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»Nur, weil noch nie jemand gegen einen Krankheitserreger mit einem so übergroßen und komplexen genetischen Molekül gekämpft hat«, sagte Grego.

»Genau«, sagte Ender. »Es handelt sich um einen einzigartigen Virus, und demzufolge könnte er Fähigkeiten haben, die wir uns bei einer Spezies von geringerer Komplexität als ein Wirbeltier nie vorgestellt haben.«

Einen Augenblick lang hingen Enders Worte in der Luft und wurden von Schweigen beantwortet; einen Augenblick lang glaubte Ender, in dieser Runde doch noch eine nützliche Funktion wahrgenommen, nur durch Worte eine gewisse Übereinstimmung erzielt zu haben.

Grego nahm ihm diese Hoffnung schnell wieder. »Selbst wenn Quara hundertprozentig recht hätte und alle Descolada-Viren Philosophieprofessoren wären und ständig Dissertationen veröffentlichten, wie man den Menschen übel mitspielen kann, bis sie tot sind… was dann? Werfen wir uns alle auf die Erde und strecken alle viere von uns, nur weil der Virus, der uns töten will, so verdammt klug ist?«

»Ich glaube, Quara und Ela sollten ihre Forschungen fortsetzen«, antwortete Novinha ruhig. »Und wir sollten ihnen mehr Mittel zur Verfügung stellen.«

Diesmal hatte Quara einen Einwand. »Warum sollte ich mir die Mühe machen, sie zu verstehen versuchen, wenn ihr anderen noch daran arbeitet, sie zu töten?«

»Das ist eine gute Frage, Quara«, sagte Novinha. »Andererseits… warum solltest du dich bemühen, sie zu verstehen, wenn sie plötzlich einen Weg finden, an all unseren chemischen Barrieren vorbeizukommen und uns alle zu töten?«

»Wir oder sie«, murmelte Grego.

Ender wußte, daß Novinha eine gute Entscheidung getroffen hatte – sie betrieben beide Forschungslinien weiter und würden später einen Entschluß fassen, wenn sie mehr wußten. Quara und Grego begriffen beide nicht, worauf es ankam, gingen beide davon aus, alles hinge davon ab, ob die Descolada ein Bewußtsein habe oder nicht. »Selbst wenn sie ein Bewußtsein haben«, sagte Ender, »bedeutet das nicht, daß sie unantastbar sind. Es hängt alles davon ab, ob sie Ramänner oder Varelse sind. Wenn sie Ramänner sind – wenn wir sie und sie uns so gut verstehen können, daß wir eine Möglichkeit zu einer Koexistenz finden, schön und gut. Wir werden gerettet, sie werden gerettet.«

»Der große Friedensschaffer hat vor, einen Vertrag mit einem Molekül zu schließen?« fragte Grego.

Ender ignorierte seinen spöttischen Tonfall. »Wenn sie jedoch versuchen, uns zu vernichten, und wir keine Möglichkeit finden, mit ihnen zu kommunizieren, dann sind sie Varelse – vernunftbegabte Außerirdische, aber unversöhnlich feindselig und gefährlich. Varelse sind Außerirdische, mit denen wir nicht leben können. Varelse sind Außerirdische, mit denen wir uns natürlich und permanent auf einen Krieg bis zum Tod verstricken, und dann besteht unsere einzige moralische Wahl darin, alles zu tun, was nötig ist, um zu gewinnen.«

»Genau«, sagte Grego.

Trotz des triumphalen Tonfalls ihres Bruders hatte Quara genau auf Enders Worte geachtet und sie abgewogen. Nun nickte sie zögernd. »Solange wir nicht von der Voraussetzung ausgehen, daß sie Varelse sind«, sagte sie.

»Und selbst dann gibt es vielleicht noch einen Mittelweg«, sagte Ender. »Vielleicht kann Ela eine Möglichkeit finden, alle Descolada-Viren zu ersetzen, ohne dieses Gedächtnis- und Sprach-Phänomen zu zerstören.«

»Nein!« sagte Quara wieder heftiger. »Das könnt ihr nicht – ihr habt nicht einmal das Recht, ihnen ihre Erinnerung zu belassen und ihre Anpassungsfähigkeit zu nehmen. Das wäre dasselbe, als würden sie uns allen eine Frontallobotomie verpassen. Wenn es Krieg ist, ist es Krieg. Tötet sie, aber laßt ihnen nicht ihre Erinnerung, während ihr ihren Willen raubt.«

»Es spielt keine Rolle«, sagte Ela. »Es ist unmöglich. Ich glaube, ich habe mir eine unlösbare Aufgabe gestellt. Es ist nicht einfach, an der Descolada zu arbeiten. Keineswegs so, als würde man ein Tier untersuchen und operieren. Wie soll ich das Molekül betäuben, damit es sich nicht selbst heilt, während ich noch mitten in der Operation bin? Vielleicht versteht die Descolada nicht viel von Physik, aber in der Molekularchirurgie ist sie verdammt besser als ich.«

»Bis jetzt«, sagte Ender.

