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Aber, Gott, das war es wert. Die Ankunft des Morgens zu erleben, ohne eine Glasscheibe vor den Augen. Den Sonnenaufgang zu spüren, anstatt ihn bloß zu sehen.

Sein linker Arm war jetzt krebsrot und juckte wie verrückt. Hinter ihm kam Lucy gähnend auf den Felsen. Dann sah sie seine Arme. »Ethan!«

»Ist nicht so schlimm.« Aber es war schlimm. Das war unübersehbar. Plötzlich fiel sein Blick auf etwas Glitzerndes auf dem Grund des Steinbruchs. Vielleicht ein silberner Knopf – oder eine Schnalle. Es war eine Baseballmütze, und als Ethan sich über den Rand des Granitsimses beugte, konnte er den Schriftzug darauf erkennen. »Das ist ja komisch«, sagte er. Doch ehe er Lucy die Mütze zeigen konnte, die vermutlich seinem Onkel gehörte, explodierte sie vor seinen Augen.

Wie an jedem Morgen, wenn im Angel-Steinbruch gesprengt wurde, lösten die Computer die ersten Explosionen aus und ließen dann dem Gestein etwas Zeit, wieder zur Ruhe zu kommen, bevor die nächste Ladung zur Detonation gebracht wurde. Gewaltige Brocken flogen durch die Luft, und feine Partikel stiegen in einer Pilzwolke auf. Gesteinsstaub bedeckte das Dach von Ross’ Wagen. Kurz nach der ersten Sprengung krachte die zweite los. Ein spitzer Stein durchschlug die Windschutzscheibe. »Oh Gott«, schrie Meredith, und während der Wagen noch rollte, stieß sie die Beifahrertür auf, sprang nach draußen und rannte auf den Steinbruch zu, in dem vielleicht ihre Tochter war.

Große Granitplatten kippten wie Dominosteine, stürzten Steinpfeiler von ihren Podesten und wirbelten eine so dichte Wolke aus silbrigem Sand und Steinsplittern in die Luft, dass Meredith vorübergehend kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Ross kam angerannt. »Ich kann Az nirgends entdecken«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie ich die Sprengung stoppen soll.«

Meredith krallte die Finger in den Maschendrahtzaun. »Lucy!«, schrie sie. »Lucy!«

Die einzige Antwort war eine erneute Serie von Explosionen. Das Getöse des berstenden Gesteins war noch lauter als der Krach der Detonationen.

Jemand anderes hätte es vielleicht nicht gehört – das kurze Keuchen, auf das ein Schluchzen folgte –, doch Meredith entging das Geräusch nicht. »Lucy«, flüsterte sie und strengte die Augen an, um irgendeinen Beweis dafür zu entdecken, dass ihre Ohren sie nicht getäuscht hatten. Sie fand ihn, auf einem Steinsims kauernd – ein schmaler Farbfleck, der in dem Staubschleier aufblitzte, ein rostroter Streifen von Lucys T-Shirt, der nicht von grauem Puder bedeckt war. Meredith sprang an dem Zaun hoch und kletterte los.

»Meredith!«

Sie hörte Ross’ Stimme, der ihr über den Zaun folgte. Es war durchaus denkbar, dass die Sprengungen jeden Augenblick weitergingen, aber Meredith war das egal. Sie hatte Ethan und Lucy tief unten im Steinbruch erspäht, und stieg jetzt eine Leiter hinab, deren Sprossen an der Steinwand befestigt waren.

Unten angekommen, zögerte sie kurz, eingeschüchtert durch steinerne Obelisken, die sechsmal größer waren als sie, doch dann erkletterte sie den ersten und sah sich nach dem kürzesten Weg zu ihrer Tochter um. An dem rauen Fels kratzte sie sich die Hände blutig. Sie rutschte ab, knickte mit einem Fuß um und schrie auf. Im selben Augenblick entdeckte Lucy sie. »Mommy!«, hörte sie und Weinen, und sie quälte sich fünfzehn Meter weiter.

Ein Signalhorn ertönte, dreimal hintereinander. »Deckung«, rief Meredith, so laut sie konnte, winkte ihnen zu, sich in die Höhle zu verkriechen, die sie gefunden hatten. Sie legte sich die Arme über den Kopf, als könnte sie sich dadurch schützen, und fast im selben Moment explodierten die Sprengladungen auf der anderen Seite des Steinbruchs. Die Detonation war zwar weit entfernt, doch die Erschütterung ließ den Boden unter Merediths Füßen erbeben. Sie spürte, wie der Stein unter ihr nachgab, ihre blutnassen Finger suchten vergeblich nach Halt, und dann fiel sie und landete auf dem verletzten Fuß. Das Bein zerknickte unter dem Gewicht der Granitplatte und wurde eingeklemmt.

