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»Au«, sagte Valentine.

»Paß auf, wohin du trittst«, sagte ein Mann.

Valentine ist nicht an Bord, dachte Ender. Und ich kenne auch die Stimme dieses Mannes.

Er drehte sich zu ihnen um, zu dem Mann und der Frau, die auf den leeren Sitzen neben ihm erschienen waren.

Valentine. Unmöglich jung. So, wie sie ausgesehen hatte, als er sie am meisten geliebt und gebraucht hatte, als sie der einzige Grund für ihn war, mit seiner militärischen Ausbildung weiterzumachen; als sie der einzige Grund war, der ihm einfiel, warum Welt vielleicht doch die Mühe wert war, sie zu retten.

»Du kannst nicht wirklich sein«, sagte er.

»Natürlich bin ich das«, sagte sie. »Du hast mir doch auf den Fuß getreten, nicht wahr?«

»Armer Ender«, sagte der junge Mann. »Unbeholfen und dumm. Wirklich keine sehr gute Kombination.«

Jetzt erkannte Ender ihn. »Peter«, sagte er. Sein Bruder, der Feind aus seiner Kindheit, etwa in dem Alter, als er zum Hegemon geworden war. Das Bild, das auf allen Vids gezeigt worden war, als es Peter gelungen war, die Dinge so zu arrangieren, daß Ender nach seinem großen Sieg nie mehr auf die Erde zurückkehren durfte.

»Ich dachte, ich würde dich nie mehr von Angesicht zu Angesicht sehen«, sagte Ender. »Du bist vor so langer Zeit gestorben.«

»Glaube niemals ein Gerücht über meinen Tod«, sagte Peter. »Ich habe so viele Leben wie eine Katze. Und auch so viele Zähne, so viele Klauen und dieselbe fröhliche, kooperative Einstellung.«

»Woher bist du gekommen?«

Miro gab die Antwort. »Da du sie kennst, Ender, müssen sie Mustern in deinem Geist entstammen, Ender.«

»Das stimmt«, sagte Ender. »Aber warum? Wir nehmen angeblich die Vorstellung von uns selbst mit nach hier draußen. Das Muster, durch das wir selbst uns erkennen.«

»Ist dem so, Ender?« sagte Peter. »Dann mußt du wirklich etwas ganz Besonderes sein. Eine Persönlichkeit, die so kompliziert ist, daß man zwei Menschen braucht, um sie auszufüllen.«

»Von dir ist kein Teil in mir«, sagte Ender.

»Und du sorgst besser auch dafür, daß es so bleibt«, sagte Peter höhnisch. »Ich mag Mädchen, keine schmutzigen, alten Männer.«

»Ich wollte dich nicht haben«, sagte Ender.

»Mich wollte nie jemand haben«, sagte Peter. »Sie wollten dich. Aber sie haben mich bekommen, nicht wahr? Sie haben mich hierhin bekommen. Glaubst du, ich würde nicht meine ganze Geschichte kennen? Du und dieses Lügenbuch, Der Hegemon. So klug und verständnisvoll. Wie Peter Wiggin herangereift ist. Wie er sich als weiser und fairer Herrscher erwies. Was für ein Witz! In der Tat, ein Sprecher für die Toten. Als du das Buch geschrieben hast, kanntest du die ganze Zeit über die Wahrheit. Du hast das Blut posthum von meinen Händen gewaschen, Ender, aber du wußtest, und ich wußte, daß ich, solange ich lebte, das Blut dort haben wollte.«

»Laß ihn in Ruhe«, sagte Valentine. »Er hat im Hegemon die Wahrheit gesagt.«

»Du beschützt ihn noch immer, kleiner Engel?«

»Nein!« rief Ender. »Ich bin fertig mit dir, Peter. Du bist aus meinem Leben verschwunden, schon vor dreitausend Jahren!«

»Du kannst davonlaufen, aber du kannst dich nicht verstecken!«

»Ender! Ender, hör auf! Ender!«

Er drehte sich um. Es war Ela, die ihn angeschrien hatte.

»Ich weiß nicht, was hier vorgeht, aber hör auf damit! Wir haben nur noch ein paar Minuten übrig. Hilf mir bei den Tests.«

Sie hatte recht. Was immer Miros neuer Körper zu bedeuten hatte, Peters und Valentines Auftauchen, wichtig war die Descolada. War es Ela gelungen, sie umzuwandeln? Die Recolada zu erschaffen? Und der Virus, der die Menschen von Weg verwandeln würde? Falls Miro seinen Körper neu gestalten und Ender irgendwie die Geister seiner Vergangenheit heraufbeschwören und sie wieder zu Fleisch und Blut machen konnte, war es möglich, wirklich möglich, daß Elas Reagenzgläser nun die Viren enthielten, deren Muster sie sich vorgestellt hatte.

