Nr. drei, Storm Cone. Jockey Mr. Reilly» mit den neun Leben«. Sie werden es auf alle Fälle versuchen, und der Ausgleich begünstigt sie; aber werden sie fürs Finish schnell genug sein?
Jasper schluckte und rief einen Freund an, der wissen mußte, wie er mit den Arkwrights in Verbindung treten konnte. Dann erreichte er schließlich Vernon Arkwright, der ihm unaufgeregt zuhörte.
Jasper fand es beim zweiten Mal leichter, eine Kommission anzubieten. Er glaubte es beinahe selbst.
«Ich soll für Sie also Storm Cone daran hindern, Lilyglit zu schlagen«, sagte Vernon, der die Dinge unverblümt klar aussprach.
«Eh.«
«Und ich bekomme nichts dafür, wenn nicht Lilyglit gewinnt und ich auf irgendeine Weise dazu beigetragen habe. Ist das richtig?«
«Eh. Ja.«
Vernon Arkwright seufzte. Es war kein großartiger Vorschlag, aber der einzige, den man ihnen gemacht hatte.
«Okay«, sagte er,»ich mache es. Aber wenn Sie sich nicht an die Vereinbarung halten, werde ich Ihr Angebot der Rennleitung melden.«
Jasper war nicht an Drohungen gewöhnt. Vernon Arkwrights direkte Art zwang ihn zu begreifen, wie weit er sich auf dem Weg zur blanken Unehrlichkeit vorgewagt hatte. Er fühlte sich gedemütigt, und ihm war jämmerlich zumute. Er zögerte. Aber er kehrte nicht um.
Er rief Percy Driffield an und bat ihn, für ihn eine große Summe auf Lilyglits Sieg zu setzen. Driffield, der dergleichen schon zuvor getan hatte, erklärte sich ohne Widerrede einverstanden und rief seinen eigenen Buchmacher an, der die Wette akzeptierte.
Christopher Haig lächelte jedem Jockey zu, während er an seinem Tisch in der Waage die Rennfarben und die Nummerndecken überprüfte.
Lilyglit, der Favorit, wurde wie gewöhnlich von dem schon lange amtierenden, besten Jagdrennjockey geritten: Er war verheiratet, hatte drei Kinder, sein Gesicht war überall bekannt. Trainer Percy Driffield war bei ihm, um bei irgendwelchen Problemen gleich zur Stelle zu sein.
Der nächste auf der Liste des Richters war Vernon Arkwright, der mit Fable ins Rennen gehen sollte. Vernon Arkwright war zwar ein Gauner vom Scheitel bis zur Sohle, aber dennoch gefiel er Christopher Haig, der sich bemühen mußte, sein Grinsen innerhalb der Grenzen des offiziell Zulässigen zu halten. Die Rennleitung hatte in Christopher Haigs Anhörung geschworen, im Cloister Hurdle jeden Schritt Fables per Bahnkamera aufzuzeichnen, um ihn so bei einer etwaigen Unregelmäßigkeit zu ertappen. Chris Haig überlegte, ob er den Jockey warnen solle, aber als er Arkwrights freche, siegesgewisse Miene sah, dachte er, daß er es wahrscheinlich schon wisse.
Der nächste war Storm Cones Jockey: Moggie,»die Katze«, Ire der zweiten Generation, schnell in Reaktion und Auffassungsgabe, eine angenehme Falle für gutaussehende Frauen und ebenso wahrscheinlich ein zukünftiger Botschafter seines Sports.
Als er sich alle Teilnehmer des Rennens eingeprägt und sie abgehakt hatte, stand Christopher Haig noch eine Weile im Führring, um sich völlig mit den Pferden und ihren Reitern vertraut zu machen. Er sah zu, wie die Jockeys hinaus auf die Bahn ritten; sah ihnen zu — jung, dünn, unbeschwert jeder Gefahr gegenüber — und beneidete sie sehr. Was wäre, dachte er, was wäre gewesen, wenn ich mit sechzehn zu einem Rennstall gegangen wäre statt zur Schule und auf die Universität? Was, wenn es noch nicht zu spät wäre, Stunt-Fliegen zu lernen? Es einmal mit einem Spaziergang auf einer Tragfläche zu versuchen?
Aber es war bereits zu spät.
Die Richterkammer befand sich auf der Rennbahn von Winchester im Hauptteil der Haupttribüne, ein Stockwerk über dem Raum der Rennleitung und (natürlich) in direkter Linie mit den Zielpfosten.
Auf manchen Bahnen, vor allem auf kleinen, ländlichen Bahnen, lag die Richterbox zu ebener Erde und markierte selbst die Ziellinie, aber Christopher Haig zog den hohen Platz auf einer Bahn wie Winchester vor, wo man auf die Bahn hinabschauen und die dahingaloppierenden Pferde leichter voneinander unterscheiden konnte.
