Um sieben Uhr fünfundvierzig am Morgen des Rennfreitags in Winchester nahm Wendy Billington Innes, die noch gemütlich im Bett lag und ihren Tag plante, das Telefon auf ihrem Nachttisch ab und hörte die Stimme des Steuer- und Finanzberaters der Familie, der dringend darum bat, Jasper sprechen zu dürfen.
Jaspers Hälfte des großen Himmelbettes war leer, aber da er oft in seinem Ankleideraum nebenan schlief, wenn er spät heimkam, ging seine Frau unbesorgt hinüber, um ihn zu wecken.
Unbenutzte Laken; kein Jasper.
«Er ist nicht hier«, teilte seine Frau mit, als sie wieder am Telefon war.»Er ist in der letzten Nacht nicht nach Hause gekommen. Sie wissen ja, wie er ist, wenn er Backgammon oder Black Jack spielt. Das geht dann die ganze Nacht durch. «Sie entschuldigte seine Abwesenheit leichthin, wie sie es immer tat.»Wenn er heimkommt, soll ich ihm dann etwas ausrichten?«
Der Finanzberater fragte matt, da er die Antwort im voraus kannte, ob Wendy — Mrs. Innes — schon die Finanznachrichten in der Zeitung gelesen habe. Nein, hatte sie nicht.
Hellhörig geworden, verlangte Wendy Billington Innes zu wissen, was eigentlich los sei, und wünschte, als sie die Antwort vernommen hatte, sie hätte nicht danach gefragt.
«Im Kern«, sagte der Finanzberater bekümmert,»geht es darum, daß über die Firma von Stemmer Peabody das Konkursverfahren eröffnet worden ist, das bedeutet… Es fällt mir schwer, es zu sagen…, aber es bedeutet, daß Jaspers Vermögen — und das einiger anderer — ernstlich gefährdet ist.«
Wendy sagte wie betäubt:»Was genau bedeutet ernstlich gefährdet<?«
«Es bedeutet, daß der Finanzmanager, dem Jasper und andere ihre Angelegenheiten anvertraut haben, ihr ganzes Geld als Sicherheit für eine Unternehmung verpfändet und… eh… es verloren hat.«
«Das kann doch nicht sein!«protestierte Wendy.
«Ich hatte ihn gewarnt«, sagte der Finanzberater traurig,»aber Jasper traute diesem Experten und unterzeichnete Verträge, die ihm zuviel Verfügungsgewalt einräumten.«
«Aber wir haben ja immer noch mein Geld«, rief Wendy.
«Selbst wenn Jasper einiges von seinem verloren hat, können wir von meinem Geld durchaus gut leben.«
Auf eine bestürzende Pause folgte die schlimme, lähmende Nachricht.
«Mrs. Innes… Wendy… Sie haben Jasper Ihre Angelegenheiten ganz anvertraut. Auch Sie haben ihm vielleicht zu sehr freie Hand gelassen. Ihr Geld ist mit seinem dahin. Ich hoffe, daß es uns möglich sein wird, so viel zu retten, daß Sie noch recht gut davon leben können, obwohl natürlich nicht mehr so, wie Sie es jetzt können. Es sind ja noch die Treuhandvermögen der Kinder da und dergleichen. Ich muß mit ihm über seine Pläne sprechen.«
Als sie wieder ein Wort hervorbringen konnte, fragte Wendy:»Weiß Jasper davon?«
«Er hat es gestern erfahren, als die Neuigkeit in der Stadt die Runde machte. Er ist ein ehrenhafter Mann. Man sagt, daß er seitdem versuche, Geld auf zutreiben, um seine Spielschulden zurückzuzahlen. Ich weiß zum Beispiel, daß er versucht, sein Rennpferd Lilyglit zu verkaufen.«
«Lilyglit! Das wird er niemals tun! Er betet das Pferd an. Es läuft heute in Winchester.«
«Ich fürchte… daß Jasper in Zukunft nicht mehr in der Lage sein wird, Rennpferde trainieren zu lassen.«
Wendy Billington Innes brachte es nicht über sich zu fragen, was alles sonst er sich zu leisten nicht in der Lage sein würde.
Jasper Billington Innes hatte es bereits erfahren. Wie so viele andere in der Vergangenheit, die ohne eigene Schuld durch den Zusammenbruch des Versicherungssyndikats bei Lloyd’s of London furchtbar verarmt waren, war er zuerst nicht in der Lage, den Grund für seine Verluste und das Ausmaß derselben zu erfassen.
Er war nicht dumm, allerdings auch nicht besonders scharfsinnig. Er hatte ein bedeutendes Vermögen geerbt, hatte aber kein Talent fürs Geschäft.»All das «hatte er einem Burschen bei Stemmer Peabody überlassen, dem er vertraute — ein Vorgehen, das am Vorabend zu einer Krisensitzung zusammen mit anderen geführt hatte, die der Bankrott von Stemmer Peabody in den gleichen Abgrund gestürzt hatte. Frauen hatten gewütet und geweint, Männer hatten geschrien oder waren aschfahl geworden. Jasper Billington Innes war es übel geworden.
