Im Laufe der Jahre hatte das verschworene Trio von Besitzer, Trainer und Jockey meistens mit schlechteren Pferden als Fable eine hübsche Ernte steuerfreien Einkommens eingefahren.
Am Freitag der Frühjahrsrennen von Winchester waren sie als Team immer noch für Vorschläge offen. Sie hatten noch nicht entschieden, ob Fable nun versuchen sollte, das Rennen zu gewinnen oder zu verlieren. Sie bezweifelten, daß das Pferd schnell genug war, Lilyglit überhaupt schlagen zu können, aber unangenehmerweise hatte ihnen bisher noch niemand Geld dafür geboten, es das Pferd überhaupt erst versuchen zu lassen. Es machte ganz den Anschein, als würde Fable sein Bestes geben müssen und versuchen, das Preisgeld für den zweiten oder dritten Platz heimzubringen.
Diese Geradlinigkeit lief allen Instinkten der Arkwrights zuwider.
Nummer drei. Storm Cone
Am Freitagmorgen der Frühjahrsrennen in Winchester, wenigstens zwei Stunden bevor Christopher Haig sich in seinem Badezimmer konzentriert zu rasieren begann und seine Träume träumte, löste sich Moggie Reilly von der schweißglänzenden Nacktheit der jungen Frau in seiner Umarmung und ließ seine Hand auf den Wecker fallen, um dessen Klingeln abzustellen.
Moggie Reillys Kopf dröhnte von einem mächtigen Kater, und sein Mund war trocken und klebrig als Folge einer allzu sorglosen Mischung alkoholischer Getränke. Moggie Reilly, Hindernisjockey, mußte am gleichen Nachmittag auf der Rennbahn in Winchester eine athletische Spitzenleistung vollbringen — zwei Hürdenrennen und ein Jagdrennen von fünf Kilometern. Aber zunächst einmal erwartete der Trainer, für den er ritt — John Chester —, lediglich, daß er zumindest nüchtern genug zum Morgentraining erschien, um aufrecht im Sattel zu sitzen.
Am Freitagmorgen wurde normal gearbeitet, und das bedeutete, daß die Pferde ihre Muskeln bei einem vollen Trainingsgalopp schulten. Erfahrene Kräfte wie Moggie Reilly — so geschmeidig wie eine Katze mit seinen vierundzwanzig Jahren — absolvierten solche Ritte auch im Halbschlaf. An diesem Freitag blinzelte er in seinen Badezimmerspiegel, während er versuchte, seinen Gaumen mit einer Zahnbürste wiederzubeleben, bis er schließlich ein schwaches Echo des leichtsinnigen Grinsens zuwege brachte, das die junge Frau in seinem Bett so hinreißend fand. Eigentlich hätte sie in der Sicherheit ihres eigenen Bettes am anderen Ende der Pferderennstadt Lambourn schlafen sollen…
Sarah Driffield. Ja, das war ein Mädchen. Und nun lag Sarah Driffield unzweifelhaft in seinem Bett. Und ebenso unzweifelhaft war er während der wenigen in horizontaler Lage zugebrachten Stunden dieser Nacht nicht völlig untätig gewesen. Was für eine Verschwendung, dachte er bekümmert, daß er sich an so wenig davon klar erinnern konnte.
Als er sein Reitzeug angezogen und sich eine Tasse starken Kaffees gekocht hatte, war Sarah Driffield ebenfalls aufgestanden, hatte sich angekleidet und fragte:»Was mache ich bloß hier? Mein Vater wird mich umbringen. Wie zum Teufel komme ich ungesehen nach Hause?«
Mit der Morgendämmerung erwachten auch die neugierigen Augen von Lambourn. Und am Abend brodelte die Gerüchteküche. Sarah Driffield konnte als Tochter der amtierenden Nummer eins der Hindernistrainer für ihre un-geplante Eskapade mit diesem so boshaft überzeugenden Jockey kein öffentliches Aufsehen gebrauchen. Denn er ritt für John Chester, den bedrohlichsten Rivalen ihres Vaters.
Grinsend, aber voller Verständnis für ihr Problem, gab Moggie Reilly ihr die Schlüssel seines Wagens und riet ihr, die Wohnung nicht zu verlassen, bevor die vierbeinigen Einwohner der Stadt alle zum Trainingsgelände bewegt worden seien. Er sagte ihr, wo sie den Wagen abstellen und die Autoschlüssel verstecken solle, und beschloß, durch die Stadt zu John Chesters Stallungen zu joggen. Ein wenig Bewegung und frische Luft konnten ihm bei seinem Kater nur guttun.
Sarah Driffield! Er bog sich innerlich vor Lachen.
