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Sie waren frei von Schuld, und das war ihre einzige Freiheit.

*

Die folgende Nacht war die letzte, die Sie im Lager verbrachten?

Wir kehrten zurück – um zu berichten und zu einer Ruhepause. Von Tag und Nacht konnte man nicht sprechen. Es war stets gleich hell, es gab keinen Wechsel der Temperaturen, keinen Wind, keine Bewegung am Himmel.

Hielten Sie den normalen Tagesrhythmus nicht ein?

Dazu bestand keine Veranlassung. Unsere Untersuchungen hielten uns mitunter länger auf, und es schien vernünftig, sie nicht zu unterbrechen.

Wie hielten es die übrigen Mannschaften?

Die feste Zeitordnung schien sich aufzulösen.

Warum achtete der Oberst nicht darauf?

Er versuchte es, aber die Leute taten nicht mit.

Er hätte Strafen verhängen können.

Strafpunkte verteilen – niemand kümmerte sich darum.

Energische Maßnahmen, Arrest...

In fremdem Territorium... nein, das konnte er nicht. Er durfte es nicht auf eine Kraftprobe ankommen lassen.

Wie erklären Sie sich den Verfall der Disziplin?

Bei Besetzungen geht es stets freier zu als in der Kaserne. Das bedeutet noch längst keine Meuterei.

Diese Aktion unterschied sich von den anderen Besetzungen.

Ja, sonst gab es Widerstand. Das stärkt den Zusammenhalt.

Sehen Sie einen Zusammenhang mit den Stimmen aus dem Radio?

Wenn Sie an eine geheimnisvolle Suggestivwirkung denken – nein.

Einige Soldaten hatten sich von der Truppe entfernt.

Ja.

Waren den Leuten die Ergebnisse Ihrer Untersuchungen bekannt? Wußten sie von den freistehenden Appartements, von den Möglichkeiten der Projektionsspiele?

Es ist möglich. Wir haben diese Dinge nicht geheimgehalten.

*

Dan hatte den Plan nur kurz gesehen, aber es hatte genügt, um zu erkennen, daß die unbesetzten Räume im Zentrum der Stadt lagen. Sie mußten viele Stunden fahren und nahmen ihre Ausrüstung mit, um unabhängig zu sein. Da es kein freies Gelände gab, lagerten sie mitten auf der Straße. Ein Wagen stand etwas weiter vorn, einer zurückgezogen, dazwischen stellten sie ein Zelt auf. (Eigentlich war das überflüssig, denn sie brauchten keinen Schutz gegen Regen oder Kälte, Radioaktivität oder Krankheitskeime. Längst hatten sie die schweren Schutzanzüge abgelegt und trugen die leichten, olivgrünen Kombinationen mit den aufgesteppten Taschen, die knapp geschnittenen Laufschuhe mit den Schaumgummisohlen, die Schirmkappen. Auch die Luftmatratzen lagen auf dem Boden; wer Dunkelheit zum Schlafen brauchte, zog die Decke über den Kopf. Im Zelt hatten sie einen Teil der Vorräte aufbewahrt, die Wasserkanister, die Gefrierpackungen mit Fertigmahlzeiten, die Trockenfrüchte, die Konserven, die Kraftrationen, die Konzentrate und Notvorräte, dort hatten sie auch einige Geräte bereitgestellt, und sie bewachten sie, aber niemand rechnete ernstlich damit, sie verteidigen zu müssen.)

Um die unbesetzten Räume zu finden, mußten sie sich von ihrem Standplatz entfernen, einige Soldaten kamen mit, andere blieben zurück, gelangweilt, träge oder gereizt, sie lungerten umher, saßen am Rand der Fahrbahn, lagen auf den Matratzen und starrten hinauf in die blendende Helle der schwebenden Lichter.

Das Expertenteam brauchte nicht lange zu suchen. Die Gebäude unterschieden sich nicht von den andern, ihr Bauplan war derselbe, das Labyrinth der Gänge nahm denselben Verlauf. Sie fanden die kurzen, blinden Gangabschnitte mit den geschlossenen Türen. Wenn man die Leuchtscheiben berührte, leuchteten keine Schriftzeichen auf. Die Appartements dahinter waren leer.

