Выбрать главу

Es kommt ganz auf den Einsatz an.

Austin Dartmouth Glenn machte sich mit einem dicken Bündel neuer Banknoten in der Tasche und einer Mischung aus schlechtem Gewissen und gespielter Tapferkeit auf den Weg zum Grand National.

Austin Dartmouth Glenn war sich bewußt, daß er geschworen hatte, die Banknoten nicht vorzeitig in Umlauf zu bringen. Nicht in den nächsten fünf Jahren, hatte man ihm eingeschärft. In fünf Jahren würde sich der Wirbel gelegt haben und der Millionenraub Geschichte sein. Die Polizei würde mit der Aufklärung neuerer Verbrechen zu tun haben, und die heißen Seriennummern würden auf überholten Listen zu fliegendreckgesprenkelter Bedeutungslosigkeit verblaßt sein. In fünf Jahren konnte er gefahrlos das kleine Vermögen ausgeben, das er für seine Rolle bei der Befreiung des Chefs der Bankräuber aus dem Gefängnis erhalten hatte.

Das war ja alles gut und schön, überlegte Austin störrisch, während er aus dem Zugfenster blickte. Aber was war mit der Inflation? In fünf Jahren war sein kleines

Vermögen in Scheinen vielleicht nicht mal mehr das Papier wert, auf dem diese gedruckt waren. Vielleicht hatte sich auch die Farbe und Größe der Banknoten bis dahin verändert. Er hatte von einem verzweifelten Safeknacker gehört, der nach zwölf abgesessenen Jahren nur noch einen Haufen alter Fetzchen vorgefunden hatte. All diese Zeit abgesessen für einen Haufen veralteten, uneinlösbaren Mülls. Austin Glenns Lippen zuckten mitleidig bei diesem Gedanken. Ihm würde das nicht passieren, o nein, ihm nicht.

Austin hatte seinen Zugfahrschein mit gewöhnlicher Währung bezahlt, ebenso wie die Bierdosen, die zellophanverpackten Sandwiches und die Ausgabe einer Rennzeitung. Die heißen neuen Scheine, die sicher in einer Innentasche verstaut waren, würde er nicht ausgeben, bevor er in der hektischen Anonymität der großen Menschenmenge auf dem Rennplatz Aintree untergetaucht war. Er war kein Narr, natürlich nicht, dachte er selbstgefällig. Ein sauberer Stapel von Banknoten, druckfrisch und fortlaufend numeriert, mochte selbst den Arglosesten neugierig machen. Aber niemand würde jetzt, nachdem er sie mit eigens zu diesem Zweck beschmutzten Händen gerieben und zerknittert hatte, einen zweiten Blick darauf werfen.

Er wischte sich mit dem Handrücken das Bier vom Mund; ein knochiger Mann von zirka vierzig Jahren mit ordentlich gekämmtem, dünnem, grauschwarzem Haar und rastlosen Augen, der ein unerschütterliches Selbstbewußtsein zur Schau stellte. Ein Leben an der Peripherie des Verbrechens hatte ihm Hunderte zweifelhafter Bekanntschaften beschert, einen weitverzweigten Fundus an Informationen und profunde Kenntnisse, wie man Bestechungsgelder kassierte, ohne unfein die Hand danach auszustrecken. Niemand mochte ihn Besonders, aber Austin war nicht feinfühlig genug, um das zu bemerken.

Etwas weiter vorne im selben Zug saß Jerry Springwood und schwitzte aus drei Gründen. Zum einen war er den Aufenthalt im Freien gewohnt und fand die Hitze im Abteil erdrückend; zum anderen war er wegen übermäßigen Alkohol- und Sexkonsums schon sehr spät dran, und er würde sehr wahrscheinlich seinen Job verlieren, wenn er tatsächlich zu spät kam; aber vor allem schwitzte er aus Angst.

Jerry Springwood hatte mit seinen zweiunddreißig Jahren seinen Schneid verloren und versuchte das Gewerbe eines Jagdrennjockeys weiter zu Betreiben, ohne irgend jemanden etwas davon merken zu lassen. Die alten Tage, da er mit kühlem Verstand zu reiten pflegte und gelegentliche Stürze ihm schlimmstenfalls lästig waren, lagen lange zurück. Seit Monaten reiste er jetzt mit lähmender Angst zu den Rennveranstaltungen, sah im Geiste scharfe Knochenenden aus seiner Haut ragen, ein zerschmettertes Gesicht oder ein verletztes Rückgrat… und erlebte die Schmerzen im Geiste. Seit Monaten war es ihm nicht mehr möglich, Risiken einzugehen, die ihm früher überhaupt nicht als Risiken erschienen wären. Seit Monaten war er außerstande, seine Pferde in Lücken zu führen, auch wenn nur das ihm den Sieg eintragen konnte; und seit Monaten konnte er sich einfach nicht mehr zurückhalten, seine Pferde vorm Sprung zu beruhigen, auch wenn nur ein Tritt das Richtige war.

