Выбрать главу

»Mrs. O’Donnell, Sie werden nicht verrückt.« Curtis berührte mitfühlend ihre Hand. »Morgen früh haben wir bestimmt schon eine genauere Vorstellung davon, was in Ihrem Haus vor sich geht.« Er schaute über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Ross auch alles filmte. Je nachdem, wie sich die Dinge entwickelten, könnte er einen Beitrag über die O’Donnells in Bogeyman Nights bringen, und dann war das Gespräch hier von entscheidender Bedeutung. Die Warburtons erhielten täglich über dreihundert E-Mails von Leuten, die glaubten, dass es in ihren Häusern spukte. In fünfundachtzig Prozent der Fälle erwies sich das als Schwindel, oder die Gespenster entpuppten sich als Mäuse im Gebälk. Die Übrigen – nun ja, Ross hatte inzwischen lange genug mit der Materie zu tun, um zu wissen, dass es Dinge gab, die einfach unerklärlich blieben.

»Haben Sie irgendwelche Geistervisionen gehabt?«, fragte Curtis. »Temperaturschwankungen erlebt?«

»In unserem Schlafzimmer ist es manchmal höllisch heiß, und von einer Minute zur nächsten wird uns eiskalt«, antwortete Harlan.

»Gibt es irgendwelche Bereiche im Haus, in denen Ihnen besonders unbehaglich zumute ist?«

»Der Speicher, ganz eindeutig. Und das Badezimmer im ersten Stock.«

Curtis’ Augen huschten von dem handgeknüpften Orientteppich zu der antiken Vase auf dem Kaminsims. »Ich muss Sie warnen, dass eine Geistersuche eine kostspielige Angelegenheit werden kann.«

Als Warburtons Feldforscher hatte Ross in Bibliotheken und Zeitungsarchiven nach Dokumenten über das Grundstück der O’Donnells gesucht – in der Hoffnung, dabei auch auf Informationen zu stoßen, dass sich hier ein Mord oder Selbstmord ereignet hatte. Seine Nachforschungen hatten nichts dergleichen ergeben, aber das war für Curtis kein Hinderungsgrund. Schließlich konnte ein Geist sowohl eine Person als auch einen Ort heimsuchen. Geschichte konnte wie ein schwacher Duft in der Luft schweben oder wie eine Erinnerung sein, die sich auf der Innenseite der Augenlider eingeprägt hat.

»Der Preis spielt keine Rolle«, sagte Eve O’Donnell.

»Natürlich nicht.« Curtis lächelte. »Also dann. Ran an die Arbeit.«

Das war Ross’ Stichwort. Während der Ermittlungen war er für Aufbau und Überwachung der elektromagnetischen Ausrüstung, der digitalen Videokameras, des Infrarotthermometers zuständig. Er arbeitete für einen Hungerlohn, obwohl die Sendung im Fernsehen und Fälle wie dieser hier viel Geld einbrachten. Vor neun Monaten hatte Ross die Warburtons um einen Job bekniet, nachdem er in der L.A. Times zu Halloween einen Artikel über sie gelesen hatte. Anders als Curtis und Maylene hatte er noch nie einen Geist gesehen – aber er wollte es unbedingt. Er hoffte, dass die Empfänglichkeit für Geister sich durch engen Kontakt übertrug, wie eine ansteckende Krankheit – und dass er dadurch für immer gezeichnet werden würde.

»Ich würde mir gern mal den Speicher ansehen«, sagte Ross.

Er wartete an der offenen Tür, bis Eve O’Donnell vor ihm her nach oben ging. »Ich komme mir albern vor«, gestand sie, obwohl Ross sie nicht danach gefragt hatte. »Dass ich in meinem Alter auf einmal Gespenster sehe.«

Ross lächelte. »Ein Geist kann einen Menschen ganz schön durcheinanderbringen und ihm das Gefühl geben, er wäre verrückt, aber ein Geist tut dem Menschen nichts.«

»Oh, ich glaube nicht, dass sie mir was tun würde.«

»Sie?«

Eve zögerte. »Harlan meint, wir sollten Ihnen von uns aus keine Informationen geben. Und wenn Sie dann das, was wir sehen, auch sehen, hätten wir die Bestätigung.« Sie fröstelte, blickte die schmale Treppe hinauf. »Meine kleine Schwester ist gestorben, als ich sieben war. Manchmal frage ich mich … ob ein Geist einen Menschen finden kann, wenn er will?«

Ross wandte den Blick ab. »Ich weiß es nicht«, sagte er. Seine Augen verweilten auf der kleinen Tür oben an der Treppe. »Ist es da?«

Sie nickte, ließ ihn vor, damit er die Tür entriegeln konnte. Die Videokamera, die Ross draußen angebracht hatte, beobachtete sie durchs Fenster, ein Zyklopenauge. Eve schlang sich die Arme um den Oberkörper. »Ich krieg hier oben Gänsehaut.«

