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Wallis starrte durch das Glas. »Bemerkenswert — nicht wahr? — daß etwas derart Häßliches und Simples solch nachhaltige Auswirkungen haben kann. Wir sind hier sicher — das Glas ist verbleit — und außerdem ist der Reaktor im Moment heruntergefahren…«

Ich hatte den Steinklotz schon bei der Schwätzmaschinen-Show gesehen. »Ist das eure Spalt-Maschine?«

»Es ist der zweite Graphit-Reaktor der Welt«, sagte Wallis. »Er ist im Grunde eine Kopie des ersten, den Fermi in der Universität von Chicago gebaut hat.« Er lächelte. »Soviel ich weiß, hat er ihn auf einem Squash-Spielfeld errichtet. Es ist eine bemerkenswerte Geschichte.«

»Ja«, stimmte ich mit steigender Ungeduld zu, »aber was reagiert da miteinander?«

»Ah«, sagte er, nahm die Brille ab und putzte sie mit dem Ende seiner Krawatte. »Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären…«

Es erübrigt sich zu sagen, daß er dazu einige Zeit benötigte, aber es gelang mir, die Quintessenz seiner Ausführungen zu verinnerlichen.

Ich wußte bereits, daß es innerhalb des Atoms noch eine Sub-Struktur gibt — und daß Thomson der Wegbereiter dieser Erkenntnis gewesen war. Jetzt erfuhr ich, daß diese Sub-Struktur verändert werden kann. Dies kann entweder durch die Verschmelzung eines Atomkerns mit einem anderen erreicht werden oder auch durch den spontanen Zerfall eines massiven Atoms; und diese Auflösung wurde als Atomspaltung bezeichnet.

Und da die Sub-Struktur die Identität eines Atoms bestimmt, besteht das Resultat solcher Veränderungen natürlich in nichts weniger als der Umwandlung eines Elements in ein anderes — der uralte Traum der Alchimisten!

»Nun«, meinte Wallis, »werden Sie nicht überrascht sein zu hören, daß bei jedem atomaren Zerfall eine gewisse Energie freigesetzt wird — denn die Atome streben immer einen stabileren, niederenergetischen Zustand an. Können Sie noch folgen?«

»Selbstverständlich.«

»Wir haben also in diesem Reaktor sechs Tonnen Carolinum, fünfzig Tonnen Uranoxid und vierhundert Tonnen Graphitblöcke… und selbst in diesem Moment produziert er eine Flut unsichtbarer Energie.«

»Carolinum? Davon habe ich noch nie gehört.«

»Es ist ein neues, künstliches Element, das durch Partikelbombardement gewonnen wird… Seine Halbwertszeit beträgt siebzehn Tage — das heißt, in dieser Zeit gibt es die Hälfte seiner gespeicherten Energie ab…«

Ich schaute erneut auf diesen unscheinbaren Haufen aus Ziegelsteinen: er wirkte so schlicht, so nichtssagend! — und doch, so dachte ich, wenn das, was Wallis über die Energie des Atomkerns gesagt hatte, stimmte…

»Welche Anwendungsmöglichkeiten bietet diese Energie?«

Er setzte sich wieder die Brille auf die Nase. »Wir sehen drei breite Felder. Zunächst die Bereitstellung von Energie aus einer kompakten Quelle: mit einem solchen Reaktor an Bord könnten Riesen-Unterseeboote monatelang unter Wasser bleiben, ohne Treibstoff bunkern zu müssen; oder wir könnten Höhenbomber entwickeln, welche die Erde mehrere dutzendmal umkreisen können, bis sie wieder landen müßten — und so weiter.

Des weiteren nutzen wir den Reaktor zur Bestrahlung von Materialien. Wir können die Nebenprodukte der Uranspaltung für die Umwandlung anderer Stoffe verwenden — genau in diesem Moment werden dort drinnen eine Anzahl Proben für Professor Gödel behandelt, um irgendein obskures Experiment zu unterstützen. Sie können sie natürlich nicht sehen — die Behälter mit den Proben befinden sich nämlich im Reaktor…«

»Und die dritte Anwendung?«

»Ah«, meinte er nur, und erneut bekamen seine Augen diesen entrückten, berechnenden Ausdruck.