»Hilf mir«, flüsterte Ela erneut.

Ender und Miro – der neue Miro, dessen Hand stark und sicher war – nahmen die Reagenzgläser, die sie ihnen reichte, und begannen mit dem Test. Es war ein negativer Test – wenn die Bakterien, Algen und winzigen Würmer, die sie in die Gläser gaben, mehrere Minuten lang unbeeinflußt blieben, befand sich keine Descolada in den Gläsern. Da es in den Reagenzgläsern vor dem lebenden Virus gewimmelt hatte, als sie das Schiff bestiegen hatten, war der Beweis erbracht, daß zumindest irgend etwas geschehen war, das sie neutralisiert hatte. Ob es nun wirklich die Recolada war oder einfach nur eine tote oder unwirksame Descolada, konnten sie nur nach ihrer Rückkehr feststellen.

Die Würmer, Algen und Bakterien wurden keiner Verwandlung unterzogen. Bei Tests, die sie zuvor auf Lusitania durchgeführt hatten, hatte sich die blaue Lösung, die die Bakterien enthielt, unter dem Einfluß der Descolada gelb verfärbt; nun blieb sie blau. Auf Lusitania waren die winzigen Würmer schnell gestorben und als ergrauende Hüllen an die Oberfläche getrieben; nun wanden sie sich in der Flüssigkeit und blieben purpurbraun, eine Farbe, die zumindest bei ihnen Leben bedeutete. Und die Algen brachen nicht auseinander und lösten sich vollständig auf, sondern blieben als dünne Stränge und Ränke bestehen, die Leben bedeuteten.

»Dann haben wir es geschafft«, sagte Ender.

»Zumindest können wir hoffen«, sagte Ela.

»Setzt euch«, sagte Miro. »Wenn wir fertig sind, wird sie uns zurückbringen.«

Ender setzte sich. Er sah zu dem Sitz, auf dem Miro gesessen hatte. Sein alter, verkrüppelter Körper war nicht länger als menschlich zu identifizieren. Er zerfiel weiterhin; die Stücke zerbrachen zu Staub oder zerflossen. Selbst die Kleidung hatte sich aufgelöst.

»Er ist nicht mehr Teil meines Musters«, sagte Miro. »Ihn hält nichts mehr zusammen.«

»Was ist mit denen?« fragte Ender. »Warum lösen sie sich nicht auf?«

»Oder du?« fragte Peter. »Warum löst du dich nicht auf? Du bist jetzt überflüssig. Du bist ein müder alter Scheißer, der nicht mal seine Frau behalten kann. Und du hast nie ein Kind gezeugt, du pathetischer alter Eunuch. Mach Platz für einen echten Mann. Dich braucht jetzt keiner mehr – alles, was du je getan hast, hätte ich besser tun können, und alles, was ich je getan habe, hättest du niemals tun können.«

Ender schlug die Hände vors Gesicht. Dieses Ergebnis hatte er sich nicht einmal in seinen schlimmsten Alpträumen vorgestellt. Ja, er hatte gewußt, daß sie sich an einen Ort begaben, an dem man mit dem Verstand etwas erschaffen konnte. Aber es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß Peter noch immer dort lauerte. Er hatte geglaubt, er habe den alten Haß schon vor langer Zeit begraben.

Und Valentine – warum sollte er eine neue Valentine erschaffen? Eine so junge und perfekte, so schöne und freundliche? Die echte Valentine wartete auf Lusitania auf ihn – was würde sie denken, wenn sie sah, was er aus seinem Verstand geschaffen hatte? Vielleicht würde es sie schmeicheln, daß er sie so nah an seinem Herzen hielt; doch sie würde auch wissen, daß er sie schätzte, wie sie früher einmal gewesen war, und nicht, wie sie heute war.

Sowohl das dunkelste als auch das hellste Geheimnis seines Herzens würden enthüllt werden, sobald sich die Tür öffnete und er wieder auf die Oberfläche Lusitanias treten mußte.

»Löst euch auf«, sagte er zu ihnen.

»Du zuerst, alter Mann«, sagte Peter. »Dein Leben ist vorbei, und meins beginnt gerade erst. Beim ersten Mal hatte ich nur die Erde, einen müden alten Planeten – es wäre mir genauso leicht gefallen wie jetzt, nach dir zu greifen und dich mit bloßen Händen zu töten, wenn ich es wollte. Dir den Nacken zu brechen wir eine trockene Nudel.«