Alles hatte angefangen am letzten Abend bei dieser Geburtstagsfeier in The Stag, einer der besten Kneipen in der Gegend. Sie waren beide als Gäste dort gewesen. Es hatte sich in der sorglos ausgelassenen Atmosphäre und vor allem nach der letzten Runde von Drinks so ergeben. Diese Drinks waren mit dem zuvor genossenen Lagerbier und Whisky eine katastrophale Verbindung eingegangen. Der Tequila-Hammer. Nie wieder, schwor sich Moggie Reilly. Er trank nur selten zuviel und haßte den Kater am nächsten Morgen. Er erinnerte sich noch, daß er Sarah Driffield angeboten hatte, sie nach Hause zu bringen. Aber wieso waren sie dann bei ihm zu Hause gelandet, fünf Kilometer von The Stag entfernt, und nicht bei ihr, deren Heimweg nur einen Kilometer lang war? Nach seinem Alkoholkonsum zu schließen, mußte Sarah Driffield gefahren sein.
Moggie Reilly gehörte zwar zu den zehn besten Hindernisjockeys, hätte aber dennoch normalerweise Sarah Driffield nicht als geeignetes Material zum Küssen und Knutschen angesehen — was, zugegebenermaßen, an der Macht, dem Status und den legendären Fäusten ihres Vaters lag. Percy Driffields Ansichten, welche Gesellschaft für seine sorgfältig erzogene, neunzehnjährige Tochter, sein einziges Kind, annehmbar sei, waren wohlbekannt. Sie schlossen jeden aus, der sich erhoffte, durch eine Heirat mit ihr seinen Rennstall zu erben. Man sagte, er habe bereits ganze Heerscharen von Verehrern abgeschreckt, und seine Tochter, die nicht dumm war, benutzte seine generelle Mißbilligung als Schutzschild gegen unwillkommene Annäherungsversuche. Wie hatte es angesichts all dessen nur geschehen können, daß die hinreißende Miss Driffield, die ungekrönte Miss Lambourn, die Stufen zum Hause Reilly ohne Widerspruch erklommen hatte? Dieses Rätsel ließ Moggie Reilly beim Joggen nicht los.
John Chester bemerkte wohl, daß seinem Jockey jeder Schritt weh tat, als er ankam, zuckte aber nur die Achseln. Die schnellen Galopps wurden zu seiner Zufriedenheit absolviert (nur darauf kam es an), und danach lud er zu einem Frühstück mit Besprechung der Taktik für die Rennen von Winchester ein.
Kurz nach acht Uhr dreißig, während Wendy Billington Innes dreißig Kilometer weit entfernt immer noch wie erstarrt und in hilfloser Ungläubigkeit auf ihrem Ankleide-schemel saß, erklärte der massige und aggressive John Chester seinem Jockey, daß Storm Cone das vierte Rennen, das Cloister Hurdle, um jeden Preis gewinnen müsse. Moggie müsse es irgendwie schaffen.
John Chester hatte genau nachgerechnet; das Preisgeld des Cloister Hurdle würde ihn auf der Liste der erfolgreichsten Hindernistrainer (nach der Summe gewonnener Preisgelder) an die erste Stelle bringen. Hohe Preisgelder waren zu dieser Jahreszeit rar, da die Hindernisrennsaison fast vorüber war: Das letzte Rennen fand am folgenden Tag, am Samstag, statt, aber dafür hatte Percy Driffield kein passendes Pferd. Mit etwas Glück konnte John Chester das Cloister gewinnen und würde ein paar Wochen lang vor Percy Driffield liegen.
John Chester lechzte förmlich danach, der beste Trainer zu sein und Percy Driffield zu demütigen.
«Finden Sie eine Möglichkeit«, sagte er seinem Jockey,»diesen verreckten Lilyglit zu schlagen. Er muß doch irgendeine Achillesferse haben.«
Moggie wußte alles über Lilyglit, denn er war dem hellen Fuchs zweimal bei anderen Gelegenheiten durch die Zielpfosten hinterhergeritten. Er bezweifelte, daß Storm Cone Lilyglit jemals schlagen würde, war aber taktvoll genug, keine diesbezügliche Bemerkung zu machen. Er aß trockenen Toast, um sein Gewicht niedrig zu halten, und ließ John Chesters Phantastereien über sich hinwegschwappen.
Sarah Driffield fuhr Moggie Reillys Wagen zurück, um ihn vor The Stag zu parken, wie er es erbeten hatte, und verstaute die Wagenschlüssel in einer versteckt angebrachten Magnethaftbox. Jetzt bei Tageslicht nahm sie den kürzeren Weg nach Hause, der durch die Felder führte und den sie in der vergangenen Nacht gescheut hatte. Als ihr Vater vom Trainingsgalopp der Pferde zurückkam, saß sie geduscht und umgezogen in der Küche und frühstückte gerade.