Ender hatte nur wenig Hoffnung, daß sich Peter als der echte Peter erweisen würde, der zu einem starken und würdigen Hegemon herangewachsen war. Dieser Peter war schließlich kein Mensch aus Fleisch und Blut, voller Ehrgeiz und Überraschungen. Er war vielmehr aus einer Karikatur des attraktiven Bösen geschaffen worden, das in den tiefsten Gefilden von Enders unbewußtem Verstand lauerte. Bei ihm würde es keine Überraschungen geben. Noch während sie sich anschickten, Lusitania vor der Descolada zu retten, hatte Ender eine neue Gefahr heraufbeschworen, die möglicherweise nicht minder destruktiv war.
Aber nicht so schwer zu töten.
Erneut versteifte er sich bei dem Gedanken, obwohl er ihm schon ein Dutzend Mal gekommen war, seit er begriffen hatte, daß es Peter war, der im Sternenschiff links neben ihm saß. Ich habe ihn erschaffen. Er ist nicht echt, nur mein Alptraum. Ihn zu töten wäre doch kein Mord, oder? Es wäre eher das moralische Äquivalent eines… ja, wovon? Eines Erwachens? Ich habe der Welt meinen Alptraum aufgebürdet, und wenn ich ihn jetzt töte, würde die Welt nur aufwachen und feststellen, daß der Alptraum verschwunden ist, mehr nicht.
Falls Peter allein gewesen wäre, hätte Ender sich vielleicht zu solch einer Tat überreden können; zumindest glaubte er das. Doch die junge Val hinderte ihn daran. Wenn man Peter töten konnte, konnte man auch sie töten. Falls man ihn töten sollte, sollte man vielleicht auch sie töten – sie hatte genauso wenig Anrecht auf Existenz, sie war genauso unnatürlich, genauso eng und verzerrt in ihrer Schöpfung. Aber dazu wäre er niemals imstande. Man mußte sie beschützen, nicht töten. Und wenn die eine echt genug war, um weiterzuleben, war es der andere auch. Wenn es Mord wäre, der jungen Val etwas anzutun, wäre es auch bei Peter Mord. Sie waren aus derselben Schöpfung hervorgegangen.
Meine Kinder, dachte Ender verbittert. Mein lieber kleiner Nachwuchs, der voll ausgebildet meinem Kopf entsprang wie Athene aus dem Geist Zeus. Nur, daß ich hier keine Athene habe. Eher Diana und Hades. Die jungfräuliche Jägerin und den Herrn der Hölle.
»Wir gehen besser«, sagte Peter. »Bevor Andrew sich überredet, mich zu töten.«
Ender lächelte boshaft. Das war das Schlimmste – daß Peter und die junge Val mehr über seinen eigenen Geist zu wissen schienen als er selbst. Mit der Zeit, so hoffte er, würden diese intime Kenntnisse von ihm verbleichen. Doch bis dahin trug es zu der Erniedrigung bei, daß Peter ihn wegen Gedanken verhöhnte, die sonst niemand vermutet hätte. Und die junge Val – an der Art, wie sie ihn betrachtete, erkannte er, daß sie seine Gedanken mitunter auch kannte. Er hatte keine Geheimnisse mehr.
»Ich gehe mit dir nach Hause«, sagte Val zu Quara.
»Nein«, erwiderte Quara. »Was ich getan habe, habe ich getan. Ich werde Glas bis zum Ende des Tests beistehen.«
»Wir wollen doch keine Gelegenheit verpassen, öffentlich zu leiden«, sagte Peter.
»Halt die Klappe, Peter«, sagte Ender.
Peter grinste. »Na, komm schon. Du weißt, daß Quara diese Sache bis auf den letzten Tropfen auspreßt. Es ist einfach ihr Art, sich zum Star der Show zu machen – alle sind nett und freundlich zu ihr, wo sie doch eigentlich bejubeln sollten, was Ela geleistet hat. Es ist so billig, einem die Schau zu stehlen, Quara – aber es entspricht ganz deinem Niveau.«
Quara hätte vielleicht geantwortet, wären Peters Worte nicht so ungeheuerlich gewesen – und hätten sie nicht einen Kern der Wahrheit enthalten, der sie verwirrte. Statt dessen bedachte die junge Val Peter mit einem kalten Blick und sagte: »Halt die Klappe, Peter.«
Dieselben Worte, die Ender gesprochen hatte, doch als Val sie sprach, funktionierten sie. Er grinste sie an und kniff ein Auge zusammen – ein verschwörerisches Blinzeln, als wolle er sagen: Ich lasse dich dein kleines Spiel spielen, Val, aber glaube nicht, ich wüßte nicht, daß du dich bei allen einschmeichelst, indem du so nett bist. Doch er sagte nichts mehr, als sie Grego in seiner Zelle zurückließen.
