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›Ender fährt Stunde um Stunde damit fort, sie beide zu schaffen. Wir haben das Muster in ihm gefühlt. Vielleicht versteht er es selbst nicht, aber es gibt keinen Unterschied zwischen diesen beiden und ihm selbst. Vielleicht haben sie verschiedene Körper, aber sie sind trotzdem Teil von ihm. Was immer sie tun, was immer sie sagen, Enders Aiua handelt und spricht.‹

›Weiß er das?‹

›Wir bezweifeln es.‹

›Wirst du es ihm sagen?‹

›Nicht, solange er nicht fragt.‹

›Und was glaubst du, wann wird er fragen?‹

›Wenn er die Antwort bereits kennt.‹

Es war der letzte Tag, an dem die Recolada Tests unterzogen wurde. Die – bisherige – Erfolgsmeldung hatte sich bereits in der menschlichen Kolonie und, so vermutete Ender, auch unter der Pequeninos ausgebreitet. Elas Assistent Glas hatte sich freiwillig als Testperson gemeldet. Er hatte nun schon drei Tage in derselben Isolationskammer überlebt, in der Pflanzer sich geopfert hatte. Diesmal jedoch war die Descolada in ihm von dem Bakterium getötet worden, an dessen Konstruktion er unter Elas Leitung mitgearbeitet hatte. Und diesmal erfüllte Elas Recolada-Virus die Funktionen, die früher die Descolada erfüllt hatte. Er arbeitete fehlerfrei. Glas war nicht einmal krank geworden. Nur ein letzter Schritt blieb noch, bevor die Recolada zu einem vollen Erfolg erklärt werden konnte.

Eine Stunde vor diesem letzten Test traf sich Ender – in seinem Gefolge Peter und die junge Val – mit Quara und Grego in dessen Zelle.

»Die Pequeninos haben es akzeptiert«, erklärte Ender. »Sie sind bereit, schon nach dem Test mit Glas das Risiko einzugehen, die Descolada zu töten und durch die Recolada zu ersetzen.«

»Das überrascht mich nicht«, sagte Quara.

»Mich schon«, sagte Peter. »Die Schweinchen haben offensichtlich als Spezies den Drang zu sterben.«

Ender seufzte. Obwohl er kein verängstigter kleiner Junge mehr war und Peter nicht mehr älter und größer und stärker war, empfand Ender noch immer nicht die geringste Zuneigung zu diesem Simulacrum seines Bruders, das er irgendwie im Außen geschaffen hatte. Peter war alles, was Ender in seiner Kindheit gefürchtet und gehaßt hatte, und seine Rückkehr erzürnte ihn und machte ihm gleichzeitig Angst.

»Was meinen Sie?« fragte Grego. »Wenn die Pequeninos nicht zugestimmt hätten, hätte die Descolada sie für die Menschheit zu gefährlich gemacht, als daß sie weiterleben dürften.«

»Natürlich«, sagte Peter lächelnd. »Der Physiker ist auch Strategieexperte.«

»Peter will damit sagen«, führte Ender aus, »wenn er das Kommando über die Pequeninos hätte, würde er die Descolada niemals freiwillig aufgeben, wenn er dafür nichts von der Menschheit bekäme.«

»Zur Überraschung aller hat der alternde Wunderknabe noch einen winzigen Funken Verstand«, sagte Peter. »Warum sollten sie sich die einzige Waffe nehmen lassen, die die Menschheit fürchtet? Die Lusitania-Flotte kommt und hat das M.D.-Gerät dabei. Warum bringen sie unseren Andrew hier nicht dazu, in seinen fliegenden Fußball zu steigen, die Flotte abzufangen und zur Kapitulation aufzufordern?«

»Weil die Flotte mich wie einen tollwütigen Hund abschießen würde«, sagte Ender. »Die Pequeninos sind einverstanden, weil es richtig und anständig ist. Begriffe, die ich dir später erklären werde.«

»Ich kenne diese Begriffe«, sagte Peter. »Ich weiß auch, was sie bedeuten.«

»Weißt du das?« fragte die junge Val. Ihre Stimme war wie immer eine Überraschung – sanft, freundlich und doch imstande, das Gespräch an sich zu ziehen. Ender erinnerte sich, daß Valentine Stimme schon immer so geklungen hatte. Es war unmöglich, ihr nicht zuzuhören, obwohl sie sie nur so selten hob.

