»Ich habe schon früher die Grenzen deiner Vorstellungskraft bemerkt«, stellte er tadelnd fest. »Warum sollte ein mechanischer Arbeiter analog zu den Beschränkungen der menschlichen Konstruktion gefertigt werden? Mit dem Leben einer Maschine…«
»Leben?«
»…Es steht jedem frei, andere Morphologien zu erforschen — andere Formen.«
Ich sah den Konstrukteur an und runzelte die Stirn. »Zum Beispiel die Morphologie der Ligusterhecke!«
»Und außerdem«, fügte er hinzu, »könnte es auch dich herstellen. Wärst du denn dadurch weniger lebendig?«
Die Debatte wurde mir jetzt viel zu metaphysisch! Ich umrundete den Konstrukteur. »Aber wenn es wirklich lebt und über Bewußtsein verfügt — ist es dann eine Person? Oder ein Verbund aus mehreren Individuen? Hat es einen Namen? Eine Seele?«
Nebogipfel drehte sich wieder dem Konstrukteur zu und ließ sich die Optik ins Gesicht einführen. »Eine Seele?« fragte er. »Das ist dein Nachfahre. Genau wie ich, nur auf einer anderen Zeitschiene. Habe ich eine Seele? Hast du eine?«
Er wandte sich von mir ab und schaute in das Herz des Konstrukteurs.
Das Billardzimmer
Später kam Nebogipfel zu mir in den Raum, den ich nun als Billardzimmer bezeichnete. Er bediente sich von einem Teller mit käseähnlicher Nahrung.
Ich hockte ziemlich verdrossen auf der Kante des Billardtisches und schnickte die einzige Kugel über den Filz. Die Kugel zeigte einige überraschende physikalische Eigenschaften. Wenn ich eine Tasche an der anderen Seite des Tisches anpeilte, traf ich auch meistens und trottete dann um den Tisch, um die Kugel aus dem kleinen Schacht darunter zu bergen. Aber manchmal beschrieb die Kugel eine merkwürdige Bahn. Es rasselte im Zentrum der leeren Tischplatte — die Kugel kreiselte wild umher, so schnell, daß ich ihr nicht folgen konnte — und dann kullerte sie normalerweise wieder auf dem von mir bestimmten Kurs weiter. Zuweilen jedoch wich die Kugel deutlich von ihrem eigentlichen Pfad ab — und einmal kehrte sie sogar aus diesem halb verschwommenen Zustand wie ein Bumerang in meine Hand zurück!
»Hast du das gesehen, Nebogipfel? Wirklich höchst merkwürdig«, meinte ich. »In der Mitte des Tisches scheint sich doch gar kein Hindernis zu befinden. Und trotzdem wird die Kugel jedes zweite Mal abgelenkt.« Ich wollte ihm das noch mal demonstrieren, und er schaute leicht gelangweilt hin.
»Nun, jedenfalls bin ich froh, daß ich hier nicht richtig spiele«, sagte ich. »Ich kenne nämlich ein paar Leute, die bei solchen Unregelmäßigkeiten ausrasten würden.« Nachdem ich genug herumgespielt hatte, plazierte ich die Kugel in der Mitte des Tisches und ließ sie da liegen. »Ich frage mich, was die Konstrukteure dazu bewogen haben mag, diesen Tisch hier aufzustellen. Ich meine, er ist unser einziges richtiges Möbelstück — wenn man den Konstrukteur da draußen nicht mit berücksichtigt… Ich frage mich, ob das nun ein Snooker oder ein richtiger Billardtisch sein soll.«
Nebogipfel schien diese Frage zu amüsieren. »Gibt es da denn überhaupt einen Unterschied?«
»Das möchte ich meinen! Trotz seiner Popularität ist Snooker nur ein Spiel zum Versenken der Kugel — ein netter Zeitvertreib für die gelangweilten Kolonialoffiziere in Indien — hat meines Wissens aber nichts mit der Wissenschaft des Billard zu tun…«
Und dann hüpfte — vor meinen Augen — ganz spontan eine zweite Billardkugel aus einer der Taschen am Tisch und nahm zielstrebig Kurs auf meine im Zentrum des Tisches liegende Kugel.
