Also gingen sie jetzt gemeinsam zum Labor – Peter, der Bürgermeister Kovano vollständig in der Tasche hatte. Die junge Val, die über Quara einen nicht minder vollständigen Sieg errungen hatte, obwohl ihre Einstellung selbstlos und nicht eigennützig war. Und Ender, ihr Schöpfer, wütend, erniedrigt und verängstigt.
Ich habe sie geschaffen – daher bin ich für alles verantwortlich, was sie tun. Und auf lange Sicht werden sie beide schreckliches Unheil anrichten.
»Laß dich von Peter nicht so reizen«, flüsterte Jane in sein Ohr.
»Die Leute glauben, er gehöre zu mir«, subvokalisierte Ender. »Sie nehmen an, daß er harmlos sein muß, weil ich harmlos bin. Aber ich habe keine Kontrolle über ihn.«
»Ich glaube, sie wissen das.«
»Ich muß ihn irgendwie von hier wegschaffen.«
»Ich arbeite daran«, sagte Jane.
»Vielleicht sollte ich sie aufsammeln und auf irgendeinem verlassenen Planeten absetzen. Kennst du Shakespeares Drama Der Sturm?«
»Du meinst, sie sind Caliban und Ariel?«
»Da ich sie nicht töten kann, muß ich sie ins Exil schicken.«
»Ich arbeite daran«, sagte Jane. »Schließlich sind sie Teile von dir, nicht wahr? Teile des Musters deines Geistes. Was wäre, wenn ich sie statt deiner benutzen kann, um ins Außen zu gelangen? Dann könnten wir drei Sternenschiffe und nicht nur eins haben.«
»Zwei«, sagte Ender. »Ich werde nie wieder ins Außen gehen.«
»Nicht einmal eine Mikrosekunde lang? Wenn ich dich hineinschaffe und sofort wieder zurückbringe? Wir müßten nicht mehr dort verweilen.«
»Es war nicht das Verweilen, das den Schaden anrichtete«, sagte Ender. »Peter und die junge Val waren augenblicklich da. Wenn ich je wieder ins Außen gehe, werde ich sie erneut erschaffen.«
»Na schön«, sagte sie. »Dann eben zwei Sternenschiffe. Eins mit Peter, eins mit der jungen Val. Laß mich einen Ausweg suchen. Wir können nicht einfach diese eine Reise machen und dann den Überlichtflug auf ewig aufgeben.«
»Doch, das können wir«, sagte Ender. »Wir haben die Recolada. Miro hat sich einen gesunden Körper verschafft. Das reicht – alles andere werden wir selbst lösen.«
»Falsch«, sagte Jane. »Wir müssen noch immer Pequeninos und Schwarmköniginnen von diesem Planeten wegbringen, bevor die Flotte eintrifft. Wir müssen den Verwandlungsvirus nach Weg bringen, um die Menschen dort zu befreien.«
»Ich werde nicht mehr ins Außen gehen.«
»Auch nicht, wenn ich Peter und die junge Val nicht benutzen kann, um meine Aiua zu befördern? Du würdest die Pequeninos und die Schwarmkönigin sterben lassen, weil du Angst vor deinen unbewußten Gedanken hast?«
»Du begreifst nicht, wie gefährlich Peter ist.«
»Vielleicht nicht. Aber ich begreife, wie gefährlich der Kleine Doktor ist. Und wenn du dich nicht so sehr in dein eigenes Elend vertieft hättest, Ender, wüßtest du, daß wir dieses Sternenschiff einsetzen müssen, um Pequeninos und die Schwarmkönigin auf andere Welten zu bringen, selbst wenn am Ende fünfhundert kleine Peter und Vals herumlaufen würden.«
Er wußte, daß sie recht hatte. Er hatte es die ganze Zeit über gewußt. Das bedeutete aber nicht, daß er auch bereit war, es einzugestehen.
