Clement Scott verspürte nicht den geringsten Stich der Reue. Er hatte schließlich eine ganze Reihe dummer Ladys auf gleiche Weise betrogen. Aber wenn Angela redete
— und wenn es ihr gefiel, konnte sie stundenlang reden —, würde er bald erleben, daß die naiven verwitweten Schätzchen plötzlich alle argwöhnisch wurden und ihre Pferde von jemandem anderen kauften. Magic würde, wie er voller Zorn begriff, so gründlich wie nur möglich trainiert werden müssen, und er mußte den besten Jockey für das Pferd bekommen, der zu haben war.
Im Führring vor dem Whitbread war Angela dann wieder ganz die alte: vor Freundlichkeit überströmend und strahlend.
Sie sprach mit ihrem neuen Jockey, der sich angenehm von Derek Roberts unterschied.»Ich nehme an, Sie haben die Sache mit dem lieben Clement besprochen«, sagte sie fröhlich.»Wie auch immer, ich finde, es wäre das beste, nicht wahr, wenn Sie Magic nachher für den größten Teil der Strecke im Feld etwas zurückhalten würden und ihm dann, ungefähr einen Kilometer vor dem Ziel, sagen, es wäre an der Zeit zu gewinnen, wenn Sie verstehen, was ich meine? Und von da an liegt es natürlich an Ihnen beiden, alles zu geben. Ich habe mein Geld auf Sie gesetzt, wissen Sie.«
Der Jockey blickte verunsichert in das steinerne Gesicht von Clement Scott.
«Tun Sie, was die Dame wünscht«, sagte Clement.
Der Jockey, der sich auf sein Geschäft verstand, führte die Anweisungen buchstabengetreu aus. Einen Kilometer vor dem Ziel grub er Magic seine Fersen scharf in die Rippen und staunte über die Reaktion. Magic — jung und nur mit Mindestgewicht belastet — schnellte an mehreren älteren, müderen Mitstreitern vorbei und lag am letzten Hindernis an fünfter Stelle.
Clement traute seinen Augen kaum. Angela bekam kaum noch Luft. Magic flog über das letzte Hindernis, stürmte die Gerade entlang und ging als dritter ins Ziel.
«Na also«, sagte sie,»ist das nicht wundervoll?«
Da so gut wie niemand auf ihr Pferd gesetzt hatte, konnte Angela sich am Toto ein Vermögen an Platzgeld abholen; und ein paar Tage später verkaufte sie Magic genau zu dem Preis, den sie bezahlt hatte, an einen Schrotthändler aus Kent.
Angela schickte Derek eine Postkarte mit den besten Wünschen für eine baldige Genesung. Eine Woche später sandte sie ihm eine Kiste Champagner und die schlichte Botschaft:»Danke.«
«Ich habe eine Menge gelernt«, dachte sie,»und das habe ich ihm zu verdanken. Eine Menge über Gier und Leichtgläubigkeit, über Fassaden und Konsequenzen und
die Vergänglichkeit der Liebe. Und über den Rennsport. zu viel.«
Sie verkaufte Billyboy und Hamlet und lernte töpfern.
Blindlings
Im Jahre 1979 ersann Julian Symons, Eminenz des Detection Club, eine neue Masche, um Geldströme in den gähnend leeren Tresor des Clubs zu lenken. Er als Herausgeber lud eine Handvoll Kriminalschriftsteller ein, sich mit einer Erzählung an einem Band mit dem Titel Verdict of Thirteen: A Detection Club Anthology (Der Urteilsspruch der Dreizehn: Eine Anthologie des Detection Club) zu beteiligen.
Da ich mich nicht auf Gerichtsszenen verstehe, steuerte ich statt dessen unter dem Titel >Twenty-one Good Men and True< — (Einundzwanzig rechtschaffene, ehrliche Männer<) — eine Rennbahngeschichte bei, die 1979 bei Faber in Großbritannien und bei Harper in den USA erschien. In England wurde die Erzählung auch von der Wochenzeitschrift Women’s Own unter dem hier übernommenen Titel >Blindlings< abgedruckt.
rnold Roper pfiff leise vor sich hin, während er sei-
nen Kessel zum Kochen brachte und Instantkaffee aus dem Sparpack in die alte blaue Souvenirtasse aus Brixham löffelte. Sein Pfeifen war unmelodisch und ohne Rhythmus, aber dennoch ein Ausdruck der Zufriedenheit — sowohl mit den Dingen im allgemeinen als auch mit den unmittelbaren Aussichten. Arnold Roper ging wie gewöhnlich zum Rennen: Und wie gewöhnlich würde er, wenn er eine Wette plazierte, auch gewinnen. Ordentlich, methodisch, professionell würde er sein unschlagbares System zur Anwendung bringen und reicher werden, wobei das eine aus dem anderen so sicher folgte wie Hühner und
Eier.