»Bis jetzt wissen wir gar nichts«, sagte Grego. »Bis auf die Tatsache, daß die Descolada alles daransetzt, uns alle zu töten, während wir noch immer herauszufinden versuchen, ob wir zurückschlagen sollen oder nicht. Ich werde noch eine Weile stillhalten, aber nicht für immer.«

»Was ist mit den Schweinchen?« fragte Quara. »Haben sie nicht das Recht, mitzubestimmen, ob wir das Molekül verwandeln, das es ihnen nicht nur ermöglicht, sich fortzupflanzen, sondern das sie wahrscheinlich überhaupt erst als vernunftbegabte Spezies geschaffen hat?«

»Dieses Ding versucht, uns zu töten«, sagte Ender. »Solange die von Ela entwickelte Lösung den Virus ausmerzen kann, ohne den Fortpflanzungszyklus der Schweinchen zu stören, haben sie zu einem Einspruch wohl kein Recht.«

»Vielleicht sind sie da anderer Meinung.«

»Dann wäre es vielleicht besser, wenn sie nicht herausfänden, was wir vorhaben.«

»Wir erzählen den Leuten – Mensch oder Pequenino – gar nichts über die Forschungen, die wir hier betreiben«, sagte Novinha scharf. »Das könnte schreckliche Mißverständnisse verursachen, die zu Gewalt und Tod führen könnten.«

»Also sind wir Menschen die Richter über alle anderen Geschöpfe«, sagte Quara.

»Nein, Quara. Wir Wissenschaftler sammeln Informationen«, sagte Novinha. »Und bis wir genug Informationen gesammelt haben, kann niemand über irgend etwas richten. Also gilt das Gebot der Geheimhaltung für alle hier. Sowohl für Quara als auch für Grego. Ihr sprecht mit niemandem darüber, bis ich es sage, und ich werde es erst sagen, wenn wir mehr wissen.«

»Bis du es sagst«, fragte Grego unverschämt, »oder bis der Sprecher für die Toten es sagt?«

»Ich bin die Chefxenobiologin«, sagte Novinha. »Die Entscheidung darüber, wann wir genug wissen, obliegt mir allein. Ist das klar?«

Sie wartete, bis alle ihr zugestimmt hatten, dann erhob sie sich. Die Versammlung war beendet. Quara und Grego gingen fast sofort; Novinha gab Ender einen Kuß auf die Wange und drängte ihn und Ela dann aus ihrem Büro.

Ender blieb noch im Labor, um mit Ela zu sprechen. »Gibt es eine Möglichkeit, deinen Ersatzvirus in der gesamten Population jeder einheimischen Rasse auf Lusitania zu verbreiten?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Ela. »Das größere Problem ist sowieso, ihn so schnell in jede Zelle eines Organismus zu bekommen, daß die Descolada sich nicht anpassen oder entkommen kann. Ich werde eine Art Trägervirus erschaffen müssen, und den muß ich wahrscheinlich teilweise nach der Descolada selbst formen – die Descolada ist der einzige Parasit, der so schnell und gründlich in einen Gastkörper eindringt, wie es auch der Trägervirus tun muß. Die reinste Ironie – ich lerne, die Descolada zu ersetzen, indem ich die nötigen Techniken von dem Virus selbst stehle.«

»Das ist keine Ironie«, sagte Ender. »So funktioniert die Welt nun einmal. Jemand hat einmal gesagt, der einzige Lehrer, der wirklich etwas wert sei, sei ein Feind.«

»Dann müssen sich Quara und Grego ja gegenseitig viel beibringen«, sagte Ela.

»Ihr Streit ist nur nützlich. Er zwingt uns, jeden Aspekt unseres Vorgehens abzuwägen.«

»Er ist nicht mehr nützlich, sobald einer von ihnen das Thema außerhalb der Familie zur Sprache bringt.«

»Diese Familie plaudert ihre Angelegenheiten nicht vor Fremden aus. Gerade ich müßte das doch wissen.«

»Ganz im Gegenteil, Ender. Gerade du müßtest wissen, wie schnell wir bereit sind, uns einem Fremden anzuvertrauen – wenn wir glauben, unsere Not sei groß genug, um es zu rechtfertigen.«