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Wieder tauchten wir aus dem Eis in diese umgestaltete Tundra ein. Nebogipfel betrachtete mit einiger Faszination die Landschaft. »Stell dir nur mal vor: die Fjorde Skandinaviens sind noch nicht ausgefräst, und die Seen Europas und Nordamerikas — die sich aus geschmolzenem Eis gebildet haben — liegen noch in der Zukunft.

Wir haben bereits die Schwelle der Menschheitsgeschichte überschritten. In Afrika könnten wir auf Stämme der Australopithecinen stoßen — einige plump, einige grazil, einige fleischfressend, aber alle mit aufrechtem Gang und affenähnlichen Merkmalen: eine kleine Hirnschale und große Kiefer und Zähne…«

Eine große, kalte Einsamkeit legte sich über mich. Ich war zwar auch zuvor schon in der Zeit gestrandet, aber ich konnte mich nicht erinnern, die Isolation in dieser Intensität empfunden zu haben! Stimmte es — konnte es denn stimmen, daß Nebogipfel und ich, in unserem beschädigten Zeit-Fahrzeug, die einzigen Kerzenlichter der Intelligenz auf diesem ganzen Planeten darstellten?

»Wir haben die Sache also nicht unter Kontrolle«, folgerte ich. »Wir können nicht anhalten, bis wir den Beginn der Zeit erreichen…«

»Ich bezweifle, daß wir überhaupt so weit kommen«, meinte Nebogipfel. »Das Plattnerit muß nämlich eine endliche Kapazität haben. Es kann uns nicht für immer tiefer in die Zeit zurückschleudern; irgendwann muß es sich selbst aufgezehrt haben. Wir können nur beten, daß das geschieht, bevor wir die Erdzeitalter des Ordovoziums und Kambriums erreichen — bevor wir in einer Epoche landen, die uns keinen Sauerstoff bereitstellen kann.«

»Das sind ja wirklich herrliche Aussichten«, kommentierte ich. »Und es kann eigentlich nur noch schlimmer werden, wie ich vermute.«

»Wie?«

Ich zog meine steifen Beine unter mir hervor und setzte mich auf den kalten, gerippten Metallboden. »Wir haben nicht die geringsten Vorräte. Kein Wasser, keine Nahrungsmittel. Und wir sind beide verletzt. Wir haben nicht einmal warme Kleidung! Wie lange können wir wohl überleben, in dieser gefrierenden Zeitmaschine? Ein paar Tage? Weniger?«

Nebogipfel antwortete nicht.

Wir passierten noch eine kurze, brutale Eiszeit; und dann tauchten wir in einen langen, düsteren Winter ein. Die Jahreszeiten überzogen das Land noch immer flackernd mit Schnee und Eis, aber das Zeitalter des Permafrostes lag jetzt in der Zukunft. Ich stellte jetzt im Laufe der Jahrtausende kaum noch Veränderungen an der Landschaft fest: vielleicht hier und da noch eine langsame Anreicherung der Struktur des verwaschenen Grüns, das die Hügel bedeckte. Ein riesiger Schädel — der mich an den eines Elefanten erinnerte — erschien nicht weit vom Zeit-Fahrzeug auf dem Boden, ausgebleicht, knöchern und zerfallen. Er existierte lange genug, daß ich für eine Sekunde oder so seine Konturen ausmachen konnte, bevor er so schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war.

»Nebogipfel — vorhin… dein Gesicht. Ich… du mußt verstehen…«

Er schaute mich mit seinem unversehrten Auge an. Ich sah, daß er in seine Morlock-Verhaltensweisen zurückfiel und die angenommene menschliche Fassade verlor. »Was? Was muß ich verstehen?«

»Ich wollte dich nicht verletzen.«

»Das wolltest du jetzt nicht«, konstatierte er mit der Präzision eines Chirurgen. »Aber du wolltest es vorhin. Eine Entschuldigung ist nutzlos — absurd. Du bist, was du bist… wir gehören verschiedenen Spezies an, die so wenig gemeinsam haben wie wir beide mit den Australopithecinen.«

Ich kam mir wie ein primitives Tier vor, und meine großen Fäuste waren erneut mit dem Blut eines Morlocks befleckt. »Du beschämst mich«, sagte ich.

Er schüttelte auf eine kurze, knappe Art den Kopf. »Beschämen? Dieses Konzept ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung.«

Ich brauchte nicht mehr Scham zu empfinden — wollte er damit wohl ausdrücken — als ein wildes Tier im Dschungel. Wenn mich eine solche Kreatur angegriffen hätte, würde ich dann mit ihr die moralischen Aspekte des Falls erörtern? Nein — ohne Intelligenz konnte es nichts für sein Verhalten. Ich mußte mich nur mit seinen Reflexen befassen.

