Es dauerte eine Weile, bis Jules Harlow begriff, daß der Beschwerdeausschuß seine Sitzung in dem großen Sitzungssaal gegenüber dem Empfangsbereich der Suite bereits begonnen hatte, und als David T. Vynn eintraf, bestätigte ihm dieser das.
Die vierzehn Anwälte, die zur Zeit dem Beschwerdeausschuß angehörten, hatten bereits seit fast einer Stunde den Lügen und Wahrheitsverzerrungen Patrick Greens gelauscht.
«Sie werden ihm glauben!«rief Jules Harlow niedergeschlagen.
David T. Vynn blickte von ihm zu Mrs. Nutbridge.»Es liegt an Ihnen, sie davon zu überzeugen, daß hinreichende Verdachtsgründe vorliegen.«
Jules Harlow fragte noch einmaclass="underline" »Was sind hinreichende Verdachtsgründe?«
«Im Prinzip ist es so, daß, wenn der Ausschuß hinreichende Verdachtsgründe ausmacht, er zu einem späteren Termin gegen den betreffenden Kollegen verhandelt und ihn ausschließt, so daß er nicht mehr als Anwalt praktizieren kann — falls er oder sie zum Beispiel den ganzen Berufsstand in Verruf gebracht haben.«
«Wie bei den Ärzten?«fragte Mrs. Nutbridge.
David Vynn nickte.»Genau so.«
Zuerst rief der Ausschuß Mrs. Nutbridge allein auf. Jules Harlow wurde eine halbe Stunde später hineingerufen. Jeder von ihnen sah sich — einer nach dem anderen — in einem hell erleuchteten Raum vierzehn ernst dreinschauenden Anwälten gegenüber, die an einem langen Tisch saßen. Der Ausschußvorsitzende an einem Ende des Tisches bat Mrs. Nutbridge und später dann Jules Harlow, auf einem der wenigen leeren Stühle Platz zu nehmen und die ihnen gestellten Fragen zu beantworten.
Mrs. Nutbridge wurde ein Platz ungefähr in der Tischmitte zugewiesen; Jules Harlow sollte sich nach einem Wink des Ausschußvorsitzenden auf den einzig verbliebenen freien Platz am anderen Ende des Tisches setzen — zu seiner Bestürzung direkt neben Patrick Green. Auf Greens anderer Seite saß Carl Corunna. Eins schlimmer als das andere. Ausdruckslos nahm Jules Harlow seinen ihm zugewiesenen Platz ein und begann, recht hölzern, fast benommen wegen Greens körperlicher Nähe, die Fragen des Vorsitzenden zu beantworten. Die meisten davon setzten Greens Lügen als Tatsachen voraus.
Jules Harlow wußte, daß er seine Sache schlecht machte. Die versammelten Anwälte warfen sich angesichts seiner Antworten ungläubige Blicke zu, und Green neben ihm entspannte sich. Carl Corunna rümpfte die Nase.
Jules Harlow hörte im Geiste noch einmal David Vynns
Stimme:»Es ist nicht immer die Wahrheit, der man glaubt.«
Wenn man mir nicht glaubt, dachte er, ist es meine eigene Schuld.
Der Ausschußvorsitzende schaute in seine Notizen, die vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet lagen, und fragte Jules Harlow, an welchem Tag er Patrick Green am Telefon versprochen habe, daß er die zehntausend Dollar einbehalten könne, sobald sie vom Gericht zurückgegeben würden.
Der Vorsitzende, übergewichtig und mit chronischen Verdauungsstörungen geschlagen, fand die Verhandlung ermüdend. Die Hälfte der Ausschußmitglieder kämpfte gegen den Schlaf. Patrick Green lächelte.
Jules Harlow holte tief Luft und sagte laut:»Ich hätte niemals der Bezahlung irgendwelcher Honorare für Sandy Nutbridge zugestimmt.«
Einer der vor sich hin dösenden Anwälte riß weit die Augen auf und sagte:»Warum nicht?«
«Weil ich ihn nicht kannte.«
«Aber…«
«Als ich das Geld für seine Kaution zur Verfügung stellte, hatte ich ihn erst ein einziges Mal gesehen. Und zwar an dem Tag, als ich ein Pferd von ihm kaufte. Ein ganz gutes Pferd, wie sich herausstellte. Eine Stute. Vielleicht würden Sie gerne morgen im vierten Rennen auf sie setzen.«
Eine Welle der Erheiterung spülte jede Neigung zum Einschlafen davon.