»Richtig und anständig«, sagte Peter. Die Worte klangen aus seinem Mund schmutzig. »Entweder, die Person, die sie spricht, glaubt an ihre Bedeutung, oder sie glaubt nicht daran. Wenn sie nicht daran glaubt, heißt das, daß sie jemanden mit einem Messer in der Hand hinter mir stehen hat. Und wenn sie daran glaubt, bedeuten diese Worte, daß ich gewinnen werde.«

»Ich werde Ihnen sagen, was sie bedeuten«, sagte Quara. »Sie bedeuten, daß wir den Pequeninos – und uns – gratulieren werden, weil eine vernunftbegabte Spezies ausgelöscht wurde, die es sonst vielleicht nirgendwo im Universum gibt.«

»Machen Sie sich doch nichts vor«, sagte Peter.

»Alle sind sich so sicher, daß die Descolada ein künstlicher Virus ist«, sagte Quara, »doch niemand hat die Alternative in Betracht gezogen – daß sich eine viel primitivere, verletzbarere Form der Descolada natürlich entwickelt und sich dann selbst bis zu ihrer heutigen Form verändert hat. Der Virus mag entworfen worden sein, doch wer hat diesen Entwurf ausgeführt? Und jetzt töten wir ihn, ohne eine Verständigung versucht zu haben.«

Peter grinste zuerst sie und dann Ender an. »Es überrascht mich, daß dieses wieselhafte kleine Gewissen nicht dein Fleisch und Blut ist«, sagte er. »Sie ist genauso besessen davon, Gründe zu finden, sich schuldig zu fühlen, wie du und Val.«

Ender ignorierte ihn und versuchte, Quara zu antworten. »Wir töten sie, weil wir nicht mehr länger warten können. Die Descolada versucht, uns zu vernichten, und wir dürfen nicht länger zögern. Dürften wir es, täten wir es.«

»Das verstehe ich alles«, sagte Quara. »Ich habe euch geholfen, nicht wahr? Es macht mich nur krank, wenn ich euch reden höre, als wären die Pequeninos irgendwie tapfer gewesen, mit uns in einem Akt des Xenozids zusammenzuarbeiten, um ihre eigene Haut zu retten.«

»Wir oder sie, Mädchen«, sagte Peter. »Wir oder sie.«

»Du wirst wahrscheinlich nicht begreifen«, sagte Ender, »wie sehr ich mich schäme, meine eigenen Argumente über deine Lippen kommen zu hören.«

Peter lachte. »Andrew gibt vor, mich nicht zu mögen«, sagte er. »Aber der Junge ist ein Heuchler. Er bewundert mich. Er betet mich an. Hat er schon immer getan. Genau wie sein hübscher kleiner Engel hier.«

Peter berührte die junge Val mit dem Zeigefinger. Sie wich nicht zurück. Sie tat so, als habe sie seinen Finger im Fleisch ihres Oberarms nicht einmal gespürt.

»Er betet uns beide an. In seinem kleinen, verdrehten Verstand ist sie die moralische Perfektion, die er niemals erreichen kann. Und ich bin die Macht und Genialität, die immer ein Stück außerhalb der Reichweite des armen, kleinen Andrew war. Es war wirklich ziemlich bescheiden von ihm, meint ihr nicht auch? All die Jahre lang bewahrte er seine Vorbilder in seinem Verstand auf.«

Die junge Val ergriff Quaras Hand. »Es ist das Schlimmste, was du jemals in deinem Leben getan haben wirst«, sagte sie. »Den Menschen, die du liebst, zu helfen, etwas zu tun, was du in deinem Herzen für völlig falsch hältst.«

Quara weinte.

Doch nicht Quara bereitete Ender Sorgen. Er wußte, daß sie stark genug war, um die moralischen Widersprüche ihrer Handlungen zu verkraften, ohne darüber den Verstand zu verlieren. Ihre Ambivalenz ihren eigenen Taten gegenüber würde sie wahrscheinlich weicher machen; sie würde von Augenblick zu Augenblick weniger überzeugt sein, daß ihr Urteil völlig richtig war, und alle, die nicht mit ihr übereinstimmten, völlig falsch lagen. Wenn überhaupt, würde sie am Ende dieses Prozesses mitfühlender, einfühlsamer und anständiger dastehen, als sie es zuvor in ihrer heißblütigen Jugend gewesen war. Und vielleicht würde ihr der sanfte Einfluß der jungen Val – unterstützt von ihren Worten, die genau den Schmerz benannten, den Quara empfand – helfen, schneller wieder gesund zu werden.

Mehr Sorgen bereitete Ender die Tatsache, daß Grego Peter mit solcher Bewunderung betrachtete. Ausgerechnet Grego hätte mittlerweile gelernt haben sollen, wozu Peters Worte führen konnten. Und doch betete er Enders wandelnden Alptraum geradezu an. Ich muß Peter hier wegschaffen, dachte Ender, oder er wird mehr Gefolgschaft auf Lusitania haben, als es bei Grego der Fall gewesen war – und er wird sie weit wirksamer einsetzen, und letzten Endes wird diese Wirkung noch tödlicher sein.