Ich richtete mich auf. Das Meer war zwar faszinierend, aber wir konnten kein Salzwasser trinken! Ich merkte mir sorgfältig die Stelle, an der ich aus dem Dschungel herausgekommen war — ich hatte nämlich nicht vor, Nebogipfel in diesem finsteren Wald zu verlieren — und folgte barfuß dem Küstensaum, weg von der Diatryma-Familie.
Nach etwa einer Meile erreichte ich einen Bach, der sprudelnd dem Wald entsprang und über den Strand ins Meer strömte. Als ich sein Wasser probierte, stellte ich fest, daß es Süßwasser war, und zudem schien es recht sauber zu sein. Ich spürte große Erleichterung: heute würden wir zumindest nicht sterben! Ich kniete mich nieder und tauchte Kopf und Hals in die kühle, perlende Flüssigkeit. Ich trank in großen Schlucken und zog dann Jackett und Hemd aus, um mir Kopf und Hals zu waschen. Verkrustetes Blut wurde ins Meer gespült, und als ich mich wieder aufrichtete, fühlte ich mich schon viel frischer.
Jetzt sah ich mich mit der Herausforderung konfrontiert, diesen Schatz zu Nebogipfel zu befördern. Ich benötigte irgendeinen Behälter.
Ich verbrachte einige Minuten damit, am Ufer dieses Baches zu sitzen und mich suchend umzusehen. Mein ganzer Einfallsreichtum schien sich während des letzten Sturzes durch die Zeit erschöpft zu haben, und dieses neue Problem war eines zuviel für mein müdes Hirn.
Schließlich nahm ich die Stiefel vom Gürtel, wusch sie aus, so gut ich konnte, und füllte sie mit Wasser; dann transportierte ich sie zurück am Strand entlang und durch den Wald zum wartenden Morlock. Als ich Nebogipfels zerschlagenes Gesicht wusch und ihm etwas Wasser einzuflößen versuchte, schwor ich mir, daß ich am nächsten Tag geeigneteres Geschirr als einen alten Stiefel auftreiben würde.
Nebogipfels rechtes Bein war durch die Attacke des Diatrymas übel zugerichtet worden; das Knie schien zerschmettert zu sein, und der Fuß stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Mittels eines scharfen Fragments der Wandung des Zeit-Fahrzeuges — ein Messer hatte ich nicht — unternahm ich rudimentäre Anstrengungen, seinen Pelz an den verletzten Stellen abzurasieren. Ich säuberte sie nach besten Kräften: wenigstens schienen sich die Oberflächenwunden wieder geschlossen zu haben, und es gab auch keine Anzeichen einer Infektion.
Im Verlauf meiner ungeschickten Verrichtungen — ich bin kein Vertreter der Heilkunst — grunzte der noch immer bewußtlose Morlock und miaute vor Schmerz wie eine Katze.
Nachdem ich die Wunden gereinigt hatte, fuhr ich mit den Händen über das Bein, konnte aber keinen Bruch des Schienbeins oder der Wade feststellen. Wie ich bereits zuvor ermittelt hatte, schienen hauptsächlich das Knie und die Knöchelpartie in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Ich registrierte das mit Sorge, denn während ich noch in der Lage gewesen wäre, ein gebrochenes Schienbein zu richten, sah ich keine Möglichkeit, solche Verletzungen, wie sie Nebogipfel erlitten hatte, zu behandeln. Dennoch durchsuchte ich unseren Schrott, bis ich zwei gerade Rahmenabschnitte gefunden hatte. Ich tranchierte meine Jacke mit dem improvisierten Messer — ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, daß mir dieses Kleidungsstück in einem solchen Klima von allzu großem Nutzen sein würde — und fertigte eine Reihe Bandagen an, die ich dann auswusch.
Dann nahm ich allen Mut zusammen und richtete das Bein und den Fuß des Morlocks. Ich schiente sein Bein mit den Rohren und band es zur Fixierung mit dem anderen, unverletzten Bein zusammen.
Die von den Bäumen widerhallenden Schreie des Morlocks gingen mir durch Mark und Bein.
Erschöpft labte ich mich zum Abendessen an Austern — an rohen, denn ich war zu schlapp, um ein Feuer zu entfachen — und dann setzte ich mich neben dem Morlock mit dem Rücken an einen Baumstamm, Moses' Schraubenschlüssel in der Hand.
Wie wir lebten
Am Strand des Urmeeres schlug ich ein Lager auf, ganz in der Nähe der Trinkwasserquelle, die ich gefunden hatte. Ich glaubte nämlich, daß wir hier gesünder lebten und sicherer vor Angriffen wären als im Dunkel des Waldes. Ich errichtete einen Sonnenschutz für Nebogipfel, wobei ich Teile des Zeit-Fahrzeuges verwendete und mit Kleidungsstücken bespannte.