Arnold Roper war mit seinen fünfundvierzig Jahren ein eingefleischter Junggeselle, ein schlanker Mann, der es gewohnt war, für sich selbst zu sorgen, ein Mann, dem freundschaftliches Geplauder lästig war. Wie ein Matrose
— obwohl er nie auf See gewesen war — hielt er seine Siebensachen blankpoliert und blitzsauber, führte ein ordentliches Leben zwischen Plastikmüllbeuteln und aufgewärmten Speisen aus dem Schnellimbiß.
Das einzige, kleine Problem, das sich an Arnold Ropers Horizont abzeichnete, war sein Wohlstand. Die Beschaffung von Geld war sein größtes Vergnügen. Das Ausgeben desselben war etwas, das er auf eine ferne und traumgleiche Zukunft verschob, in der er seine sterile Wohnung gegen eine warme, niemals endende Idylle unter tropischen Palmen eintauschen würde. Es war die Zwischenlagerung des Geldes, die ihm gegenwärtig wenn nicht direkt Sorgen machte, so doch zumindest gelegentliche Anflüge von Zweifel verursachte. Möglicherweise würde er, ging es ihm durch den Kopf, während er getrocknete Milchkörner in die bräunliche Brühe rührte, Platz für einen weiteren Schrank in seinem bereits überfüllten Schlafzimmer finden müssen.
Hätte irgend jemand Arnold Roper gesagt, er sei ein Geizhals, so hätte er dies entrüstet abgestritten. Nun gut, er lebte spartanisch, aber das war eher Angewohnheit als Besessenheit. Und er holte niemals seinen Reichtum hervor, nur um ihn anzusehen und zu zählen und sich daran zu ergötzen. Nie hätte er das warme Gefühl als Geiz erachtet, das ihn jede Nacht überkam, wenn er sich lächelnd zum Schlafen niederlegte, im Wissen, daß überall um ihn herum in zwei eichenholzfurnierten Schlafzimmern — Sonderangeboten — ein oder zwei Tonnen übertragbarer Papiere lagerten.
Es war nicht so, daß Arnold Roper Banken mißtraut hätte. Er wußte auch, daß man durch Wetten gewonnenes
Geld nicht durch Steuern verlieren konnte. Er hätte seine wachsenden Gewinne nicht in seiner unmittelbaren Nähe aufbewahrt, wäre sein unschlagbares System nicht gleichzeitig auch ein prachtvoller Betrug gewesen.
Die besten Betrügereien können nur durch Zufall aufgedeckt werden, und Arnold konnte sich nicht vorstellen, daß ein solcher Zufall ihn treffen würde.
Jamie Finland erwachte in seiner gewohnten Dunkelheit, und binnen weniger Sekunden gingen ihm drei zusammenhanglose Gedanken durch den Sinn.»Die Sonne scheint. Es ist Mittwoch. Hier in Ascot findet heute ein Rennen statt.«
Er streckte die Hand aus und legte die Finger vorsichtig auf den Kassettenrecorder auf seinem Nachttisch. Dort lag eine Kassette. Jamie lächelte, schob die Kassette in den Recorder und drückte auf den Abspielknopf.
Die Stimme seiner Mutter sprach zu ihm.»Jamie, vergiß nicht, daß heute um halb elf der Mann kommt, der den Fernseher repariert, und bitte, sei so lieb und leg die Wäsche in die Maschine, da ich heute morgen sehr knapp dran bin. Und macht’s dir was aus, die Suppe von gestern heute mittag noch mal zu essen? Ich habe sie in einem Topf auf dem Herd stehenlassen. Außerdem hoffe ich, daß du heute nachmittag nicht das ganze Geld verlierst, sonst schneide ich dir den Stecker von deiner Stereoanlage ab. Ich bin dann kurz nach acht wieder zu Hause — also bis dahin.«
Jamie Finlands achtunddreißig Jahre alte Mutter brachte sie beide mit ihrem Verdienst als Krankenschwester bei einem Sozialdienst durch, und sie hatte, überlegte ihr Sohn, die Erziehung eines Kindes, das nicht sehen konnte, wirklich gut bewältigt. Er war fünfzehn. Er absolvierte ein