Er erstieg seinen Aussichtsposten für das Cloister Hurdle und breitete seine Notizen auf dem Regalbrett aus, das eigens für diesen Zweck am Fenster angebracht war. Er hatte einen Feldstecher, um die weiter entfernten Strecken der anderthalb Kilometer langen Bahn einzusehen, und einen Assistenten, dessen Aufgabe darin bestand, über Lautsprecher» Zielfoto, Zielfoto «auszurufen, wenn der Richter ihm dazu die Anweisung gab; und der Richter gab ihm diese Anweisung immer dann, wenn die führenden Pferde mit einem Vorsprung von nur einer halben Länge oder weniger durchs Ziel gingen. Die Zielkamera in Winchester wurde von Technikern in einem über der Richterbox gelegenen Raum bedient.
Christopher Haig zählte die Pferde, während diese an den Start kanterten. Elf, alles korrekt. Durch seinen Feldstecher sah er, wie die Pferde im Kreis ritten und sich zum Start aufstellten. Lilyglit nahm die Position an den Innen-rails ein und setzte sich, als das Startband hochflog, mühelos mit weitem Abstand an die Spitze.
Percy Driffield und Sarah beobachteten Lilyglit von der Tribüne aus. Weder Jasper Billington Innes noch Wendy hatten den Mut aufgebracht, auf der Rennbahn zu erscheinen. Driffield hoffte, Moggie Reilly würde sich als so ehrlich erweisen, wie er es seinem Ruf nach war: Seine Tochter warf ihre Zukunft dafür in die Waagschale.
Wendy saß zu Hause vor dem Fernseher in ihrem kleinen persönlichen Wohnzimmer, die Fäuste geballt, das Haar zerrauft und Tränenflecken auf den Wangen. Jasper hatte sie noch nicht angerufen; sie wußte nicht, wo er war. Sie hatte es bei den Buchmachern versucht, beim Spielclub und im Hotel. Sie hatte versucht, ihn über sein Autotelefon zu erreichen. Jasper hatte nirgendwo eine Nachricht hinterlassen, und langsam bekam seine Frau Angst.
Lilyglit, der immer sofort die Führung übernahm, wenn er nur konnte, jagte über die erste Folge von Hürden, als gebe es für ihn wie für eine vor einem Löwen fliehende Impalaantilope keine Schwerkraft. Storm Cone lag an fünfter Stelle, Fable hinter ihm.
Von der Tribüne aus schauten die Arkwrights — der Trainer und dessen Vetter, der Besitzer — fröhlich zu, wie Vernon sich in Moggie Reillys Schatten ans Werk machte: Er hatte den Plan gefaßt, Storm Cones Chancen zunichte zu machen, indem er seinen Jockey über die Rails warf. Wenn Storm Cone aus dem Rennen war, hatte Lilyglit die besten Aussichten zu gewinnen. Vernon Arkwright hatte nicht die Absicht zuzulassen, daß irgend etwas anderes Li-lyglits Weg zum Ziel behinderte — außer vielleicht, wenn Fable selbst unerwarteterweise Flügel wachsen sollten… nun dann… Was das Preisgeld anbelangte, so war jeder sich selbst der nächste.
Storm Cones Besitzer stand zusammen mit John Chester, dem Trainer des Pferdes, auf dem Balkon der Besitzerloge oben im gleichen Stockwerk, in dem auch der Ausguck der Rennleitung lag, wo niemand ihren Ausblick behindern konnte. Der Besitzer, der fast so wohlhabend war wie Jasper noch vor ein paar Tagen, hatte mehrere Jahre lang versucht, sich in der Rangliste der erfolgreichsten Besitzer bis an die Spitze hochzukaufen, aber wie so viele vor ihm mußte er erkennen, daß man den ersten Platz dort mit Geld ebensowenig kaufen konnte wie in der Liebe.
John Chester hatte all sein Können darauf verwandt, Storm Cone in Bestform in diesen Wettbewerb zu schik-ken. Wenn Moggie Reilly unnötigerweise auch nur einen Zoll verschenkte und er, John Chester, seine beste und wahrscheinlich einzige Chance einbüßte, die Trainerliste anzuführen, dann, dachte er, würde er ihn wahrscheinlich umbringen.
Unten auf dem Turf waren die Emotionen weniger vielschichtig. Für den Jockey des Favoriten, der mit seinem regelmäßigen Partner Lilyglit gut vertraut war, war es lediglich ein weiteres Rennen, das er gewinnen würde, wenn alles gut ging. Er ritt gerne Pferde, die von Anfang an die Führung übernahmen. Lilyglit ging sauber über die Hürden.
Für Moggie Reilly war es ebenfalls ein Rennen wie jedes andere, obwohl er sich anstrengen würde, um John Chester zum erfolgreichsten Trainer der Saison zu machen, falls Lilyglit auch nur die geringste Schwäche zeigen sollte. Storm Cone ließ ihn über die Zügel seine Energie und seine Zuversicht spüren; das war das beste, was sein Reiter erwarten konnte. Die elf Pferde kamen zum ersten Mal an der Tribüne vorbei und gingen in die Kurve am Ausgang der Geraden, um den letzten Kilometer zu machen. Christopher Haig beobachtete sie, zählte sie und stellte fest, daß Lilyglit an der Innenseite immer noch führte.