Ich hob Nebogipfel auf und brachte ihn zu unserem Lager. Er war so leicht wie ein Kind und noch immer halb bewußtlos; er schaute mich hilflos durch die Trümmer seiner Brille an, und angesichts seines Zustandes konnte ich mir nur schwer vorstellen, daß er der Repräsentant einer Spezies war, die den Weltraum erobert und die Sonne gezähmt hatte!
Meine nächste Priorität war Feuer. Das verfügbare Holz — abgefallene Äste etc. — war feucht und vermodert, und so brachte ich es zum Trocknen an den Strand. Indem ich einige heruntergefallene Blätter als Zunder verwendete und mit einem gegen das Metall des Zeitfahrzeugs geschlagenen Stein einen Funken erzeugte, konnte ich bald ein Feuer entfachen. Anfangs machte ich ein Ritual daraus, das Feuer jeden Tag neu zu entzünden, aber dann kam ich auf die Idee, tagsüber Holzkohle in der Feuergrube glühen zu lassen, mit der ich die Flammen dann ganz nach Belieben wieder anfachen konnte.
Nebogipfels Genesungsprozeß machte nur langsame Fortschritte. Für den Angehörigen einer Spezies, die keinen Schlaf kennt, ist Bewußtlosigkeit ein schwerwiegendes und beunruhigendes Phänomen, und er saß tagelang in einem Schockzustand herum, passiv und schweigsam. Aber immerhin war er in der Lage, wenn auch mit großem Zögern, die Austern und Muscheln zu sich zu nehmen, die ich aus dem Meer fischte. Mit der Zeit konnte ich unseren Speisezettel mit gekochtem Schildkrötenfleisch anreichern — denn diese Tiere waren im Überfluß an der Küste zu finden. Mit einiger Übung gelang es mir, die an den Palmen entlang der Küste wachsenden Früchte abzuernten, indem ich Metallbrocken und Steine in die Äste warf. Die Nüsse erwiesen sich als sehr nützlich: ihre Milch und das Fleisch bereicherten unseren Speiseplan; ihre leeren Schalen dienten als Mehrzweckbehälter; und selbst die an der Schale hängenden braunen Fasern konnten zu einem groben Tuch verwoben werden. Eine solch diffizile Arbeit lag mir indessen nicht sonderlich, und ich kam nie über die Anfertigung einer Kappe hinaus — ein breitkrempiges Teil, wie sie die chinesischen Kulis tragen.
Dennoch war unsere Ernährung trotz des Reichtums des Meeres und der Palmen eintönig. Neidvoll beobachtete ich die saftigen kleinen Wesen, die außerhalb meiner Reichweite über uns in den Ästen der Bäume herumturnten.
Ich erkundete die Küste des Meeres. Viele Lebensformen bevölkerten diese ozeanische Welt. Ich sah große, diamantförmige Schatten über der Wasseroberfläche dahin huschen, die ich für Rochen hielt; und zweimal erspähte ich senkrechte, wenigstens einen Fuß hohe Flossen — die zielstrebig durch das Wasser pflügten — und die nur großen Haien gehören konnten.
Dann machte ich eine gewellte Form aus, die in einem Abstand von vielleicht einer halben Meile zum Land durch das Wasser kreuzte. Ich erkannte einen großen, scharnierartigen Kiefer, der mit kleinen Reißzähnen armiert und dahinter mit weißem Fleisch ausgekleidet war. Dieses Vieh war vielleicht fünf Fuß lang und bewegte sich mit wellenförmigen Bewegungen seines Schlangenkörpers durch das Wasser. Ich berichtete Nebogipfel von diesem Anblick, der ihn — nachdem er den in seinem kleinen Kopf gespeicherten enzyklopädischen Datenbestand durchforstet hatte — als Champosaurus klassifizierte: eine urweltliche, mit dem Krokodil verwandte Kreatur und ein Überlebender des Zeitalters der Dinosaurier — eines Zeitalters, das in dieser Periode des Paläozän schon lange zurücklag.
Nebogipfel erläuterte mir, daß die Meeressäugetiere meines Jahrhunderts — Wale, Seekühe usw. — sich in dieser Zeit noch mitten in ihrer evolutionären Adaption an das Meer befanden und noch als große, träge Landtiere existierten. Daraufhin hielt ich Ausschau nach einem sich aalenden Landwal, denn ein solch langsames Tier würde ich sicher erlegen können — nur sah ich nie einen.