«Wenn Sie Nutbridge nicht kannten…«, der Vorsitzende runzelte die Stirn,»… warum haben Sie dann Geld für seine Kaution zur Verfügung gestellt?«
«Wegen seiner Mutter. Ich habe es für sie getan. «Jules zeigte auf Mrs. Nutbridge.»Ich tat es, weil sie weinte. Ich tat es, weil sie Engländerin ist und ich Engländer bin. Sie in Ihrem Fall würden vielleicht die Hilfe eines amerikanischen Landmanns finden, wenn einer von Ihnen im Ausland darum bäte. Ich habe es einfach getan, weil ich es wollte.«
Einen kurzen Augenblick lang schwiegen alle erstaunt, bis sich eine Dame aus dem Ausschuß räusperte und mit einem Anflug von Humor bemerkte:»Wenn Sie mir die Frage gestatten, Mr. Harlow, sind zehntausend Dollar für Sie ein großer Batzen Geld?«
Jules Harlow lächelte.»Eigentlich nicht. Ich bitte Sie nicht, Patrick Green dazu zu bringen, mir zurückzugeben, was mir gehört, weil ich dieses Geld benötigte. Sondern wegen der Prinzipien, die hier auf dem Spiel stehen. Weil er Sie alle an der Nase herumführt.«
Harlow holte noch einmal tief Luft und sagte in das anhaltende Schweigen hinein:»Wenn ich es mir nicht hätte leisten können, zehntausend Dollar zu verlieren, dann wäre ich Mrs. Nutbridge nicht zu Hilfe gekommen. Aber ich hätte mich auf keinen Fall einverstanden erklärt, die Anwaltshonorare ihres Sohnes zu begleichen. Warum hätte ich das tun sollen? Ich habe kein einziges Mal mit irgend jemandem über irgendwelche Honorare geredet, nicht mit Patrick Green noch mit Carl Corunna noch mit Sandy Nutbridge. Ich habe darauf vertraut, daß Sandy Nutbridge seine Kaution durch termingerechtes Erscheinen vor Gericht auslösen würde, und das hat er getan. Ich habe einem Anwalt vertraut, daß er mir das Geld, von dem er wußte, daß ich es in gutem Glauben für eine Kaution gegeben habe, zurückgeben würde, und er hat es einbehalten. Ich habe einem Pferdehändler vertraut, und ich habe einem Anwalt vertraut. Wem von beiden hätten Sie Ihr Geld anvertraut?«
Der Beschwerdeausschuß verhandelte hinter geschlossenen Türen weiter und verkündete am nächsten Tag, daß er keinen» hinreichenden Verdacht «feststellen könne und daß der Fall damit abgeschlossen sei.
«Ich habe es vermasselt«, sagte Jules Harlow in der gleichen Woche bei einem Frühstück mit David Vynn düster.
«Das haben Sie bestimmt nicht«, versicherte David Vynn ihm.»Ich habe mir sagen lassen, daß der Ausschuß beinahe ausnahmslos Ihnen geglaubt hat und nicht Patrick Green.«
«Warum dann aber…?«:
«Sie schließen fast nie einen Kollegen aus. Selbst wenn sie wissen, daß Green bis zum Hals in der Sache drinsteckt, lassen sie ihn gehen, wenn auch nur die geringste Möglichkeit eines Zweifels besteht. Der geringste Zweifel ist ausreichend, wußten Sie das nicht?«
Jules Harlow sah zu, wie David T. Vynn sich daranmachte, einen Stapel Buchweizenpfannkuchen mit Bananen zu vertilgen.
«Wie auch immer«, sagte Jules Harlow,»Patrick Green ist damit durchgekommen.«
David löffelte sich geschlagene Butter auf seine Pfannkuchen und nahm in Vorfreude auf den dramatischen Augenblick einen besonders großen Happen auf seine Gabel.
«Patrick Green«, sagte er,»ist nichts dergleichen.«
«Er hat immer noch mein Geld.«
«Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, daß es unwahrscheinlich ist, daß Sie es zurückbekommen.«
«Aber wie ist es dann möglich, daß er nicht damit davongekommen ist?«
David Vynn widmete sich gedankenverloren seinem Pfannkuchen.»Ich habe unglaublich ergiebige Informationsquellen. Man erzählt mir so dies und das, wissen Sie. Man sagt mir, daß Sie den Beschwerdeausschuß in Erstaunen versetzt hätten. Sie gelten dort als ein makellos ehrlicher Zeuge. «Er hielt inne.»Sie alle wissen, daß Sie es sein werden, dem man glaubt, wenn vor Gericht gegen Patrick Green verhandelt wird.«
«Wenn!«