*

Bis zur Stunde hatten wir uns außerhalb des Systems befunden, wir hätten genausogut draußen in der Wüste bleiben können. Was wir von der Stadt gesehen hatten, war ihre Oberfläche. Ihre Funktion, ihre Wirklichkeit lag in ihrem Kommunikationssystem. Was sich in ihr begab, sich veränderte, sich entfaltete, geschah durch Signale, lief durch Drähte, durch Halbleiterelemente, durch monomolekulare Schichten, durch ionisierte Gase, durch den leeren Raum; wurde ausgegeben, aufgefangen, entschlüsselt, verglichen, neu kombiniert, wieder ausgegeben, gespeichert, abgerufen, analysiert, geordnet, zusammengefaßt, gelöscht. Das alles begab sich lautlos und ohne Bewegung, in einer unhörbaren Sprache, in unsichtbaren räumlichen Ordnungen. Es entstanden Muster aus Ladungen, Impulsen, Wellen, einem Geschehen zugeordnet, oder dieses Geschehen selbst, Muster mit Bedeutung, Zeichen, Begriffe, bestimmt durch ein Zuordnungsschema, einen logischen Operator, einen Ähnlichkeitsschluß... Die Richtung der Magnetisierung, die Faltung einer Proteinkette, die Orientierung des Spins, ein Sprung in der Kennlinie, die Besetzung eines Quantenzustands, der Wechsel des Energieniveaus – Ereignisse auf verschiedenen Ebenen, Funktion von Zeichenträgern, Codes für komplexe Situationen.

Das System war dabei – aber das wußten wir damals noch nicht –, die Entwicklung auf eine informationelle Ebene zu heben. Die Stadt war die Nahtstelle zwischen den beiden Ebenen.

Hochrechnungen, Simulationen, Modelle... von einem bestimmten Moment an ersetzen sie Wirklichkeit und Zukunft. Nichts zwingt mehr dazu, die Ereignisse abzuwarten, die Reaktion erfolgt im Vorgriff, setzt Fakten, die man prüft, bewertet, in Rechnung stellt, über die man entscheidet, die Konsequenzen zieht... Das reale Objekt wird überflüssig, das elektronische Schema bildet es ab, die Rasterung ist beliebig fein, die Identität erreichbar.

*

Am Abend saßen sie beisammen und berieten. Ein wenig abseits hatten es sich die Soldaten bequem gemacht, sie spielten Karten, hörten die betörende Musik aus den Radioapparaten, schliefen – es sah aus, als hätte sich ihre Zahl vermindert.

Pavel, Dan und die anderen Mitglieder des Expertenteams hatten wieder mehrere Rekognoszierungen vorgenommen und ihre Erfahrungen ausgetauscht. Im Grunde waren die Ergebnisse alle gleich: Menschen, die intensiv damit beschäftigt waren, sich allen möglichen Arten von Vergnügungen hinzugeben.

»Solange wir uns mit ihnen beschäftigen, können wir nicht auf das System kommen, das in dieser Stadt wirksam wird.«

»Wir tappen noch an der Oberfläche herum.«

»Es muß einen Weg geben, tiefer einzudringen, zum Eigentlichen vorzustoßen.«

»Man müßte hinter die Wände schauen können, sehen, wohin die Leitungen führen. Es muß so etwas wie ein Gehirn geben, das alles überwacht.«

»Ich habe versucht«, berichtete Josef, »eine Wandplatte zu lösen. Kaum hatte ich die Kreissäge angesetzt, da hörte ich das Zischen von Gas – die übliche Art, uns an unseren Nachforschungen zu hindern. Doch diesmal hatte ich mir eine Gasmaske aufgesetzt. Viel hat sie mir nicht genützt. Vielleicht sollten wir es einmal mit den Schutzanzügen und den Sauerstoffbehältern versuchen. Das Gas ging durch die Filter durch, aber es wirkte doch ein wenig langsamer, als wenn man völlig ungeschützt ist.«