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»Ed sagte, Sie wollten mich noch sprechen?« fragte er.

»Ja.«

Jeder Film, der groß herauskommen wollte, bedurfte eines Auges, das alles im Leben wie durch ein Kameraobjektiv wahrnahm, einer Person, für die Scharfeinstellung und Lichtstärken selbstverständliche Erweiterungen des Sinnesapparates sein mußten. Im Vorspann tauchte ihre Funktion schlicht als »Kamera« auf. Ein befreundeter Mathematiker hatte mir einmal gesagt, er denke in Zahlen; Moncrieff, unser Kameramann, dachte in Helldunkel.

Wir waren ein eingespieltes Team. Es war unser dritter gemeinsamer Film. Beim erstenmal hatte mich sein surrealistischer Humor aus der Fassung gebracht, dann hatte ich begriffen, daß die Springquellen seines visuellen Genies daraus gespeist wurden, und schließlich bekam ich das Gefühl, ich würde ganz schön im Regen stehen, wenn ich ohne ihn meine Beobachtungen sinnfällig auf die Leinwand bringen müßte. Sagte ich Moncrieff, was ich einem Publikum vermitteln wollte, fand er instinktiv die geeignete Kameraeinstellung.

Wir hatten einmal eine »Sterbesakramente«-Szene über einen Mann gedreht, dem vor seiner Ermordung durch Terroristen noch die Absolution erteilt wurde: Moncrieff hatte die Unmenschlichkeit dieser üblen Gotteslästerung durch die Ausleuchtung der Gesichter unterstrichen: das versteinerte Opfer, der schwitzende Priester, die Gnadenlosigkeit der Gesetzlosen. Ego te absolvo... es hatte mir Briefe mit Morddrohungen eingetragen.

An diesem Dienstag in Newmarket fragte ich: »Haben Sie den Gitterzaun vor dem Jockey Club gesehen? Vor dem Privatparkplatz?«

»Hoch und schwarz? Ja.« »Ich möchte eine Einstellung, die das Abgrenzende daran hervorhebt. Es soll deutlich werden, daß der Zaun alles bis auf die Elite aussperrt. Im Innern die hohen Herren des Rennsports. Draußen der Plebs.«

Moncrieff nickte.

Ich sagte: »Außerdem soll der Eindruck entstehen, daß die Leute drinnen, Cibber und George vom Jockey Club, Gefangene ihrer eigenen Konventionen sind. Hinter Gittern sozusagen.«

Moncrieff nickte.

»Und«, sagte ich, »machen Sie eine 5-Sekunden-Aufnahme von den Angeln am Tor, wie es aufgeht und wie es sich schließt.«

»Okay.«

»Die Szene zwischen Cibber und George wird zunächst vom Gitter aus gefilmt. Der Zoo-Aspekt soll klar herauskommen. Dann fahrt ihr durchs Gitter ran, damit man sieht, wo sie stehen. Ab da läuft das Gespräch in Nahaufnahme.«

Moncrieff nickte. Er machte selten Notizen, wenn wir uns unterhielten, setzte aber vor dem Schlafengehen einen genauen Arbeitsplan auf.

»Wir urteilen nicht«, sagte ich. »Kein Holzhammer. Kein großes soziales Anliegen. Nur ein flüchtiger Eindruck.«

»Ein Hauch«, sagte Moncrieff. »Verstanden.«

»Der zu Cibbers Zusammenbruch mit beiträgt«, sagte ich.

Er nickte.

»Den Zusammenbrach kann Howard morgen schreiben«, sagte ich. »Das ist im Grunde nichts als eine Verdichtung der ruhigen Szene, die im Skript steht. Howard muß nur etwas Saft reinbringen.«

»Howard steht auf Preiselbeernektar.«

Moncrieff pickte eine Wodkaflasche aus dem Getränkearsenal und hielt sie gegen das Licht. »Leer«, bemerkte er mürrisch. »Haben Sie mal Wodka mit Preiselbeersaft versucht? Das ist ekelhaft.«

Howard trank es unentwegt.

»Howard«, sagte Moncrieff, »ist radioaktiver Müll. Schwer zu entsorgen.«

Er wußte so gut wie ich, daß Howard Tylers Name auf den Plakaten sowohl die Büchereikunden wie auch die gehobene Kritik zu dem Film führen würde. Howard Tyler gewann renommierte Preise und war auf beiden Seiten des Atlantiks zum Ehrendoktor ernannt worden. Man schätzte Moncrieff und mich glücklich, mit einer solchen Lichtgestalt arbeiten zu dürfen.

