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»Morgen«, sagte ich, »wird die Hauptflachsaison in England eröffnet.«

»Das weiß ich.«

»Am Samstag ist das Lincoln Handicap.«

Nash nickte. »In Doncaster. Wo ist Doncaster?«

»Siebzig Meilen nördlich von hier. Knappe Stunde mit dem Hubschrauber. Haben Sie Lust?«

Nash machte große Augen. »Sie wollen mich bestechen!«

»Klar.«

»Und die Versicherung?«

»Habe ich mit O’Hara geregelt.«

»Das ist doch die Höhe!« sagte er.

Belustigt stand er auf und begann unvermittelt seine Gänge auf dem Set abzuschreiten.

»Laut Drehbuch«, sagte er, »soll ich auf der Matte stehen. Ist das die Matte da, auf der offenen Seite vom Tisch?«

»Ja. Genaugenommen ist es ein kleiner Teppich. Bei den rennsportlichen Untersuchungen in Newmarket mußten die Beschuldigten früher immer auf diesem Teppich stehen und das Gewitter abwarten.«

»Arme Schweine.«

Er stellte sich auf den Teppich und sagte leise seinen Text, wiederholte ihn und lernte ihn auswendig, fügte Pau-sen und Gebärden ein, verlagerte seine Stellung, als hätte er genug, und marschierte schließlich zur Mitte des U-förmigen Tisches, um sich drohend über den Chefsessel zu beugen, in dem Cibber, der Leiter der Untersuchung, sitzen würde.

»Und ich brülle«, sagte er.

»Ja«, stimmte ich zu.

Da die Wut im Augenblick stumm war, deutete er den Aufschrei nur leise an und setzte sich schließlich wieder auf den Platz neben mir.

»Was ist in Wirklichkeit aus den Leuten geworden?« fragte er. »Howard schwört, daß er den wahren Hergang dokumentiert hat. O’Hara meint, das kann nicht sein, weil sich niemand beschwert. Was ist also wirklich passiert?«

Ich seufzte. »Howard spekuliert nur. Außerdem bleibt er unverbindlich. Zum Beispiel wird keiner der Beteiligten im Buch bei seinem wahren Namen genannt. Und ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr als jeder andere darüber, denn das ist vor sechsundzwanzig Jahren hier passiert, da war ich gerade vier. Ich kann mich nicht erinnern, damals überhaupt davon gehört zu haben, und jedenfalls verlief die ganze Sache im Sand. Der Trainer, den Sie spielen, hieß Jackson Wells. Seine Frau wurde in einer Box in seinem Stall erhängt aufgefunden, und viele dachten, er sei das gewesen. Seine Frau hatte einen Liebhaber gehabt. Die Schwester seiner Frau war mit einem Mitglied des Jockey Clubs verheiratet. Soweit sind die Fakten ungefähr bekannt. Es konnte nie nachgewiesen werden, daß Jackson Wells seine Frau erhängt hatte, und er schwor, er habe es nicht getan.«

»Howard sagt, er lebt noch.«

Ich nickte. »Im Rennsport war er durch den Skandal erledigt. Er konnte nie nachweisen, daß er seine Frau nicht erhängt hatte, und der Jockey Club hat ihm zwar nicht die Lizenz entzogen, aber keiner hat noch Pferde von ihm trainieren lassen. Er hat seinen Stall aufgegeben, glaube ich, und sich eine Farm in Oxfordshire gekauft und noch mal geheiratet. Jetzt müßte er so an die Sechzig sein. Er hat überhaupt nicht auf Howards Buch reagiert, und es ist vor über einem Jahr erschienen.«

»Er wird also nicht auf einmal lassoschwingend hier hereinplatzen, um mich aufzuknüpfen?«

»Glauben Sie an seine Unschuld.«

»Sowieso.«

»Unser Film ist Erfindung«, sagte ich. »Der echte Jackson Wells war der durchschnittlich begabte Besitzer eines mittelgroßen Rennstalls und keine herausragende Persönlichkeit. Er war nicht die einflußreiche Oberschichtfigur von Howards Buch und noch viel weniger der harte, ungerecht behandelte, einfallsreiche Siegertyp, den wir im Film aus Ihnen machen werden.«

»O’Hara hat ein ausgefallenes Ende versprochen.«

»Das bekommt er auch.«

»Im Drehbuch steht aber nicht, wer die Frau erhängt hat, nur, wer es nicht war.«

Ich sagte: »Weil Howard es nicht weiß und weil er sich zu keiner Lösung entschließen kann. Haben Sie Howards Buch nicht gelesen?«

»Ich lese nie die Bücher, auf denen die Drehbücher beruhen. Das ist oft nur verwirrend und widersprüchlich.«