Ich beugte mich über den Tisch, um das besser sehen zu können. »Was, zum Teufel, geschieht hier?« Die Kugel rollte ziemlich langsam, so daß ich Details ihrer Oberfläche erkennen konnte. Meine Kugel war nicht mehr glatt und weiß; nach diversen Versuchen war die Oberfläche mit einer Reihe von Kratzern überzogen, von denen einer besonders markant war. Und diese neue Kugel war genauso zerkratzt.
Die neue kollidierte satt klackend mit meiner stationären Kugel; die neue Kugel wurde durch den Aufprall abgebremst, und dafür schoß jetzt die erste über den Tisch.
»Weißt du«, wandte ich mich an Nebogipfel, »wenn ich es nicht besser wüßte, könnte ich schwören, daß diese aus dem Nichts aufgetauchte Kugel mit der ersten identisch ist.« Er kam etwas näher, und ich zeigte auf diesen unübersehbaren, langen Kratzer. »Siehst du das? Ich würde diesen Kratzer noch im Dunklen erkennen… Die Kugeln sehen aus wie eineiige Zwillinge.«
»Dann«, meinte der Morlock ruhig, »ist es vielleicht doch ein und dieselbe Kugel.«
Nun war meine abgelenkte Kugel am anderen Ende des Tisches gegen die Bande geprallt und rollte wieder zurück; die irreguläre Geometrie des Tisches bewirkte, daß sie jetzt genau auf die Tasche zuhielt, aus der die zweite Kugel zum Vorschein gekommen war.
»Aber wie ist das möglich? Ich meine, eine Zeitmaschine kann wohl zwei Kopien desselben Objekts am selben Ort deponieren — siehe Moses und mich! —, aber hier ist nichts, was nach einer Zeitmaschine aussieht. Und welchen Sinn sollte das auch haben?«
Die Originalkugel hatte nach diesen diversen Kollisionen so viel kinetische Energie verloren, daß sie nur noch schlich, als sie die Tasche erreichte; aber sie fiel hinein und verschwand.
Jetzt hatten wir nur noch die Kopie, die auf so mysteriöse Art aus der Tasche aufgetaucht war. Ich nahm sie in die Hand und inspizierte sie. Soweit ich es sagen konnte, stellte sie eine exakte Kopie der ersten Kugel dar. Ich untersuchte den Schacht unter der Tasche — und er war leer! Unsere Originalkugel war verschwunden, als ob sie niemals existiert hätte.
»Na gut!« sagte ich zu Nebogipfel. »Dieser Tisch ist raffinierter, als ich angenommen hatte. Was, glaubst du, ist hier geschehen? Meinst du, daß das mit den gestörten Pfaden zu tun hat — diesem Rasseln — von dem ich dir vorhin erzählt habe?«
Nebogipfel antwortete nicht sofort, aber dann widmete er, zusammen mit mir, einen großen Teil seiner Zeit den Rätseln dieses seltsamen Billardtisches. Was mich betraf, so versuchte ich mich an einer Inspektion des Tisches selbst, wobei ich hoffte, irgendeinen verborgenen Mechanismus zu finden, aber ohne Erfolg — keine Tricks, keine versteckten Falltürchen, die Kugeln verschwinden lassen und ausstoßen konnten. Außerdem, selbst wenn es eine derart primitive Zauber-Maschinerie gegeben hätte, wäre immer noch eine Erklärung für die offenkundige Existenz ›alter‹ und ›neuer‹ Kugeln fällig gewesen!
Was mich wirklich beschäftigte — obwohl ich es mir bisher nicht erklären konnte — war dieses seltsame grünliche Glühen der Bande. Beim Jupiter, dieses Glühen erinnerte mich an Plattnerit.
Nebogipfel berichtete mir, was er über die Konstrukteure in Erfahrung gebracht hatte.
Es hatte den Anschein, daß unser stummer Freund in Nebogipfels Wohnzimmer einer universalen Spezies angehörte: die Konstrukteure bewohnten die Erde, die transformierten Planeten — und sogar die Sterne.
»Wenn du verstehen willst«, sagte er, »mußt du deine Vorurteile ablegen und diese Wesen unvoreingenommen betrachten. Sie sind nämlich nicht wie Menschen.«
»Das kann ich akzeptieren.«
»Nein«, insistierte er, »ich glaube nicht, daß du das kannst. Zunächst darfst du dir diese Konstrukteure nicht als individuelle Persönlichkeiten vorstellen — so wie du oder ich. Es sind keine Menschen in Mänteln aus Metall! Sie sind etwas qualitativ anderes.«