»Ich sehe schon«, sagte ich grimmig. »Diese atomare Energie würde eine feine Bombe abgeben.«

»Natürlich müssen dabei noch einige praktische Probleme gelöst werden«, wußte er. »Die Produktion der richtigen Isotope in ausreichender Menge… der richtige Zeitpunkt der Zündexplosionen… aber, ja; es scheint, als ob man damit eine Bombe bauen könnte, die so stark ist, eine Stadt zu vernichten — die Kuppel und alles darunter — eine Bombe, die so klein ist, daß sie in einen Koffer paßt.«

Professor Gödel

Wir durchwanderten weitere dieser engen Betonkorridore und tauchten schließlich im Hauptbürotrakt des College auf. Nach kurzer Zeit gelangten wir in einen mit edlen Kacheln ausgekleideten Korridor, an dessen Wänden die Konterfeis berühmter Männer der Vergangenheit prangten — Sie kennen diese Orte: ein nobles Mausoleum für verblichene Wissenschaftler! Überall waren Soldaten, aber ihre Präsenz war unauffällig.

Hier hatte man Kurt Gödel also ein Büro eingerichtet.

Kurz und bündig skizzierte Wallis mir Gödels Lebenslauf. Er war in Österreich geboren und hatte in Wien sein Mathematikdiplom gemacht. Beeinflußt von der Schule des Logischen Positivismus, die damals dort tonangebend war (ich selbst hatte nie viel Zeit fürs Philosophieren gehabt), verlagerten sich Gödels Interessen zur Logik und mathematischen Philosophie.

1931 — er war gerade fünfundzwanzig — hatte Gödel seine aufrüttelnde These zur ewigen Unvollständigkeit der Mathematik veröffentlicht.

Später interessierte er sich für die in der Physik erstmals aufkommenden Untersuchungen zu Raum und Zeit, und er erarbeitete spekulative Beiträge zur Möglichkeit von Zeitreisen. (Das mußten die veröffentlichen Studien gewesen sein, auf die sich Nebogipfel bezogen hatte, überlegte ich.) Bald wechselte er unter dem Druck der Reichsregierung nach Berlin, wo er sich mit Arbeiten zur militärischen Anwendung von Zeitreisen befaßte.

Wir kamen an eine Tür, an der ein Messingschild mit Gödels Namen angebracht war — es war so neu, daß ich auf dem Teppich noch die Holzspäne sah, die der Bohrer hinterlassen hatte.

Wallis machte mich darauf aufmerksam, daß ich vielleicht nur ein paar Minuten für meinen Besuch haben würde. Er klopfte an die Tür.

»Herein!« rief eine dünne, hohe Stimme.

Wir betraten ein geräumiges Büro mit einer hohen Decke, das mit einem edlen Teppich und schöner Tapete sowie einem Schreibtisch mit grüner Ledereinlage ausgestattet war. Dieser Raum mußte einmal viel Sonne gehabt haben, realisierte ich, denn die großen Fenster — die jetzt mit Vorhängen verhängt waren — gingen nach Westen: in Richtung der Terrasse, wo ich logierte.

Der Mann am Schreibtisch unterbrach seine Schreibarbeiten nicht, als wir eintraten; er hatte einen Arm um das Blatt gelegt, offenkundig in der Absicht, uns einen Blick darauf zu verwehren. Er war ein kleiner, dünner und kränklich wirkender Mann mit einer hohen, fragilen Stirn; sein Anzug war aus Wolle und ziemlich zerknittert. Nach meiner Schätzung war er in den Dreißigern.

Wallis sah mich an und hob eine Augenbraue. »Er ist zwar ein verschrobener Kerl«, flüsterte er, »aber eine echte Kapazität.«

Die Wände des Raumes waren umlaufend mit Bücherregalen verdeckt, die im Moment jedoch fast leer waren; dafür war der Teppich mit aufeinandergestapelten Kisten zugestellt, und Bücher und Journale — überwiegend in Deutsch — waren in unregelmäßigen Haufen herausgeglitten. In einer Kiste sah ich eine wissenschaftliche Ausrüstung und diverse Flaschen für Präparate — und in einer davon sah ich etwas, das mein Herz vor Aufregung klopfen ließ!

Ruckartig wandte ich mich von der Kiste ab und versuchte meine Erregung zu verbergen.

Schließlich warf der Mann am Schreibtisch mit einem verzweifelten Keuchen den Stift weg — er klapperte gegen die Wand — und zerknüllte mit beiden Fäusten die beschriebenen Seiten, bevor er den ganzen Kram — seine ganzen Aufzeichnungen — in den Papierkorb warf!