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»Wie könnte ich das?« sagte Wang-mu. »Wenn ich Euch nicht mit Respekt behandle, werden die anderen sagen, ich sei unwürdig. Sie würden mich bestrafen, wenn Ihr nicht hinseht. Es würde uns beide entehren.«

»Natürlich wirst du respektvoll sein, wenn andere uns sehen können«, sagte Qing-jao. »Doch wenn wir allein sind, nur du und ich, behandeln wir uns wie Gleichberechtigte, oder ich werde dich fortschicken. Dann heißt es auch nicht ›Ihr‹, sondern ›du‹.«

»Und die dritte Bedingung?«

»Du wirst niemals einer Menschenseele ein Wort von dem verraten, was ich zu dir sage.«

Nun zeigte Wang-mus Gesicht offenen Zorn. »Eine geheime Magd verrät nie etwas. In unseren Köpfen werden Barrieren errichtet.«

»Die Barrieren helfen dir, dich daran zu erinnern, nichts zu erzählen«, sagte Qing-jao. »Doch wenn du etwas erzählen willst, kannst du um sie herumkommen. Und es gibt andere, die dich zu überreden versuchen werden, etwas zu verraten.« Qing-jao dachte an die Laufbahn ihres Vaters, an all die Geheimnisse des Kongresses, die sich in seinem Kopf befanden. Er erzählte niemandem davon; er hatte niemandem, mit dem er darüber sprechen konnte, abgesehen von Qing-jao mitunter. Sollte sich Wang-mu als vertrauenswürdig erweisen, würde auch Qing-jao jemanden haben. Sie würde nie so einsam sein wie ihr Vater. »Hast du mich nicht verstanden?« fragte sie. »Die anderen werden glauben, ich hätte dich als geheime Magd eingestellt. Aber du und ich, wir beide wissen, daß du in Wirklichkeit meine Schülerin bist, daß ich dich in Wirklichkeit zu mir geholt habe, damit du meine Freundin bist.«

Wang-mu betrachtete sie verwundert. »Warum solltest du das tun, wenn die Götter dir doch schon gesagt haben, daß ich den Vormann bestochen habe, damit er mich deiner Gruppe einteilt und uns nicht unterbricht, während ich mit dir spreche?«

Die Götter hatten ihr das natürlich nicht verraten, doch Qing-jao lächelte nur. »Warum kommt es dir nicht in den Sinn, daß die Götter vielleicht wollen, daß wir Freundinnen werden?«

Bestürzt schlug Wang-mu die Hände zusammen und lachte nervös. Qing-jao nahm die Hände des Mädchens in die ihren und stellte fest, daß Wang-mu zitterte. Sie war also nicht so kühn, wie es den Anschein hatte.

Wang-mu sah auf ihre Hände hinab, und Qing-jao folgte dem Blick. Sie waren mit Schmutz und Erde bedeckt, die jetzt eingetrocknet war, weil sie so lange herumgestanden waren und die Hände nicht ins Wasser getaucht hatten. »Wir sind so schmutzig«, sagte Wang-mu.

Qing-jao hatte seit langem gelernt, einfach nicht mehr darauf zu achten, wie schmutzig sie bei der rechtschaffenen Arbeit wurde. »Meine Hände waren schon viel schmutziger«, sagte Qing-jao. »Wenn wir mit der rechtschaffenen Arbeit fertig sind, kommst du mit mir. Ich werde meinem Vater von unserem Vorhaben erzählen, und er wird entscheiden, ob du meine geheime Magd sein kannst.«

Wang-mus Ausdruck wurde verdrossen. Qing-jao war froh, daß man so leicht von ihrem Gesicht lesen konnte. »Was ist los?« fragte sie.

»Väter entscheiden immer alles«, sagte Wang-mu.

Qing-jao nickte und fragte sich, warum Wang-mu etwas so Offensichtliches überhaupt sagte. »Das ist der Anfang der Weisheit«, meinte sie dann. »Außerdem ist meine Mutter tot.«

Die rechtschaffene Arbeit endete immer am frühen Nachmittag; offiziell, damit diejenigen, die weit von den Feldern entfernt wohnten, vor Anbruch der Dunkelheit nach Hause zurückkehren konnten. In Wirklichkeit jedoch wurde damit der Brauch anerkannt, am Ende der rechtschaffenen Arbeit ein Fest zu feiern. Da viele Leute ihr Nachmittagsschläfchen verpaßt hatten, waren sie nach der rechtschaffenen Arbeit aufgekratzt, als wären sie die ganze Nacht aufgeblieben. Andere fühlten sich erschöpft und müde. Beides diente als Entschuldigung zu gemeinsamen Essen und Trinken mit Freunden, wonach man zu früher Stunde ins Bett fiel, um den verlorenen Schlaf und das harte Tagwerk auszugleichen.

