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Die übrigen, die er einen nach dem anderen seiner Herde hinzugefügt hatte, lebten behaglich und mit ruhigem Gewissen und beteten, daß ihr Wohltäter nie entlarvt würde.

Arnold selbst konnte sich nicht vorstellen, warum so etwas jemals passieren sollte. Er legte das Fernglas beiseite und machte sich auf seine methodische Art und Weise an sein Tagewerk. Es gab immer eine Menge zu tun; er mußte Formulare ausfüllen, seine Ausrüstung überprüfen und feststellen, ob das Telefon neben ihm auch tatsächlich funktionierte. Arnold überließ niemals etwas dem Zufall.

Unten am Starttor ließen sich sechzehn Zweijährige bok-kend und tänzelnd von den Trainern in die Startboxen führen. Zweijährige Hengste, dachte der Starter resigniert und mit einem Blick auf seine Armbanduhr, konnten sich benehmen wie eine Horde Primadonnen während einer Hitzewelle in Mailand. Wenn die sich mit diesem Fuchs nicht etwas beeilten, der im Augenblick wiehernd wieder einmal den Rückzug von der Startbox antrat, würde er die anderen ohne ihn loslaufen lassen.

Er war sich nur allzu deutlich der Tatsache bewußt, daß die Fernsehkameras auf ihn gerichtet waren und gnadenlos auf den kleinsten Fehler lauerten. Starter, die die Rennen mit Verspätung beginnen ließen, waren unbeliebt. Starter, die die Rennen zu früh beginnen ließen, forderten offiziellen Tadel und allenthalben Verwünschungen heraus, weil in der Vergangenheit oft genug aufgrund vorzeitiger Starts irgendwelche Schwindeleien eingefädelt worden waren.

Der Starter schloß den Fuchs vom Rennen aus und gab den Start mit einer Verspätung von drei Minuten und zwanzig Sekunden frei — eine Zahl, die er gewissenhaft in seine Unterlagen eintrug. Die Tore krachten auf, die fünfzehn noch verbliebenen Hengste schossen aus den Boxen, und die dicht geschlossenen Reihen der Ferngläser auf der Tribüne verfolgten ihren Lauf über tausend Meter.

Allein in seinem Turm beobachtete der Zielrichter das Rennen mit großer Aufmerksamkeit. Ein großes Feld von Zweijährigen über tausend Meter war immer schwierig und endete selbst für sein geübtes Auge gelegentlich als gleich mehrfach totes Rennen.

Er hatte die Namen aller Pferde auswendig gelernt — eine Pflicht, die er jeden Tag mit den Rennkommentatoren teil-te — und kannte sämtliche Rennfarben, und aufgrund seiner langen Bekanntschaft mit den Jockeys konnte er die meisten von ihnen allein an ihrem Reitstil erkennen. Und dennoch huschte die Furcht, einen Fehler zu machen, immer noch beklemmend durch seine Träume.

Oben auf seinem Ausguck blickte der Fernsehkommentator durch sein starkes Fernglas, das felsenfest wie ein Teleskop auf einem Sockel montiert war, und sprach ohne Eile in sein Mikrofon.

«An der Spitze jetzt Breakaway und Middle Park, dicht gefolgt von Pickup, Jetset, Darling Boy und Gumshoe… Am Zweihundertmeterpfosten drängen sich die Pferde an der Spitze dicht zusammen, man sieht sowohl Jetset als auch Darling Boy und Breakaway… Noch zweihundert Meter, und immer noch scheinen Darling Boy, Jetset, Gumshoe, Pickup direkt Kopf an Kopf zu liegen. Auf den letzten hundert Metern… Jetset, Darling Boy…«

Die Hengste reckten die Hälse, die Jockeys hieben mit ihren Peitschen, die Zuschauer stellten sich auf die Zehenspitzen und stießen ein Gebrüll aus, das die Kommentatoren übertönte, und dem Zielrichter brannten in seiner Loge die Augen vor Anstrengung. Darling Boy, Jetset, Gumshoe und Pickup schossen Brust an Brust am Zielpfosten vorbei, und eine unpersönliche Stimme verkündete aus den überall verteilten Lautsprechern:»Zielfoto, Zielfoto.«

Einen halben Kilometer entfernt lauschte Jamie Finland in seinem eigenen Zimmer dem Rennen am Fernsehgerät und versuchte sich die Bilder auf dem Schirm vorzustellen. Rennen hatten für ihn etwas Nebulöses. Er kannte die Form von Pferden, weil er Spielzeug in der Hand gehabt hatte und ein Schaukelpferd besaß, aber ihre Größe und ihre Geschwindigkeit waren ihm ein Rätsel; er hatte nicht die geringste Vorstellung von der Weite der Kurven einer eingezäunten Rennbahn oder von der Größe oder dem Aussehen von Bäumen.

