»Was hast du erlebt?«
»Erzähle!«
»Lacht mich nicht aus!« Josef zögerte noch ein wenig. »Vielleicht hatte ich Halluzinationen. Ich sank zusammen, konnte mich nicht bewegen, aber durch die Gasmaske hindurch sah ich jemand auf mich zukommen...«
»Na, weiter!«
»Zwei – Wesen. Sie sahen aus... wie Affen. Affen in Kleidern – dunklen Overalls. Einer zog mir die Maske herunter. Sie hoben mich auf... dann weiß ich nichts mehr.«
»Vielleicht hast du wirklich geträumt – ich hätte eher perfekte Roboter erwartet.«
»Ich habe den Eindruck, daß wir in Gefahr schweben... vielleicht haben wir bisher nur Glück gehabt, und sind uns dessen nicht bewußt.«
»Es muß irgendeine Intelligenz dahinterstecken. Diese müssen wir aufspüren.«
»Aber wie?«
»Auch ich habe etwas Merkwürdiges erlebt – vielleicht gibt uns das einen Hinweis«, sagte Dan. »Bisher haben wir mit allen möglichen Tricks versucht, Informationen über die Steuerung des Systems, die Lebensweise der Einwohner, die Geschichte und den Zustand der Stadt zu bekommen. Heute habe ich einen direkten Weg eingeschlagen. Durch Zufall kam ich auf einen Speicher, der Antworten auf beliebige Fragen ausgibt – eine Art Fragekasten. Ich habe die Fragen gestellt. Zuerst nach der Geschichte der Stadt.«
»Und du bekamst Antwort?«
»Nicht gleich. Es erschien mir zuerst als eine Ausflucht. Statt einer Antwort kam eine Gegenfrage: ›Die Beantwortung dieser Frage nimmt etwas mehr Zeit in Anspruch. Dürfen wir inzwischen eine andere Frage beantworten?‹ Ich fragte nach der Herkunft der Einwohner – denn hier gibt es keine Familien, keine Kinder, keine Schulen. Ich bekam wieder keine Antwort – und wieder sollte ich eine weitere Frage stellen. Ich fragte nach der steuernden Instanz.«
»Und weiter?« Spannung lag auf den Gesichtern der anderen.
»Plötzlich erschien auf dem Bildschirm ein Gesicht – es war ein Schock für mich, denn der, der mir von der Wand lebensecht entgegensah,... der war – ich selbst.«
»Eine Spiegelung?«
»Nein. Der andere sagte, und ich möchte schwören, mit meiner Stimme! ›Sie haben das Recht, auf alle Fragen, die Sie stellen, Antwort zu erhalten. Ihre Fragen sind allerdings so schwierig, daß sie sich nicht mit einigen Sätzen beantworten lassen. Die mögliche Antwort nimmt Bezug auf eine Ebene von Zusammenhängen, über die Sie nicht informiert sind. Auch der Zugang zu diesen Informationen steht Ihnen selbstverständlich frei, und wir sind bereit, sie Ihnen zu vermitteln. Dazu ist Zeit nötig; es würde auch bedeuten, daß wir Sie Ihrem jetzigen Milieu entziehen müßten. Wollen Sie auf die Antwort verzichten oder bestehen Sie darauf?‹«
»Was hast du geantwortet?«
»Ich habe Bedenkzeit erbeten.«
»Das war richtig.«
»Hört sich phantastisch an.«
»Das könnte uns der Lösung näherbringen!«
»Man scheint nicht oft solche Fragen zu stellen.«
»Was meinst du, Dan? Willst du es tun?«
Sie diskutierten längere Zeit. Dann beschlossen sie, das Risiko auf sich zu nehmen. Da damit zu rechnen war, daß Dan an einen anderen Ort gebracht würde, gaben sie ihm ein taschenlampengroßes Sende- und Empfangsgerät mit Peilantenne mit. Sie vereinbarten Rufnummern für ihre persönlichen Funkgeräte und einen Notruf. 24 Stunden würden sie warten, dann sollten sie – falls er noch nicht zurückgekommen war – den Funkkontakt herstellen.
Am nächsten Morgen begleiteten sie Dan vor die Tür des Appartements.
»So schlimm wird es schon nicht werden«, sagte er, als er die besorgten Gesichter sah. »Auf Wiedersehen!«
Er winkte ihnen zu und ging durch die Tür, die sich hinter ihm schloß.
Nur am Wechsel der Farben war zu merken, daß die Kugel in die Tiefe sank: gelbgrün, smaragd, blauoliv. Das Wasser schien unbewegt, Daniel mußte nah an die gewölbte Sichtscheibe heranrücken, um das Wirbeln winziger Luftbläschen, das Aufströmen von Phytoplankton zu sehen. Ein Knistern lief durch die Kugel – der Außendruck nahm zu.