Ross sah die Explosionen wie in Zeitlupe. Er hörte das Tosen des Gerölls, das ihm mit seinem rasenden Puls in den Ohren hallte. Er konnte die Zeit nicht beschleunigen, er konnte seine Arme und Beine nicht dazu bringen, sich schneller zu bewegen. Die ganze Welt um ihn herum wurde zersprengt. Doch selbst in diesem Chaos übertönte Ethans Hilfeschrei alles Krachen.

Ross blendete jeden Gedanken daran aus, dass es praktisch unmöglich war, heil auf die andere Seite des Steinbruchs zu gelangen. Er wusste nur, dass er nicht noch einmal einen Menschen sterben lassen würde, den er liebte. Dass er der Einzige war, der Ethan retten konnte. Dass er keine Wahl hatte.

Dass die Geschichte sich nicht wiederholen würde.

Als er Meredith erreichte, waren seine Schienbeine vom Granit zerschnitten. Blut rann ihm von der Schläfe, wo ein Splitter ihn getroffen hatte. Meredith lag eingeklemmt unter einer Felsplatte, so groß wie ein erwachsener Mann. »Die Kinder«, keuchte sie, und er nickte ihr zu.

Er rammte einen Schuh in den Spalt zwischen zwei Steinen, streckte die Arme aus und zog sich weiter. Wieder und wieder. Manchmal bewegten sich Felsen unter ihm, oder seine Hände rutschten ab. Doch Ross gab nicht auf. Er hielt die Augen auf Ethan und Lucy gerichtet, die auf dem Sims hinter einer Staubwand standen und auf ihn warteten.

Die beiden aneinandergelehnten Felsen, unter denen Lucy und Ethan Schutz gesucht hatten, brachen plötzlich zusammen. Lucy sprang kreischend an den äußeren Rand des Simses. »Schnell!«, rief sie. »Bitte!«

Nach tausend Jahren oder vielleicht auch nur nach einem Herzschlag erreichte Ross den Geröllhügel. Er suchte festen Halt und kletterte hoch. Eine Hand vor die andere. Ein Fuß vor den anderen. Als er den Kopf hob, konnte er die Spitzen von Ethans schwarzen Turnschuhen sehen.

Eine Detonation krachte hinter ihm, und dann stürzte Ross auch schon – zusammen mit der Wand, an der er hochklettern wollte. Instinktiv rollte er sich nach links und hob die Arme über den Kopf, während es dicke Gesteinsbrocken regnete. Lucy weinte jetzt lauter, und er hörte Ethan und Meredith seinen Namen rufen. Er stand auf und blickte sich um.

Der Sims, auf dem Ethan und Lucy gestanden hatten, war noch da. Aber zwischen dem Sims und dem Felsen, auf dem Ross sich befand, klaffte jetzt ein Abgrund. Quer durch den gesamten Steinbruch verlief ein anderthalb Meter breiter und fast fünf Meter tiefer Graben, der die Kinder auf einer steinernen Insel gefangen hielt.

Ross schaute nach rechts und links, dann hinunter in diese neue Grube. Die Granitwände fielen senkrecht ab. Um zu den Kindern zu gelangen, müsste er an dem Spalt entlang bis zum Südende des Steinbruchs, dort zur Sicherheitsabsperrung hoch und dann auf der anderen Seite des Grabens wieder herunter. »He, ihr beiden«, rief Ross den Kindern zu. »Ihr müsst springen.«

Meredith hatte alles beobachtet – Ross’ Weg durch den bebenden Steinbuch und dass er schon fast bei Lucy und Ethan war, als der Berg unter seinen Füßen nachgab. Als er aus ihrem Gesichtsfeld verschwand, wollte sie sich drehen, um weiter nach ihm Ausschau halten zu können. Dabei jagte ihr ein so heftiger Schmerz durch das Bein, dass sie fast das Bewusstsein verloren hätte. Noch während sie dagegen ankämpfte, sah sie plötzlich, wie sich der Spalt auftat, der den Boden des Steinbruchs in zwei Hälften teilte, mit den Kindern auf der anderen Seite.

Ross würde es niemals bis zum Rand des Steinbruchs und von dort bis zu den Kindern schaffen, nicht vor der nächsten Explosion. Er hatte recht – die einzige Rettung für Lucy und Ethan war ein Sprung über den Spalt. Ethan würde tun, was sein Onkel ihm sagte. Aber Lucy – nein, Lucy würde nicht springen. Dazu war sie einfach nicht mutig genug.

Meredith traten Tränen in die Augen. »Lucy«, schrie sie, »spring!«