«Wenn Sie es tun wollen, dann tun Sie es«, sagte der Finanzberater.»Es gibt keinen Grund, warum Sie es nicht tun sollten.«
Es war inzwischen an diesem Donnerstagnachmittag lange nach Büroschluß, und der regelmäßig für Jules Harlow tätige Anwalt war nicht mehr in seiner Kanzlei und würde erst Montag wieder in der Stadt sein, so daß er sich von ihm nicht beraten lassen konnte. Jules Reginald Harlow trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch, blickte aus dem Fenster und dachte an die arme Mrs. Nutbridge, bis er schließlich deren Nummer wählte und ihrem Elend ein Ende machte.
«Oh!«rief sie und rang um Luft.»Oh! Wollen Sie das wirklich? Tun Sie es wirklich?«
«Sie müssen mir sagen, was ich tun soll.«
«Oh. Oh…«Langsam erholte sie sich.»Sandys Anwalt«, sagte sie.»Er heißt Patrick Green. Also, er ist nach Texas gefahren.«
«Was hat er getan?«
«Er hat dort einen anderen Fall. Er sagte, er müßte heute abend dorthin. Aber er meinte, eine Art Kollege von ihm… Nun, jedenfalls jemand, der sich das Büro mit ihm teilt… werde sich um Sandys Kaution kümmern. «Ihre Stimme schwankte vor Unsicherheit und Zweifel, ein getreues Abbild der Gefühle, die in Jules Harlow vorherrschten. Er wünschte sorgenvoll, niemals die Zweijährige von Sandy Nutbridge gekauft zu haben: ja, daß er überhaupt nicht erst die Idee gehabt hätte, seiner Verlobten ein Pferd zu schenken.
Mrs. Nutbridge sagte hastig:»Es ist alles in Ordnung, da bin ich mir ganz sicher. Sandys Freund sagt, wenn Sie mit einem Barscheck zeitig genug in seinem Büro sind, daß er ihn bis zwölf Uhr morgen mittag ins Büro des Distriktjustitiars bringen kann, wird Sandy am Nachmittag freigelassen werden.«
«Hm, wer ist denn dieser Freund?«
«Er ist ebenfalls Anwalt. Sein Name ist Carl Corunna. Er sagte, ich solle Ihnen seine Telefonnummer geben, und bittet Sie, ihn morgen kurz vor neun anzurufen; dann wird er in seinem Büro sein.«
Jules Harlow runzelte die Stirn, notierte sich die Telefonnummer und spürte, daß er sich nicht mehr in Ehren zurückziehen konnte, so gern er es auch getan hätte.
«Ich werde mich darum kümmern, Mrs. Nutbridge«, versicherte er ihr.»Haben Sie noch genug Geld für sich übrig, um etwas zu essen zu kaufen?«
«Mr. Wichelsea hat uns etwas gegeben. Er war wirklich sehr freundlich.«
Am Freitagvormittag rief Jules Reginald Harlow vor neun Uhr den Anwalt an, der sich die Büroräume mit Patrick Green teilte, und fragte ihn, was nun zu tun sei.
Dieser Kollege, Carl Corunna, gab gleichmütig einfache Anweisungen: Jules Harlow solle zu seiner Bank gehen und sich einen Barscheck über zehntausend Dollar ausstellen lassen. Dann solle Mr. Harlow in sein Büro kommen, das am Rand des Finanzzentrums lag. Er würde den
Scheck in Empfang nehmen, Mr. Harlow eine Quittung dafür ausstellen und ihn unverzüglich zum Gericht bringen.
Kollege Corunna gab ihm noch eine genaue Wegbeschreibung zu seinem Büro und sagte, er sei sich sicher, daß alles gutgehen würde. Das Aufbringen einer Kaution sei etwas ganz Gewöhnliches, reine Routine.
«Hm«, sagte Jules Harlow,»lasse ich den Barscheck auf Sie ausstellen?«
«Nein, nein. Ich vertrete Patrick Green nur während dessen Abwesenheit. Lassen Sie den Barscheck auf ihn ausstellen. Und kommen Sie, sobald Sie können. Von Ihnen bis zu meinem Büro ist es eine gute Stunde Fahrt, und es kommt auf jede Minute an, wie Sie wissen.«
Mit einem Seufzer milden Unwillens folgte Jules Harlow all diesen Instruktionen und erreichte die durchaus normalen Büroräume einer Anwaltskanzlei in einem etwa einen Kilometer vom Stadtzentrum entfernt gelegenen Gebäude. Um 11.25 Uhr parkte er davor.
Eine geschäftige Empfangskraft wies Jules Harlow den Weg in die büchergesäumte Domäne Carl Corunnas, der sich als beleibter, etwa gleichaltriger Bartträger von fünfzig Jahren erwies.