»Arbeite einfach daran, dich in Peter und die junge Val zu versetzen«, subvokalisierte er. »Obwohl Gott uns helfe, falls Peter imstande ist, etwas zu erschaffen, wenn er ins Außen geht.«
»Ich bezweifle, daß er das kann«, sagte Jane. »Er ist nicht so klug, wie du annimmst.«
»Doch, das ist er«, sagte Ender. »Und wenn du es bezweifelst, bist du nicht so klug, wie du es annimmst.«
Ela war nicht die einzige, die sich auf Glas' letzten Test vorbereitete, indem sie Pflanzer besuchte. Sein stummer Stamm war noch immer lediglich ein Schößling, kaum ein Gegengewicht zu Menschs und Wühlers kräftigen Stämmen. Doch um diesen Schößling hatten sich die überlebenden Pequeninos versammelt. Und wie Ela hatten sie sich eingefunden, um zu beten. Es war ein seltsamer und stummer Gottesdienst. Die Pequenino-Priester boten keinen Pomp, keine Feierlichkeiten. Sie knieten einfach mit den anderen nieder und murmelten in ihren unterschiedlichen Sprachen vor sich hin. Einige beteten in der Sprache der Brüder, andere in der Baumsprache. Ela nahm an, daß sie von den Gattinnen, die sich dort versammelt hatten, deren normale Sprache hörte, obwohl es sich genausogut um die heilige Sprache handeln konnte, die sie benutzten, um mit den Mutterbäumen zu sprechen. Und es kamen auch menschliche Sprachen über die Lippen der Pequeninos – Stark gleichermaßen wie Portugiesisch, und vielleicht sprachen einige Pequenino-Priester auch das antike Kirchenlatein. Sie fand sich praktisch in einem Babel wieder, und doch verspürte sie eine große Einheit. Sie beteten am Grab des Märtyrers – alles, was noch von ihm übrig war – um das Leben des Bruders, der ihm folgen würde. Falls Glas heute völlig starb, würde er nur ein Echo von Pflanzers Opfer sein. Und wenn er in das dritte Leben überwechselte, würde es ein Leben sein, das es Pflanzers Mut und Beispiel verdankte.
Weil Ela die Recolada aus dem Außen mitgebracht hatte, ehrten sie sie, indem sie sie an Pflanzers Stamm kurz allein ließen. Sie legte die Hand um den schlanken Holzpfahl und wünschte, es wäre mehr von seinem Leben darin. War Pflanzers Aiua nun verloren und wanderte in der Raumlosigkeit des Außen umher? Oder hatte Gott seine Seele empfangen und im Himmel aufgenommen, wo Pflanzer nun mit den Heiligen sprach?
Pflanzer, bete für uns. Lege ein gutes Wort ein. Wie meine verehrten Großeltern mein Gebet Gott vorgetragen haben, gehe nun damit zu Jesus und bitte ihn um Gnade für all deine Brüder und Schwestern. Laß die Recolada Glas ins dritte Leben tragen, so daß wir sie guten Gewissens auf der ganzen Welt verbreiten können, damit sie die mörderische Descolada ersetzt. Dann kann sich der Löwe in der Tat neben dem Lamm zur Ruhe betten, und es kann Frieden an diesem Ort geben.
Doch nicht zum ersten Mal hatte Ela ihre Zweifel. Sie war überzeugt, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben – sie teilte Quaras Gewissensbisse nicht, die Descolada auf ganz Lusitania zu vernichten. Doch sie war nicht überzeugt, ob es richtig gewesen war, daß sie die Recolada auf den ältesten Exemplaren der Descolada, die sie gesammelt hatten, aufgebaut hatten. Falls die Descolada tatsächlich das kürzlich aufgetretene kriegerische Verhalten der Pequeninos verursacht hatte, ihren Drang, sich auf andere Welten auszubreiten, konnte sie davon ausgehen, die Pequeninos zu ihrem vorherigen ›natürlichen‹ Zustand zurückgeführt zu haben. Doch andererseits stellte dieser vorherige Zustand genauso ein Ergebnis des gaialogischen Ausgleichs der Descolada dar – er kam ihnen nur natürlicher vor, weil sich die Pequeninos in diesem Zustand befunden hatten, als die Menschen auf Lusitania eintrafen. Also konnte sie genausogut davon ausgehen, eine Verhaltensveränderung einer gesamten Spezies herbeigeführt zu haben, die bequemerweise einen Großteil ihrer Aggressivität entfernte, so daß eine geringere Wahrscheinlichkeit bestand, daß sie sich in der Zukunft mit den Menschen in einen Konflikt verstricken würden. Ich mache jetzt gute Christen aus ihnen, ob es ihnen nun gefällt oder nicht. Und die Tatsache, daß sowohl Mensch als auch Wühler mein Vorgehen gebilligt haben, nimmt mir nicht die Last der Verantwortung, falls sich dieses Vorgehen letztendlich zum Schaden der Pequeninos erweisen sollte.
O Gott, vergebe mir, im Leben dieser deiner Kinder Gott gespielt zu haben. Wenn Pflanzers Aiua vor dich tritt, um für uns zu bitten, gewähre ihm das Gebet, das er unserethalben vorbringt – aber nur, wenn es dein Wille ist, daß seine Spezies dergestalt verändert wird. Hilf uns, Gutes zu tun, doch halte uns auf, wenn wir unwissentlich Schaden anrichten. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.