamen ihn, und vor allem wünschte er sich, daß sie fortginge.
«Wieviel davon«, fragte Angela langsam,»haben Sie bekommen und wieviel Clement?«
Nach einem zähen Schweigen von mehr als einer Minute sagte er:»Halbe-halbe.«
«Vielen Dank«, sagte Angela. Sie erhob sich und schob den Stuhl zurück.»Das war dann alles. Ich wollte nur hören, wie Sie es zugeben. «Und um ganz sicherzugehen, dachte sie, daß sie geheilt war, daß ihr das Fieber nicht länger im Blut lag, daß sie ihn ansehen konnte, ohne etwas zu empfinden — und sie konnte es.
«War das alles?«fragte er.
Sie nickte.»Was Sie getan haben, war nicht illegal, nur… ekelhaft. Ich hätte geschäftsmäßiger sein müssen. «Sie entfernte sich einen Schritt.»Leben Sie wohl, Derek.«
Sie war noch ein paar Schritte weitergekommen, bevor er plötzlich hinter ihr her rief:»Angela… Mrs. Hart.«
Sie blieb stehen und kam ein Stück zurück.
«Bitte«, sagte er,»bitte hören Sie mich an. Nur einen Augenblick.«
Angela kehrte langsam zu seinem Bett zurück.
«Ich nehme nicht an, daß Sie mir glauben werden«, sagte er,»aber ich habe über dieses Rennen in Stratford nachgedacht… und ich habe so das Gefühl, daß Magic vielleicht doch noch zu etwas taugen könnte.«
«Nein«, sagte Angela.»Keine Lügen mehr.«
«Ich… Das ist keine Lüge. Das nicht.«
Sie schüttelte den Kopf.
«Hören Sie«, sagte er.»Magic hat in Stratford keine Show abgezogen, weil ihn niemand gefordert hat — außer ganz zum Schluß, als ich ihn wachgerüttelt habe. Und dann ist er gestürzt, weil ich es so dicht vor dem Hindernis getan habe… und weil er, als ich ihm das Signal gab, einfach wie elektrisiert losgeprescht ist.«
Angela hörte ungläubig zu.
«Einige Pferde«, sagte er,»wollen zu Hause einfach nicht galoppieren. Magic zum Beispiel. Also dachten wir, er könne auch nicht rennen. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
Angela zuckte die Achseln.»Das ändert gar nichts. Aber wie dem auch sei, ich werde es rausfmden, wenn er im Whitbread läuft.«
«Nein. «Er wand sich unbehaglich.»Wir wollten ihn nie das Whitbread laufen lassen.«
«Aber er ist gemeldet«, sagte sie.
«Ja, aber… also, Mr. Scott wird Ihnen ein oder zwei Tage vor dem Rennen sagen, daß Magic Temperatur hat oder daß er sich den Fuß verstaucht hat oder sonst etwas in der Art und daß er nicht laufen kann. Er… wir… haben es so geplant. Wir dachten, Sie würden keine Schwierigkeiten wegen des Preises machen, wenn Sie glaubten, Magic sei Whitbread-Klasse… das ist alles.«
Angela stieß ein» Oh «aus wie einen tiefen Seufzer. Sie blickte auf den jungen Mann hinunter, der seine Decke ziellos mit den Fingern glattstrich und ihrem Blick auswich. Sie sah die Scham und die Müdigkeit und den Widerhall des Schmerzes in seinem Bein, und sie dachte, daß das, was sie für ihn empfunden hatte, für ihn genauso zerstörerisch gewesen war wie für sie selbst.
Zu Hause rief Angela Clement an.»Lieber Clement, wie geht es Magic?«
«Unverändert, Angela, wie ich zu meiner Freude sagen kann.«
«Das ist ja prachtvoll«, sagte sie herzlich.»Und jetzt können wir uns auf Whitbread freuen, nicht wahr?«
«Ja, tatsächlich. «Er kicherte.»Besser, Sie kaufen sich einen neuen Hut, meine Liebe.«
«Clement«, sagte Angela zuckersüß,»ich verlasse mich darauf, daß Sie Magic in jeder Hinsicht fit und wohlgenährt und unverletzt halten. Ich verlasse mich darauf, daß er in Whitbread an den Start geht und uns zeigt, wie schlecht er ist.«
«Was?«
«Denn wenn er nicht startet, lieber Clement, könnte es sein, daß ich mit ein oder zwei Leuten plaudere. Sie wissen schon, mit jemandem von der Presse oder sogar einem von der Steuer… darüber, wie Sie Magic an einem Tag für fünftausend gekauft und ihn mir am nächsten für neunzehntausend verkauft haben.«
Angela horchte auf das Schweigen, das aus dem Hörer dröhnte, und lächelte voll gesunder Schadenfreude.»Und, lieber Clement, wir beide werden den neuen Jockey instruieren zu gewinnen, wenn er kann, nicht wahr? Denn es muß ein fairer Test werden, meinen Sie nicht auch? Und nur um Sie zu ermutigen, verspreche ich Ihnen, daß ich niemandem gegenüber werde verlauten lassen, was ich für Magic bezahlt habe, wenn ich zufrieden bin und er sein Bestes gegeben hat, ganz gleich, ob er gewinnt oder nicht. Und das ist ein Handel, lieber Clement, auf den Sie sich verlassen können.«
Clement warf den Hörer krachend auf die Gabel und fluchte laut.»Verdammte alte Hexe. Sie muß es überprüft haben. «Er rief in Yorkshire an und bekam bestätigt, daß sie genau das getan hatte. Zur Hölle mit ihr, dachte er. Er würde sich in den Augen der ganzen Rennwelt zum Narren machen, wenn er Ausschuß wie Magic in einem der wichtigsten Rennen starten ließ. Das würde seinem Ruf weiß Gott nicht guttun.