Gegenüber Nebogipfel hatte ich mich — wieder! — als kaum besser als die plumpen Wilden der afrikanischen Savanne erwiesen, die in dieser desolaten Periode unmerklich zu Menschen wurden.

Unmerklich unterschied ich mich von ihnen.

Ich zog mich zu den Holzbänken zurück. Ich legte mich hin, schob einen Arm unter den Kopf und beobachtete das Flackern der Erdzeitalter vor der immer noch offenen Tür des Fahrzeugs.

Der Beobachter

Die dunkle Winterkälte verschwand, und der Himmel nahm eine komplexere, fleckige Struktur an. Gelegentlich wurde das hin- und herrasende Sonnenband sekundenlang von einer dunklen Wolkenschicht ausgeblendet. Neue Baumarten gediehen in diesem milderen Klima: Laubbäume, wie ich erkennen konnte, Ahorn, Eiche, Pappeln, Zedern und andere. Manchmal schlugen diese antiken Wälder über dem Fahrzeug zusammen, hüllten uns in ein Dämmerlicht aus flackerndem Grünbraun und traten dann wieder beiseite, als ob ein Vorhang zurückgezogen worden wäre.

Wir waren in ein Zeitalter machtvoller tektonischer Tätigkeit eingetreten, teilte Nebogipfel mir mit. Die Alpen und der Himalaya wurden aufgefaltet, und riesige Vulkane spien Asche und Staub in die Luft, wobei sie den Himmel manchmal jahrelang verdüsterten. In den Ozeanen — so sagte der Morlock — kreuzten große Haie mit dolchartigen Zähnen. Und in Afrika fielen die Vorläufer der Menschheit in primitive Bewußtlosigkeit zurück, mit schrumpfenden Gehirnen, stolperndem Gang und ungelenken, plumpen Fingern.

Wir fielen vielleicht zwölf Stunden lang durch dieses endlose, wilde Zeitalter.

Ich versuchte, den an mir nagenden Hunger und Durst zu ignorieren, während Jahrhunderte und Wälder an der Kabine vorbeiflackerten. Dies war die längste Reise durch die Zeit, die ich seit meinem ersten Sturz in die entfernte Zukunft über Weenas Historie hinaus erlebt hatte, und diese ungeheure, sinnlose Leere — die sich Stunde um Stunde hinzog — begann sich drückend auf meine Seele zu legen. Die kurze Evolution der Menschheit war schon zu einem entfernten Lichtstrahl geschrumpft, verloren in der Zeit; selbst die Distanz zwischen der Menschheit und den Morlocks — egal welcher Ausprägung — war nur ein Bruchteil der großen Distanz, die wir bereits zurückgelegt hatten.

Die riesige Dimension der Zeit und die Kleinheit der Menschen und ihrer Errungenschaften erschlugen mich schier; und meine eigenen kleinen Sorgen schienen jetzt von absurder Bedeutungslosigkeit. Die Geschichte der Menschheit wirkte trivial, ein kurzes Taschenlampenblinken, verloren in den dunklen Hallen der Ewigkeit.

Die Erdkruste hob und senkte sich wie die Brust eines Erstickenden, und das Zeit-Fahrzeug wurde mit der sich ausprägenden Landschaft emporgehoben oder abgesenkt; es war wie die Gezeiten eines riesigen Ozeans. Die Vegetation wurde üppiger und grüner, und neue Wälder wölbten sich über das Zeit-Fahrzeug — ich hielt sie für Laubbäume, obwohl Blüten und Blätter durch unsere Geschwindigkeit zu einem einheitlichen Grünschleier reduziert wurden — und die Luft erwärmte sich.

Der Schmerz dieser Äonen der Kälte wich schließlich aus meinen Fingern, und ich zog die Jacke aus und öffnete die Knöpfe meines Hemdes; dann zog ich die Stiefel aus und ließ die Blutzirkulation in den Füßen wieder in Gang kommen. Barnes Wallis' numerierte Sicherheitsplakette fiel aus meiner Jackentasche. Ich hob es auf, dieses kleine Symbol der mißtrauischen Abgrenzung der Menschen untereinander, und ich kann mir nicht vorstellen, daß ich in diesem urweltlichen Grün ein perfekteres Symbol für die Engstirnigkeit und Absurdität hätte finden können, für die soviel menschliche Energie vergeudet wird! Ich warf die Plakette in einen dunklen Winkel des Fahrzeugs.