Ehrenhaft in fast allen Dingen, sah er es selbst in der Lawine dieses Unglücks als seine Pflicht an, sofort seine privaten Schulden zu begleichen. Er stellte seinem Schneider und seinem Weinhändler Schecks aus, auch seinem Klempner, nicht über Summen, die in jedem Fall die gesamten ausstehenden Beträge gedeckt hätten, aber doch mehr als genügend, um seine gute Absicht zu zeigen. Er konnte seine normalen Haushaltsausgaben noch für einen Monat bestreiten, wenn er dem gesamten Personal sofort kündigte. Übrig blieben die hohen Schulden bei seinem Buchmacher und dem Besitzer seines Spielclubs, dessen zur Zeit noch verständnisvolles Entgegenkommen sich in Luft auflösen würde, sobald die schlechten Neuigkeiten bekannt wurden.
Das einzig wirklich Wertvolle, was ihm noch blieb, dachte er in seinem Jammer, war sein ungemein schnelles Hindernisrennpferd Lilyglit. Seine anderen drei Hindernispferde waren inzwischen alt und nicht mehr viel wert. Am Donnerstag gegen Mitternacht hatte er beim glücklosen Versuch, sich durch Spiel aus der Katastrophe zu retten, ein weiteres kleines Vermögen am Spieltisch eingebüßt. Um vier Uhr am Morgen, nachdem er einen Teil seiner Verluste wieder zurückgewonnen hatte, schloß er mit seinen Spielgläubigern einen Handel über Lilyglit ab, den selbst die als das Ergebnis von unkluger Panik ansahen. Sie hatten inzwischen von seiner extremen Zwangslage gehört. Dennoch akzeptierten sie ernst seine Unterschrift und, da sie ihn mochten, wünschten sie ihm wirklich alles Gute.
Nummer zwei. Fable Während sich Christopher Haig am Freitagmorgen rasierte, befanden sich die Brüder Arkwright in ihren Stallungen hundert Kilometer weiter nördlich und widmeten sich Fable, dem Pferd, das für sie im Cloister Handicap Hurdle laufen sollte.
Im langsam zunehmenden Licht der Morgendämmerung flochten sie säuberlich die Mähne des Pferdes und bürsteten seinen Schwanz und umwickelten ihn dann sorgfältig mit Bandagen, damit er beim Rennen immer noch ordentlich und sauber wirkte. Sie strichen seine Hufe mit kosmetischem Öl ein und gaben ihm eine Schüssel mit Hafer zu fressen, um ihm Ausdauer und Wärme für die Fahrt nach Süden zu geben.
Vernon Arkwright, Jockey, und sein zehn Jahre älterer Bruder Villiers, Trainer, begrüßten den Hufschmied, der gekommen war, Fables Allzweckhufeisen gegen dünne, schnelle Renneisen auszuwechseln. Der Hufschmied gab acht, daß seine Nägel dem Pferd nicht in die Hufe stachen: Die Arkwrights waren bekannt dafür, daß sie einem jedes Mißgeschick mit derben Scherzen heimzahlten.
Die Brüder Arkwright, Vernon und Villiers, waren so aufrecht wie ein schiefer Winkeclass="underline" Alle wußten es, aber Beweise waren Mangelware und pflegten sich stets zu verflüchtigen. Fable hatte die Nummer zwei für das Cloister Hurdle auf einem Zickzackweg verlorener und gewonnener Rennen erreicht, der so verdächtig war wie die Fußspuren eines Geistes. Beide Brüder waren vor die Ste-wards zitiert worden, um» Unstimmigkeiten bei den Rennen «zu erklären. Beide hatten engelgleich — die Hand auf dem Herzen — erklärt, daß Pferde eben keine Maschinen seien. Mehr aufgrund von Verdachtsmomenten als von Beweisen hatte man Villiers eine Geldstrafe auferlegt und Vernon in einen kurzen Zwangsurlaub geschickt. Beide hatten öffentlich protestiert und die verletzte Unschuld gespielt, privat aber vor Erleichterung Freudentänze aufgeführt. Die Stewards warteten nur darauf, sie einmal auf frischer Tat zu ertappen und dann von den Rennen auszuschließen.
Der Besitzer des Pferdes, ein Vetter der Arkwrights, hatte die Nachforschungen erschwert, indem er bei jedem der Rennen Wetten auf sein Pferd abgeschlossen hatte, und zwar stets den gleichen Betrag, ob es nun letzten Endes gewann oder verlor. Er hatte den Jockey und den Trainer gebeten, ihm nicht zu verraten, mit welchem Ergebnis sie rechneten, damit seine Freude oder seine Enttäuschung echt wäre und vor allem echt wirkte.