Das Prinzip des Antriebs war einfach: freier Fall gegen die Reibung, faltbare Schwimmer, für den Aufstieg mit Preßluft gefüllt, für den Abstieg leergepumpt. Elektronische Kontrolle der Transversalaberration. Schwenkflügel zur Gegensteuerung. Kein Fahrgeräusch. Vergeblich spähte Daniel nach Fischen; dieser Teil des Meeres war ungenutzt, die Farmen lagen weitab. Tummelplatz von Planktonfischern, das Meereswild längst ausgerottet. Daniel lehnte sich in die glatten Kissen der kreisrunden Bank zurück. Er war etwas benommen, seine Glieder waren schwer.
Reflexe an der Decke – tief unten schimmerndes Licht. Im selben Maß, wie es an Helligkeit gewann, wurde der diffuse Schein von oben blasser, und schließlich, als sich im Nebel ein trianguläres Netz von Lumineszenzröhren abzeichnete, erschien das Wasser oben schwarz – ein schwarzer Himmel ohne Sterne. Das Bauwerk lag im Bereich der ewigen Nacht.
Das Bewußtsein, daß sich die Fahrt dem Ende näherte, wirkte belebend auf Daniel. Er überzeugte sich, daß seine Tasche geschlossen war, blickte unter die Sitzbank, um sich zu vergewissern, daß er nichts verloren hatte, griff nach seiner Kennmarke und stand auf, jetzt nicht mehr schläfrig, sondern unruhig und erwartungsvoll.
Von hier war jetzt auch die Zellenstruktur des Bauwerks zu erkennen, ein Wabenmuster, dem Prinzip des Sechsecks folgend. Das Dach durchsichtig, flach gewölbte Kuppeln, Linsen aus Kunstglas, die verzerrte Einsicht in die Räume des oberen Geschosses gewährten. Schon vorbei... sie durchstießen die Ebene der Oberfront und bewegten sich in eine trichterförmige Öffnung. Die weiße Helle drang nun von allen Seiten ins Innere der Kugel, es gab einige sanfte Stöße, einen Ruck.
Ein Knacken im Lautsprecher. Die freundliche Stimme der Automatik.
»17 Uhr 25 wir sind am Ziel
Tiefe: 245 Meter
Wassertemperatur 22 Grad
bitte, nehmen Sie Platz, die Schleuse wird geöffnet.«
Daniel setzte sich. Unter ihm zischte es... der Boden samt der Bank fuhr einige Meter abwärts, glitt aus der Kugel heraus, setzte in einer Vertiefung auf.
»Wir hoffen, Sie hatten eine gute Reise wir wünschen Ihnen einen schönen Tag bitte, steigen Sie jetzt aus.«
Daniel nahm seine Tasche auf und trat durch die schmale Lücke, die in der Sitzbank ausgespart war. Als er den festen Boden betreten hatte, hob sich die scheibenförmige Plattform, von einer Säule getragen, zurück zur Schleuse. Wieder zischte es, die Säule senkte sich, verschwand im Boden, die Verbindung zur Außenwelt war verschlossen.
Der Raum war von sechs Wänden umgrenzt, einige durchsichtig; er sah in andere Räume hinein, die selbst wieder durchsichtige Wände hatten, ein verwirrender Eindruck, vergleichbar dem Bild einer vielfachen Spiegelung, in unzählige Schichten gegliedert, mit endloser, vorgetäuschter Tiefe. Innerhalb dieser Ebenen sah er Geräte, blaßblaue und graue Kästen, Tastaturen, Bildschirme, Rollsessel, dazwischen, da und dort, einen Menschen, meist unbewegt, über ein Pult gebeugt, mit irgend etwas beschäftigt.
In jeder der Wände eine Tür, darüber Buchstaben, N, A, B, S, C, D. N und S lagen einander gegenüber – Nord und Süd. A, B, C, D – vier weitere Himmelsrichtungen? Daniel sah sich um. An der Tür »S« leuchtete eine Schrift auf: ANMELDUNG. Er wollte sich schon in Bewegung setzen, um auf diese Tür zuzugehen, als er Schritte hörte. Ein schmächtiger, junger Mann, in schwarzes Leinen gekleidet, einfache Jacke, Hose, Sandalen, Haftschalen, dunkles Kraushaar, eine Schirmkappe darüber gestülpt, lief auf ihn zu, ergriff seinen Arm, hielt ihn fest.
»Zur Anmeldung? Kein Grund zur Eile. Geben Sie mir die Tasche, kommen Sie!« Er versuchte, Daniel die Tasche zu entwinden, aber dieser hielt sie fest und war bestrebt, sich der offenbar gutgemeinten Hilfsbereitschaft zu entziehen.