»Auch gut«, sagte ich lächelnd. »In Howards Buch hat der Trainer kein Verhältnis mit der Schwester seiner Frau.«

»Nein?«

Er war erstaunt. Er hatte sich einen vollen Tag lang halbnackt mit der Darstellerin der Schwester seiner Frau zwischen Bettlaken getummelt. »Wie haben Sie Howard denn dazu gekriegt?«

»Ich habe ihn auch davon überzeugt, daß Cibber, der Mann der Schwägerin, hinter das Verhältnis kommen sollte, damit er einen zwingenden Grund für die Hetzjagd auf Ihre Person hat; also für die Szene, die Sie hier morgen spielen.«

Nash sagte ungläubig: »Und nichts davon war in Howards Buch?«

Ich schüttelte den Kopf. O’Hara hatte Howard von vornherein gedrängt, die Geschichte zu würzen, und ihn im Grunde gewarnt: keine Änderungen, kein Film. Was ich zuletzt an Stimmung und Handlung geändert hatte, war nichts im Vergleich mit O’Haras früheren Eingriffen. Howard lieferte mir jetzt ein Rückzugsgefecht, und wenn wir Glück hatten, verlor er das ebenso.

Nash sagte nachdenklich: »Lebt der echte Cibber auch noch? Und die Schwester der Frau?«

»Über die weiß ich nichts. Der echte Cibber ist vor zirka drei Jahren gestorben. Anscheinend hat jemand diese alte Geschichte über ihn ausgegraben, und dadurch ist Howard auf die Idee für das Buch gekommen. Aber der echte Cibber hat Jackson Wells nicht so gnadenlos verfolgt, wie er’s im Film tut. Der echte Cibber hatte wenig Einfluß. In Wirklichkeit lief das alles auf ziemlich kleiner Flamme. Nicht wie in O’Haras Version.«

»Oder in Ihrer.«

»Oder in meiner.«

Nash sah mir mit einem geraden, fast mißtrauischen Blick ins Gesicht und sagte: »Was verschweigen Sie mir, was noch am Skript geändert werden soll?«

Ich mochte ihn. Vielleicht konnte ich ihm sogar trauen. Aber ich hatte durch Schaden gelernt, daß nichts jemals inoffiziell blieb. Was geheim bleiben sollte, mußte man für sich behalten. Selbst O’Hara hatte ich im dunkeln gelassen.

»Hinterlistig«, hatte O’Hara mich genannt. »Ein Taschenspieler.«

»Es muß sein.«

»Das will ich nicht bestreiten. Aber sehen Sie zu, daß der Zauber funktioniert.«

Zauberkünstler erklären ihre Tricks nicht. Der Ausruf der Überraschung ist für sie die schönste Belohnung.

»Sie erfahren von mir immer«, sagte ich zu Nash, »wie Ihre Figur in der jeweiligen Szene eingestellt ist.«

Er merkte, daß ich ihm ausgewichen war. Eine ganze Minute schwieg er und ging mit sich zu Rate, ob er mich nach Einzelheiten fragen sollte, die ich ihm vielleicht dann doch vorenthalten würde. Schließlich sagte er: »Sie verlangen viel Vertrauen.«

Dem widersprach ich nicht. Nach einer Weile seufzte er tief, wie im Einverständnis, und ich nahm an, daß blindes Vertrauen jetzt für ihn die Hintertür war, falls das ganze Unternehmen fehlschlug. »Man sollte sich nie auf einen Regisseur verlassen.«

Jedenfalls beugte er sich über das Drehbuch, las es schnell noch einmal durch, stand dann auf, ohne die Blätter mitzunehmen, und wiederholte den ganzen Auftritt; artikulierte sorgfältig den Text und blieb nur einmal hängen; fügte die Pausen, die Gesten und die Haltungswechsel ein bis zu dem jähen Vorstoß an das Hufeisen und der überschäumenden Wut am Ende.

Dann ging er, ohne etwas dazu zu sagen, das Ganze noch einmal durch. Auch ohne Geräuschkulisse war die Spannung verblüffend - und im dritten Durchgang ließ er sogar die Möglichkeit aufscheinen, daß er ein Mörder, der Mörder seiner Frau sein könnte, so leidenschaftlich er es auch bestritt.

Diese ruhige, konzentrierte geistige Energie war es offenbar, die einen guten Schauspieler in einen Megastar verwandelt hatte.

Ich hatte nicht vorgehabt, die Szene in einer einzigen langen Einstellung zu filmen, aber nach seinem Auftritt überlegte ich es mir. Er hatte einen Rhythmus und eine Intensität hineingebracht, die mit Schnitten nicht zu erzielen waren. Die Nahaufnahme von Cibbers Böswilligkeit konnte später kommen.