Während er älter wurde, kam Jamie immer mehr zum Bewußtsein, daß seine Mutter ein Glücksfall war, und als Teenager hatte er eher einen Beschützerdrang entwickelt als rebellische Aufsässigkeit, was seine leidgeprüfte Mutter bisweilen zu Tränen rührte. Ihretwillen hatte er den Fernsehreparateur willkommen geheißen, da er wußte, daß für sie Ton ohne Bilder fast genauso schlimm war wie für ihn Bilder ohne Ton.

Soviel Mühe er sich auch gab, er konnte mit seinen hyperempfindsamen Fingerspitzen dem Bildschirm nur wenig entnehmen. Elektronisch produzierte Farben vermittelten ihm nichts von den Vibrationen natürlichen Lichts.

Er saß gekrümmt vor Anspannung an seinem Tisch, das Telefon neben seiner rechten Hand und eins seiner Radios neben seiner linken. Man konnte nicht sagen, überlegte er, ob sich dieses bizarre Ereignis wiederholen würde; aber wenn ja, würde er bereit sein.

«Noch zweihundert Meter, und immer noch scheinen…«, sagte der Fernsehkommentator, und seine Stimme schwoll vor Aufregung zu einem schrillen Crescendo an.»Auf den letzten hundert Metern Jetset, Darling Boy, Pik-kup und Gumshoe… am Pfosten alle gleichauf… vielleicht hat es Pickup gerade noch geschafft, aber wir werden auf das Foto warten müssen. In der Zwischenzeit sehen wir uns den Schluß des Rennens noch einmal an…«

Der Ton des Fernsehers normalisierte sich wieder, und Jamie wartete angespannt ab, die Finger auf den Ziffern des Telefons.

Auf der Rennbahn schwirrte die Menge wie ein Schwarm aufgeregter Bienen um die Buchmacher herum, die jetzt Geschäfte abschlossen, so schnell es nur ging. Entscheidungen nach Zielfotos erfreuten sich größter Beliebtheit bei echten Spielernaturen.

Einige Wetter glaubten wirklich an das, was ihre eigenen, schnellen Augen gesehen hatten, andere betrachteten es als eine Chance, sich gegen den Verlust ihrer Hauptwette abzusichern oder sogar einen feststehenden Verlust wieder wettzumachen. Ein Foto war die zweite Chance, der Rettungsring für den Ertrinkenden, die vorübergehende Gnadenfrist vor dem Augenblick zerrissener Wettscheine und tiefer Verzweiflung.

«Sechs zu vier auf Pickup«, rief der junge Billy Hit-chins heiser von seinem erstklassigen Buchmacherstand in der ersten Reihe vor der Tribüne.»Sechs zu vier auf Pickup.«

Eine Woge von Kunden, die die überfüllten Stufen hinunterkamen, stürzte sich auf ihn.»Ein Zehner, Pickup, jawohl, Sir. Fünf auf Gumshoe, jawohl, Sir. Zwanzig, Pik-kup, Sie sind dabei, Sir. Einhundert? Ja, wenn Sie wollen. Einhundert eins zu eins, Jetset, warum nicht. «Billy Hit-chins, nach dessen Meinung Darling Boy das Rennen um eine Nasenlänge gewonnen hatte, nahm das Geld nur allzugern in Empfang.

Greg Simpson nahm Billy Hitchins’ Wettschein über fünfzig eins zu eins auf Jetset entgegen und beeilte sich, seine Wette bei so vielen Buchmachern abzuschließen, wie er konnte. Man hatte nie viel Zeit zwischen der Übermittlung des Wissens und der Ankündigung des Siegers. Nie viel, aber immer genug. Mindestens zwei Minuten. Manchmal sogar ganze fünf. Ein entschlossener Zocker konnte in dieser Zeit fünf oder sechs Wetten plazieren, wenn er nur dicke Haut hatte und sich erbarmungslos seiner Ellbogen zu bedienen wußte.

Greg vermutete, daß er sich nach all diesen Jahren des Rush-Hour-Pendelns mit der U-Bahn auch durch die dichteste Menge wühlen konnte, und an diesem Tag in Ascot gelang es ihm, das ganze Bargeld auszugeben, das er mitgebracht hatte, alle vierhundert Pfund, alles auf Jetset.

Weder Billy Hitchins noch irgendeiner seiner Kollegen verspürten auch nur einen Anflug von Argwohn. Na schön, es hatte viel Unterstützung für Jetset gegeben; aber dasselbe galt auch für die drei anderen Pferde, und in einem Finish wie diesem wechselte immer eine ganze Menge Geld den Besitzer. Billy Hitchins selbst hieß solche Gelegenheiten immer willkommen, weil sie auch ihm die Gelegenheit boten, aus dem Rennen einen zusätzlichen Profit zu schlagen.