Die Sorgfalt, die ihn an die Spitze gebracht hatte, verwandte er nun darauf, seine Unzulänglichkeiten zu verbergen, und sein seit langem bestehender, guter Ruf verhalf den Erklärungen, die er Besitzern und Trainern für seine Niederlagen lieferte, zu Glaubwürdigkeit. Nur die Scharfsichtigsten sahen die verhohlenen Zeichen des Nachlassens, und nur wenige von ihnen hatten ihre privaten Zweifel bisher in private Worte gefaßt. Für die breite Öffent-lichkeit, die in der Teilnehmerliste des Grand National nach Anhaltspunkten für ihre Wetten suchte, war der alte Jerry Springwood als Jockey ein zusätzliches Plus zugunsten des dritten Favoriten Haunted House.

Vor einem Jahr, überlegte er düster, während er die vorbeifliegenden Felder betrachtete, wäre er nicht so dumm gewesen, in der Nacht vor dem großen Rennen in London eine Party zu besuchen. Vor einem Jahr wäre er irgendwo in der Nähe der Rennbahn geblieben und hätte vielleicht ein paar Bier getrunken, bevor er früh — und allein — zu Bett gegangen wäre. Er hätte nicht mal im Traum daran gedacht, nach dem Freitagsrennen eine Vier-StundenFahrt nach Süden zu machen oder sich zu betrinken oder um zwei Uhr morgens mit einem Mädchen, das er erst drei Stunden kannte, ins Bett zu gehen.

Er hätte den Gedanken an die Anstrengung vom Samstagnachmittag nicht zu verdrängen brauchen, hätte ihr vielmehr entgegengefiebert, voller Eifer, Erregung und unauslöschlicher Hoffnung. O Gott, dachte er verzweifelt, was ist nur aus mir geworden? Er war klein und stark, mit drahtigem, mittelbraunem Haar, tiefliegenden Augen und einer Nase, die von zu häufigem und zu schnellem Kontakt mit dem Boden flach geworden war. Ein Bauernsohn, natürlich im Umgang mit Tieren und mit dem gesellschaftlichen Schliff, den der Erfolg bringt. Die Leute mochten Jerry Springwood für gewöhnlich, aber er war zu bescheiden, um es zu bemerken.

Das Publikum strömte fröhlich auf die Rennbahn Aintree, wohlausgestattet mit Hoffnung, Vertrauen und Bargeld. Austin blätterte den ersten der heißen Scheine am Drehkreuz hin und sah selbstzufrieden zu, wie er in der Anonymität der Eintrittsgelder versank. Für den nächsten bekam er in einer überfüllten Bar problemlos Wechselgeld, und genauso ging es mit einem dritten, für den er Rennberichte kaufte. Ein Kinderspiel, dachte er hämisch. Es war doch sinnlos, das Zeug fünf Jahre festzuhalten.

Der Toto hatte wie gewöhnlich seine Schalter eine Stunde vorm ersten Rennen geöffnet, um Wetten für das Grand National entgegenzunehmen, denn nach dem zweiten Rennen blieb nicht mehr genug Zeit, um die Nachfrage nach Wettscheinen für das große dritte Rennen zu befriedigen. Es hatten sich bereits lange Schlangen gebildet, als Austin zum Toto ging, um auf seinen Favoriten zu setzen. Genau wie er wußten auch die anderen aus Erfahrung, daß es am besten war, früh zu wetten, wenn man einen guten Platz auf der Tribüne haben wollte.

Er wartete in der Schlange eines Toto-Schalters und notierte seinen Tip auf seinem Rennprogramm. Als er an die Reihe kam, sagte er:»Einhundert auf Sieg, Nummer zwölf — im National«, und zählte ohne Gewissensbisse die sorgfältig zerknitterten Scheine ab. Die vielbeschäftigte Frau hinter dem Schalter gab ihm seine Wettscheine, ohne ihm größere Beachtung zu schenken.»Der Nächste?«sagte sie und sah schon über seine Schulter hinweg den Mann hinter ihm an. Kinderleicht, dachte Austin selbstgefällig, während er seine Scheine in der Jackentasche verstaute. Einhundert auf Nummer zwölf, auf Sieg. Es hatte keinen Sinn, sich mit Platzgeldern abzugeben, sagte er immer. Und man durfte schließlich nicht vergessen, daß er ein ziemlich gutes Auge für die Form eines Pferdes hatte: Das war eine Fähigkeit, auf die er stets stolz gewesen war. Niemand in dem Rennen hatte bessere Chancen als der dritte Favorit, Haunted House, und einen besseren Jockey als Springwood konnte man sich nicht wünschen, oder? Selbstzufrieden schlenderte er wieder zur Bar und genehmigte sich noch ein Bier.