Nur wenige Autoren konnten oder wollten Drehbücher zu ihren eigenen Romanen schreiben: Howard Tyler hatte für seinen ersten Versuch eine Oscarnominierung erhalten und verkaufte seine Filmrechte seither nur, wenn er im Paket inbegriffen war. Kurz, Moncrieff und ich mußten uns mit Howard abfinden, wie er sich zu seinem Leidwesen auch mit mir abfinden mußte.

Unser Produzent, kahl, sechzig, ein schwer gebauter Amerikaner, hatte einen astreinen Deal für die Filmgesellschaft zustande gebracht: namhafter Autor (Howard), bewährtes Kamera-As (Moncrieff), enorm erfolgreicher Produzent (er selbst) und junger, aber erfahrener Regisseur (T. Lyon), kombiniert mit einem (männlichen) Megastar und einer bildhübschen Jungschauspielerin; das für die großen Namen aufgewendete Geld wurde an der Hauptdarstellerin und mir wieder eingespart. Produzent O’Hara hatte mir einmal gesagt, was Schauspieler angehe, sei es Verschwendung, einen Film mit fünf großen Stars zu besetzen. Ein Star locke die Zuschauer an, zwei seien vielleicht noch erschwinglich. Nehme man mehr, deckten die Bruttoeinnahmen die Kosten nicht.

O’Hara hatte mir viel über Finanzen beigebracht und Moncrieff viel über die Kunst der Illusion. Allmählich meinte ich, mein Metier endlich zu verstehen - aber ich war Realist genug, um einzusehen, daß ich jederzeit auf einen Holzweg geraten und künstlerisch auf die Nase fallen konnte. Ließen Publikumsreaktionen sich zuverlässig voraussagen, gäbe es keine Flops. Man konnte sich des Publikumsgeschmacks nie ganz sicher sein: Er war so unbeständig wie das Glück im Rennsport.

O’Hara war an diesem Dienstag bereits im Speisesaal des Bedford Lodge Hotels, als ich zum Abendessen hinkam. Die Studiobosse wollten, daß er mich im Auge behielt und ihnen über mein Treiben berichtete. So kam er Woche für Woche hereinspaziert, manchmal aus London, manchmal aus Kalifornien, wohnte ein paar Tage den Dreharbeiten bei und ging abends Budget und Zeitplan mit mir durch. Vor allem seiner vernünftigen Planung wegen hoffte ich, unterm Budget bleiben und auch ein paar Tage einsparen zu können; und es sollte mir recht sein, wenn künftige Arbeitgeber dies als Zeichen meines Organisationstalents ansahen.

»Die Muster von gestern waren gut, und heute morgen ist alles glatt gelaufen«, stellte O’Hara fest. »Wo waren Sie denn heute nachmittag? Ed konnte Sie nicht finden.«

Ich hielt das Glas mit dem Eindruck schindenden Perrier auf halbem Weg zum Mund an, während ich mich lebhaft an Valentines rasselnden Atem erinnerte.

»Ich war hier in Newmarket«, sagte ich und setzte das Wasser ab. »Ein Bekannter von mir liegt im Sterben. Den habe ich besucht.«

»Oh.«

O’Hara tadelte nicht, er faßte meine Antwort als Begründung, nicht als Ausrede auf. Er wußte ohnehin - und sah es als selbstverständlich an -, daß ich an diesem Morgen um sechs mit der Arbeit begonnen hatte und daß ich bis zum Abschluß der Dreharbeiten meist achtzehn Stunden täglich dranbleiben würde.

»Ist er vom Film?« fragte O’Hara.

»Nein. Rennsport, ein Rennsportjournalist.«

»Oh. Hat also nichts mit uns zu tun.«

»Nein«, sagte ich.

So kann man sich irren.

Kapitel 2

Glücklicherweise brach der Mittwochmorgen hell und klar an: Moncrieff, seine Crew und ich wohnten dem Sonnenaufgang vor der Umzäunung des Jockey Clubs bei und filmten stimmungsvolle Gitterschatten am laufenden Band.

Auch die anschließenden Proben mit Cibber und George ließen sich gut an; Moncrieff verstärkte mit seinen Flutern mühelose die Sonne, und ich sah durch den Sucher, um sicherzugehen, daß die Einstellungswinkel die sich entwickelnde Gehässigkeit bei den ehemals »besten Freunden« zur Geltung brachten. Um elf waren wir klar für die Aufnahmen von den ankommenden und abfahrenden Pkws, zu deren Gelingen auch die hilfsbereite Polizei ihren Teil beitrug.