Beruhigt schüttelte Jules Harlow ihm die Hand. Carl Corunna sah sich einem eher zierlichen, wenig beeindruk-kenden Mann gegenüber, dessen irgendwie flaumiges Haar ergraut war; und wie gewöhnlich hatte er keine Schwierigkeit, die Begegnung zu dominieren und ihren Verlauf zu bestimmen.
«Sie haben den Scheck dabei?«fragte er, winkte Harlow zu einem Sessel und prüfte das teure Stück Papier, als er es in seinen großen Händen hielt, Zeile für Zeile und nickte zustimmend.
Er drückte ein paar Knöpfe auf seinem Telefon und erklärte Jules Harlow, daß er unverzüglich mit dem Büro des US-Bezirksjustitiars des Bundesbezirksgerichts sprechen würde.
«Ja«, sprach er in das Mundstück des Telefonhörers,»die letzten Zehntausend für Nutbridge sind hier. Ein Barscheck, ja. Ich werde ihn Ihnen sofort bringen. Und Sie stellen sicher, daß Nutbridge heute nachmittag auf freien Fuß gesetzt wird? Großartig. Vielen Dank.«
Er legte auf, rief seine Sekretärin, damit sie eine Fotokopie des Schecks machte, stellte eine Quittung aus, unterzeichnete sie und händigte sie Harlow aus.
«Und was passiert als nächstes?«fragte Harlow.
«Nichts«, erklärte Corunna ihm.»Wenn Sandy Nutbridge zu seiner Gerichtsverhandlung erscheint, erhalten Sie Ihr Geld zurück. Bis es soweit ist, warten Sie einfach.«
Mit dem Gefühl, daß der Sturm sich gelegt hatte, fuhr Jules Harlow ohne weitere Vorkommnisse heim. Sandy Nutbridge wurde um drei Uhr nachmittags aus der Zelle geholt und entlassen. Mrs. Nutbridge weinte vor Erleichterung, als er durch die Tür trat, und die Kinder verlangten zum Trost eine unendliche Menge Burgers und Pommes.
Mrs. Nutbridge rief Jules Harlow an, um ihm zu danken, und nach vergnüglichen Bootsfahrten auf dem See, mit denen sie den Rest ihrer Ferientage verbrachten, flog Sandys Familie sicher wieder nach England zurück. Sandy verkaufte weitere Pferde. Das Gericht kümmerte sich um andere Fälle, die Sache Nutbridge war nicht mehr so eilig. Und Jules Harlow, der von seiner Verlobten ganz hingerissen war, dachte nur noch dann an sein Abenteuer mit der Kaution, wenn die Zweijährige, die Sandy ihm verkauft hatte, ihre strammen, kleinen Beine fliegen ließ und wieder einmal ein Rennen gewann.
Drei Monate vergingen.
Gegen Ende dieser Zeit heiratete Jules Reginald Harlow seine wunderbare Rennsportlady und machte mit ihr eine Hochzeitsreise nach Paris. Während sie noch unterwegs waren, fand vor Gericht die Verhandlung gegen Sandy Nutbridge statt.
Sandy Nutbridge, der von dem ihm befreundeten Anwalt, Patrick Green (der inzwischen lange wieder aus Texas zurück war) unterstützt wurde, bewies vor Gericht erfolgreich, daß der Fiskus von falschen Voraussetzungen ausging und ihn irrtümlicherweise angeklagt habe. Der Richter pflichtete ihm bei und stellte den Fall ein. Da Nutbridge pünktlich zum Termin vor Gericht erschienen war, gab der Distriktjustitiar pflichtgemäß die seiner Obhut anvertrauten hunderttausend Dollar zurück.
Und das sollte eigentlich das Ende einer kaum bemerkenswerten Nichtkriminalgeschichte sein — wenn es nicht nur deren Anfang gewesen wäre.
Als Jules Harlow wohlgelaunt aus Frankreich zurückkam, rief er Ray Wichelsea an und beauftragte ihn, ein weiteres, gutes, junges Vollblut als Hochzeitsgeschenk für seine ihm frisch angetraute Frau ausfindig zu machen.
«Und übrigens«, fügte Jules Harlow hinzu,»gibt es irgendwelche Neuigkeiten von Sandy Nutbridge? Steht sein Verhandlungstermin schon fest?«
Ray Wichelsea erzählte ihm, daß die Anschuldigungen fallengelassen worden seien, und sagte, alles sei in bester Ordnung. Der US-Bezirksjustitiar habe ihm sein — Ray Wichelseas — Geld zurückgegeben, und Jules Harlow würde seins zweifellos ebenfalls in den nächsten Tagen erhalten, jetzt, da er wieder zu Hause sei.