Ross rückte ein paar Kisten beiseite, damit auf dem Band keine Schatten zu sehen sein würden, die leicht zu erklären wären. »Curtis sagt, so weiß man, wo sie zu finden sind. Man orientiert sich an seinem Instinkt.« Ein Blinken auf dem Boden erregte seine Aufmerksamkeit. Er ging in die Knie und hob eine Handvoll Pennys auf. »Sechs Cent.« Er lächelte. »Komisch.«

»Manchmal macht sie so was.« Eve schob sich Richtung Tür. »Lässt uns Kleingeld da.«

»Der Geist?«, fragte Ross und drehte sich um, aber Eve war schon die Treppe hinuntergeflüchtet.

Er holte tief Luft, schloss die Speichertür und löschte das Licht, sodass der Raum in Dunkelheit versank. Er trat zur Seite, wo die Kamera ihn nicht erfassen konnte, und schaltete sie per Fernbedienung ein. Dann konzentrierte er sich auf die Finsternis, die ihn umgab, ließ sie schwer lasten auf seiner Brust und in seinen Kniekehlen, wie er es von Curtis Warburton gelernt hatte. Ross öffnete seine Sinne, bis seine Zweifel nachließen, bis der Raum um ihn herum erblühte. Vielleicht ist es genau so, dachte er. Vielleicht fühlt sich das Nahen der Geister an wie ein Schluchzen tief unten in der Kehle.

Irgendwo links von ihm hörte er einen Schritt und das unverkennbare Klimpern von Münzen auf dem Boden. Ross schaltete eine Taschenlampe ein und richtete den Strahl nach unten auf seine Schuhe – und die drei neuen Pennys daneben. »Aimee?«, flüsterte er in die leere Luft. »Bist du das?«

Comtosook, Vermont, war ein von Grenzen bestimmter Ort: das Gefälle, an dem er in den Lake Champlain glitt, die Klippen am Rande des Granitsteinbruchs, in dem die Hälfte der Einwohner arbeitete, die unsichtbare Demarkationslinie, an der entlang die wellige Landschaft von Vermont mit einem einzigen weiteren Schritt zur Stadt Burlington wurde. An der Kongregationalistenkirche im Ortskern hing eine von der Zeitschrift Vermont Life gestiftete Tafel von 1994, dem Jahr, in dem Comtosook zum malerischsten Ort von ganz Vermont gewählt worden war. Und das mit Recht – es gab Tage, an denen Eli Rochert die sich verfärbenden Blätter betrachtete und er einfach einen Moment stehen bleiben musste, weil ihm der Atem stockte.

Aber ganz gleich, was Comtosook für Touristen bedeutete, es was Elis Heimat. Schon immer. Als einer der beiden Polizisten im Ort war ihm natürlich klar, dass die Touristen nur eine Illusion sahen.

Er fuhr die Cemetery Road hinunter. In Nächten wie dieser, wenn der Mond kugelrund und gelb wie ein Habichtsauge aussah, lag der Friedhof immer auf seiner Route. Obwohl die Fenster heruntergekurbelt waren, wehte kaum ein Lüftchen, und Elis kurz geschnittenes schwarzes Haar war im Nacken feucht. Sogar Watson, sein Bluthund, hechelte auf dem Beifahrersitz.

Alte Grabsteine standen geneigt, wie müde Fußsoldaten. In der linken Ecke des Friedhofs, nahe der Buche, befand sich Comtosooks ältester Grabstein. WINNIE SPARKS, stand darauf. GEBOREN 1835. GESTORBEN 1901. GESTORBEN 1911. Der Legende nach war der Leichenzug der reizbaren alten Frau auf dem Weg zum Friedhof gewesen, als die Pferde scheuten und ihr Sarg vom Wagen fiel. Der Deckel sprang auf, und eine fuchsteufelswilde Winnie kletterte heraus. Zehn Jahre später starb sie – erneut –, und ihr schwer geprüfter Gatte hämmerte den Deckel vorsichtshalber mit 150 Nägeln zu, aus reiner Vorsicht.

Ob die Geschichte wahr war oder nicht, interessierte Eli herzlich wenig. Doch die Jugendlichen aus dem Ort sahen anscheinend in Winnies Unwillen, tot zu bleiben, Anlass genug, um mit Sixpacks Bier und Haschisch zu ihrem Grab zu ziehen. Eli faltete seinen langen Körper aus dem Pick-up. »Kommst du?«, sagte er zu dem Hund, der sich stattdessen auf dem Sitz niederließ. Kopfschüttelnd lief Eli über den Friedhof, bis er Winnies Grab erreichte, wo vier Jugendliche, die so bekifft waren, dass sie ihn nicht hatten kommen hören, um die blaufingerige Flamme einer Brennpastenschale herumsaßen.