Qing-jao gehörte zu denen, die sich erschöpft fühlten; Wang-mu dagegen war offensichtlich aufgekratzt. Oder vielleicht lag es einfach nur daran, daß die Lusitania-Flotte Qing-jao Sorgen bereitete, während Wang-mu soeben als geheime Magd einer gottberührten Dame akzeptiert worden war. Qing-jao half Wang-mu bei der Prozedur, die nötig war, wollte man sich im Hause Han um eine Anstellung bewerben – die Waschung, das Abnehmen der Fingerabdrücke, die Sicherheitsüberprüfung –, bis sie schließlich Wang-mus Plappern keinen Augenblick länger mehr aushalten konnte und sich zurückzog.

Als sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufging, hörte sie, wie Wang-mu ängstlich fragte: »Habe ich meine neue Herrin wütend gemacht?« Und Ju Kung-mei, der Hüter des Hauses, antwortete: »Die Gottberührten antworten anderen Stimmen als der deinen, Kleine.« Es war eine freundliche Antwort. Qing-jao bewunderte oft den Sanftmut und die Weisheit derer, die ihr Vater in dieses Haus geholt hatte. Sie fragte sich, ob sie bei ihrer ersten Einstellung genauso klug gewählt hatte.

Kaum beschäftigte sie sich mit dieser Frage, da wußte sie auch schon, daß sie verderbt gehandelt hatte, solch eine Entscheidung so schnell zu treffen und ohne sich vorher mit ihrem Vater zu beraten. Wang-mu würde sich als hoffnungslos ungeeignet erweisen, und Vater würde sie, Qing-jao, tadeln, so töricht gehandelt zu haben.

Der Gedanke an Vaters Zurechtweisung genügte, um den augenblicklichen Tadel der Götter herbeizuführen. Qing-jao fühlte sich unrein. Sie stürmte auf ihr Zimmer und schloß die Tür. Es war die reinste Ironie, daß sie immer und immer wieder denken konnte, wie verhaßt ihr die Rituale waren, die die Götter verlangte, wie leer ihre Verehrung war – doch ein einziger unloyaler Gedanke an Vater oder den Sternenwege-Kongreß, und sie mußte augenblicklich Buße tun.

Normalerweise würde sie eine halbe, eine volle Stunde oder noch länger versuchen, dem Drang zur Buße zu widerstehen, ihre Unreinheit zu ertragen. Heute jedoch ersehnte sie das Ritual der Reinigung geradezu. Auf seine eigene Art hatte das Ritual Sinn, einen Anfang und ein Ende, Regeln, denen man folgen konnte. Ganz im Gegensatz zum Problem der Lusitania-Flotte.

Sie kniete nieder und wählte absichtlich die schmalste, schwächste Linie in dem bleichesten Brett, das sie fand. Sie wollte eine harte Buße; vielleicht würden die Götter sie dann für rein genug halten, um ihr die Lösung des Problems zu zeigen, das Vater ihr gestellt hatte. Sie brauchte eine halbe Stunde, um sich den Weg durch das Zimmer zu bahnen, denn sie verlor die Linie immer wieder und mußte jedesmal von vorn anfangen.

Schließlich wollte sie, erschöpft von der rechtschaffenen Arbeit und mit müden Augen vom Verfolgen der Linien, nur noch schlafen; statt dessen setzte sie sich vor ihrem Terminal auf den Boden und rief die Zusammenfassung ihrer bisherigen Arbeit auf. Nach der Überprüfung und Eliminierung aller sinnloser Absurditäten, die sich im Verlauf ihrer Nachforschungen ergeben hatten, blieben drei weitgefaßte mögliche Kategorien von Erklärungen übrig. Erstens, das Verschwinden der Flotte war von irgendeinem Naturereignis herbeigeführt worden, das für die Astronomen einfach noch nicht sichtbar geworden war. Zweitens, der Verlust der Verkürzer-Kommunikation war die Folge entweder von Sabotage oder einer Befehlsentscheidung in der Flotte. Drittens, der Verlust der Verkürzer-Kommunikation war aufgrund einer planetenweiten Verschwörung entstanden.