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In der Kurve an der Spitze des langen Bogens, wo die Pferde der Rennleitung die Hinterteile zuwenden und von den weißen Rails halb verdeckt sind, griff Vernon Arkwright unter Moggie Reillys Stiefel und hievte ihn mit aller Kraft nach oben.

Moggie Reilly verlor sofort die Balance und spürte, daß sein Fuß aus dem Steigbügel flog, während sein Kopf unaufhaltsam einen Bogen über den Widerrist des Pferdes und hinab in Richtung auf die stampfende Schulter und den Grund darunter beschrieb. Moggies Finger verkrampften sich in der Mähne des Pferdes. Sein Gewicht lag jetzt ganz auf einer Seite des großen Geschöpfes, das unter ihm dahinschoß. Er hatte seine Peitsche verloren. Vor ihnen, direkt hinter dem Ausgang der Kurve, lag eine Folge von Hürden.

Vernon Arkwright konnte es nicht glauben, daß Moggie Reilly technisch gesehen immer noch im Sattel saß, selbst wenn er sich mit den Fingernägeln festgekrallt hatte und sein Schwerpunkt fast einen Meter seitwärts verschoben war. Moggie, die Katze, überließ es Storm Cone, sich selbst soweit als möglich in die richtige Position zu bringen, um die vor ihnen liegenden Hürden zu nehmen, und fand sich schicksalsergeben damit ab, daß er wahrscheinlich abgeworfen und den anderen halbtonnenschweren Pferden direkt vor den Hufen landen würde, Pferden, die alle darum kämpften, bei fünfzig Stundenkilometern ihre Positionen zu behaupten.

Nachher sagte er, er habe sich nur dank der Angst, unter die mörderischen Hufe zu geraten, an Storm Cones Hals halten können, in seine Mähne gekrallt, an der jetzt buchstäblich sein Leben hing. Sie waren nur noch zehn Galoppsprünge von der tödlichen Reihe der Hürden aus Holz und Birkenflechtwerk entfernt, als sich plötzlich eine Hand nach ihm ausstreckte. Sie bekam das leuchtende Nylontuch seines scharlachrot und orange gestreiften Trikots zu fassen und zog ihn nach oben.

Moggie Reillys heldenhafter Retter, der einen der letztli-chen Verlierer ritt, tat seine Hilfe nachher mit den Worten ab:»Du hättest für mich das gleiche getan, Kumpel. «Jedenfalls verschaffte sein Eingreifen Moggie Reilly wertvolle Sekunden, in denen er den Sattelbaum umgreifen, sich wieder rittlings auf Storm Cone schwingen und taumelnd eine Art Gleichgewicht finden konnte. Dann spannte sein Pferd die Hinterbacken an und schoß wie von Raketen getrieben über die gefährlichen Hürden.

Moggie Reilly hatte keine Zügel in der Hand und seine Füße waren nicht in den Steigbügeln, aber sein Siegeswille war ungebrochen. Storm Cone hatte vielleicht zehn Längen auf Lilyglit verloren, aber sowohl das Pferd als auch sein Reiter mochten sich mit der Niederlage nicht abfinden, machten sich flach, um wenig Luftwiderstand zu bieten, und legten auf der Gegengeraden entschlossen an Tempo zu. Moggie bekam endlich wieder die Zügel in die Hände und nahm sie kurz, und das Pferd war dankbar für die Kontrolle. In der Zielkurve galoppierten sie beherzt in eine klare zweite Position; nur noch Lilyglit lag vor ihnen.

Vernon Arkwright fluchte gewaltig, da er keine Hoffnung mehr hatte, Storm Cone für eine weitere Schandtat noch einmal einzuholen. Oben im Raum der Rennleitung schlugen sich die drei wichtigen Herren gegenseitig auf die Schulter und hüpften vor Freude beinahe umher. Sie alle hatten Vernon Arkwrights Übergriff auf Moggie Reilly deutlich gesehen, obschon er am äußersten Ende der Bahn stattgefunden hatte. Die Bahnkamera mußte ihn gefilmt haben, die Bilder würden nicht lügen. Dieses Mal, dieses eine Mal hatten sie Vernon Arkwright bei einer für alle gut sichtbaren Missetat ertappt. Es würde eine weitere Anhörung geben, und dieses Mal würde man den Gauner ausschließen.