Draußen gesellte sich Bürgermeister Kovano zu ihnen. »Ein großer Tag in der Geschichte der Menschheit«, sagte er. »Und durch einen bloßen Zufall bin ich in allen Nachrichtensendungen dabei.« Die anderen lachten – besonders Peter, der mit Kovano schnell und problemlos Freundschaft geschlossen hatte.
»Es ist kein Zufall«, sagte Peter. »Viele Leute in Ihrer Position wären in Panik geraten und hätten alles verdorben. Es war ein offener Verstand und eine Menge Mut nötig, um die Dinge den Verlauf nehmen zu lassen, den sie genommen haben.«
Ender hätte über Peters offensichtliche Schmeichelei fast laut gelacht. Doch für den Empfänger ist eine Schmeichelei niemals so offensichtlich. Kovano gab Peter einen Knuff auf den Arm und stritt alles ab, doch Ender sah, daß er die Bemerkung genossen und Peter schon größeren Einfluß bei Kovano gewonnen hatte als er selbst. Merken diese Leute denn nicht, wie Peter sie zynisch für sich einnimmt?
Lediglich der Bischof sah Peter mit etwas, das sich mit Enders Furcht und Abscheu vergleichen ließ – doch in seinem Fall war es ein theologisches Vorurteil und keine Klugheit, das ihn davon abhielt, sich über den Tisch ziehen zu lassen. Ein paar Stunden nach ihrer Rückkehr aus dem Außen hatte der Bischof Miro angerufen und ihn gedrängt, sich taufen zu lassen. »Gott hat mit deiner Heilung ein großes Wunder vollzogen«, sagte er, »doch die Art, wie es geschehen ist – einen Körper gegen einen anderen einzutauschen, anstatt den alten direkt zu heilen –, läßt die gefährliche Möglichkeit offen, daß dein Geist einen Körper bewohnt, der nie getauft wurde. Und da die Taufe dem Fleisch gilt, befürchte ich, daß du noch ungesegnet sein könntest.« Miro war nicht sehr begeistert über die Vorstellung, die der Bischof von Wundern hatte, doch allein die Wiederherstellung seiner Kraft, Sprachfähigkeit und Bewegungsfreiheit ließ ihn so überschäumend reagieren, daß er wahrscheinlich allem zugestimmt hätte. Die Taufe würde Anfang der nächsten Woche stattfinden, beim ersten Gottesdienst, der in der neuen Kapelle abgehalten wurde.
Doch der Eifer des Bischofs, Miro zu taufen, spiegelte sich nicht in der Einstellung wider, die er Peter und der jungen Val entgegenbrachte. »Es ist absurd, diese monströsen Wesen für Menschen zu halten«, sagte er. »Sie können unmöglich Seelen haben. Peter ist das Echo eines Menschen, der bereits gelebt hat und gestorben ist, mit seinen eigenen Sünden und Bußen. Sein Leben wurde bereits abgewogen, und ihm wurde bereits ein Platz im Himmel oder der Hölle zugeteilt. Und was dieses… Mädchen betrifft, dieses Spottbild weiblicher Grazie, so kann es nicht sein, wer zu sein es behauptet, denn sein Platz wird bereits von einer lebenden Frau eingenommen. Es kann für die Täuschungen Satans keine Taufe geben. Indem er sie erschuf, hat Andrew Wiggin seinen eigenen Turm zu Babel errichtet. Er hat versucht, in den Himmel tu greifen, um die Stelle Gottes einzunehmen. Ihm kann nicht vergeben werden, bis er sie in die Hölle zurückführt und dort läßt.«
Glaubte Bischof Peregrino denn auch nur einen Augenblick lang, daß Ender etwas anderes wollte? Doch Jane war unnachgiebig, als er die Idee zur Sprache brachte. »Das wäre töricht«, sagte sie. »Erstens… wieso glaubst du, sie würden freiwillig gehen? Und zweitens, glaubst du nicht, daß du einfach zwei neue erschaffen würdest? Hast du noch nie die Geschichte vom Zauberlehrling gehört? Sie dorthin zurückzubringen wäre genauso, als würdest du die Besen in der Mitte durchschneiden – du würdest nur weitere Besen bekommen. So schlimm es auch ist, laß es dabei bewenden.«