Ein Stockwerk über ihnen wunderte sich Christopher Haig, daß sich Moggie Reilly, ohne die Füße in den Steigbügeln zu haben, immer noch im Sattel hielt. Aber Lilyglit ging mit beruhigender Führung bereits die letzte Hürde an, so daß Storm Cone sich keine Hoffnung mehr auf einen Sieg machen konnte. Mit nachlassenden Kräften würde

Storm Cone es sogar schwer haben, seinen zweiten Platz zu behaupten, dachte Chris Haig aufgrund seiner langen Erfahrung als Richter. Die zwei Pferde, die er überholt hatte, kamen ihm wieder näher.

Diese klare Einschätzung war Christopher Haigs letzter zusammenhängender Gedanke.

Er sah Lilyglit auf die letzte Hürdenfolge zujagen. Er sah, daß das Pferd zu früh absprang, um die andere Seite ohne Straucheln zu erreichen — ein seltener Fehler. Er sah Lilyglits Nase sich im klassischen Muster eines stürzenden Pferdes nach unten neigen. Und bevor Lilyglit mit hoher Geschwindigkeit auf dem Boden aufschlug, hatte sein eigenes Herz aufgehört zu schlagen.

Der Assistent des Richters verfügte über keinerlei medizinische Kenntnisse und war auch nicht sonderlich schnell von Begriff. Als Christopher Haig neben ihm zu Boden sank, die Beine von sich gestreckt, beugte der Assistent sich entsetzt über ihn und wußte nicht, was er tun sollte.

Er hatte gehört, daß Chris Haigs Kopf auf den Dielenbrettern aufschlug, und er hörte auch das kurze Rasseln, mit dem die letzte Luft aus den Lungen entwich. Er sah, daß Chris Haigs Gesicht plötzlich ein gräuliches dunkles Blau annahm. Dann sah er die Dunkelfärbung verschwinden und die Haut zu einem fahlen Weiß erbleichen. Unter Schock und zitternd löste er Christopher Haigs abenteuerliche Krawatte und rief ihn wiederholt beim Namen.

Christopher Haigs Lider waren halb offen, aber weder er noch sein völlig aus der Fassung gebrachter Assistent nahmen den knappen Zieleinlauf des Cloister Hurdle wahr. Niemand rief:»Zielfoto, Zielfoto«, über den Lautsprecher. Und niemand gab den Sieger bekannt.

Der geistesgegenwärtigste der Stewards lief die Treppe zur Richterbox hinauf, um sich bitterböse über dieses Schweigen zu beschweren. Der Anblick von Chris Haigs reglosem Körper ließ ihm vorübergehend das Wort im Mund ersterben. Er hatte genug Erfahrung, um einen endgültigen Tod als solchen zu erkennen, wenn er ihm begeg-nete. Und nachdem er sich vergewissert hatte, daß an Haigs Hals kein Puls mehr zu fühlen war, schickte er den Assistenten fort, einen Arzt zu holen, und eilte dann mit der unglaublichen Nachricht wieder die Treppe hinunter.

«Wir, als Rennleitung«, erklärte er seinen Kollegen,»werden den Sieger anhand der Zielfotos ermitteln müssen. Wie Sie wissen, steht das in unserer Satzung.«Über die Gegensprechanlage forderte er von den Technikern einen Fotoabzug an, der denjenigen Augenblick festhielt, als das führende Pferd die Ziellinie überquerte, und er fügte hinzu, daß er ihn schnell benötige.

Ein Techniker erschien auch schnell, aber mit gerötetem Gesicht und leeren Händen. In äußerster Verlegenheit erklärte er, daß die früheren Schwierigkeiten sich wieder eingestellt hätten und die Fotoanlage sich selbst blockiert habe, noch bevor der führende Lilyglit die letzte Hürde erreicht hatte. Als er also noch etwa vierhundert Meter vom Ziel entfernt gewesen war.

Die verblüfften Stewards wurden von dem Stipendiary Steward — dem bei einem Renntag offiziell die Auslegung der Rennordnung oblag — belehrt, daß bei Abwesenheit des Richters (und Christopher Haig, der ja tot war, konnte als abwesend gelten) und bei Fehlen eines Beweises durch ein Zielfoto (die Anlage hatte nicht funktioniert) die Rennleitung selbst feststellen könne, wer gewonnen habe.

Die Stewards sahen einander an. Einer von ihnen war sich sicher, daß Storm Cone um eine Nase vorn gelegen habe. Ein anderer glaubte, Moggie Reilly hätte keine Kraft mehr gehabt, und Storm Cone sei mit den letzten beiden Galoppsprüngen zurückgefallen. Ein dritter hatte auf die Bahn geschaut, um festzustellen, ob Lilyglit sich das Genick gebrochen hatte.