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»Ruhen Sie sich aus, stärken Sie sich! Ärgerlich, diese Formalitäten! Doch man nimmt es hier nicht so genau – es kommt nicht auf ein paar Stunden an. Trinken wir zusammen ein Bier oder eine Tasse Kaffee, drüben ist eine Ruheterrasse.« Er ging einige Schritte vor, sah sich um, ob Daniel ihm folgte.

Daniel war nicht abgeneigt. Zwar hatte er keinen Durst, doch hätte er gern Näheres über die Zentrale erfahren, und dieser Mann schien geschwätzig genug, um ihm einige Fragen zu beantworten. Zögernd folgte er ihm. Sie durchschritten die Tür mit der Aufschrift D, kamen in einen langgestreckten Raum, der eine ganze Reihe von Sechseckparzellen umfaßte, ein Magazin oder eine Bibliothek – an den Wänden endlose Schränke mit Aufschriften, Zahlen und Buchstabengruppen, jeder hatte einen Anschluß an ein Druckluftfördersystem, große Rohre, quer durch den Raum gezogen, da und dort ein Videotisch mit Abrufpanel.

Der Schwarzgekleidete sprach ununterbrochen, sagte aber nichts, was Daniel aufschlußreich erschienen wäre und ließ ihn nicht zu Wort kommen. Mit hüpfenden Schritten ging er neben ihm her, ungeduldig, nervös, erklärte, deutete, gestikulierte.

»Selten, daß noch jemand kommt. Was haben Sie bisher gemacht? Sind Sie Logiker? Mathematiker? Biologe? Genetiker? Woher? Welcher Distrikt?«

Daniel bereute längst, daß er mitgekommen war. Es ging um mehrere Ecken herum, durch Konferenzräume, Hallen mit blauverkleideten Schaltungen, Projektionswänden. »Ist es noch weit?« fragte er. Er wollte dem andern nicht verraten, daß er nicht wußte, woher er kam. Zwar brauchte er sich dessen nicht zu schämen, aber es ging Fremde nichts an.

»Warten Sie hier!« befahl der Mann plötzlich. Er trat in eine Art Zelle, drückte auf die Knöpfe einer Schalttafel, eine Schiebetür glitt aus der Wand, und ehe sie sich schloß, griff der Unbekannte nach Daniels Tasche, riß sie ihm mit einem heftigen Ruck aus der Hand. Sekunden später stand Daniel vor der leeren Zelle – der Mann war mit einer Art Kabine verschwunden, die Tasche triumphierend an sich gepreßt.

Nicht daß ihn der Verlust der Tasche geschmerzt hätte, er vermißte nichts... was nimmt man schon auf eine Reise mit?... aber ein solches Erlebnis ist ärgerlich, verleidet einem den Tag, macht mißtrauisch, lenkt ab, beschämt. Daniel beschloß, sich nun unverzüglich anzumelden. Er drehte sich um, suchte den Weg zurück... Vorher waren die Türen offen gewesen oder hatten sich vor ihnen automatisch geöffnet, jetzt öffnete sich keine Tür mehr, und er hätte geschworen, daß nun auch einige der zuvor offenen Türen geschlossen waren. Er versuchte, sie über Umwege durch andere Räume zu umgehen, mußte sich aber bald eingestehen, daß er sich verirrt hatte. So peinlich es war, er mußte jemanden fragen, doch obwohl er vorher an einigen Leuten vorbeigekommen war, sah er jetzt niemanden und hatte den Eindruck, sich hoffnungslos zu verlaufen. Jetzt erst begann er, systematisch auf die Richtungsbezeichnung N, A, B, S, C, D zu achten, er entdeckte Schildchen mit Zahlenserien, offenbar Koordinaten der Räume... Die erste Zahl war gleichbleibend 62, und er vermutete, daß es sich um die Kennnummer der Etage handelte... Die beiden übrigen änderten sich von Raum zu Raum, es konnten Angaben für die Position in der horizontalen Ebene sein.

Endlich stand er wieder vor einer undurchsichtigen Wand, und als er sich der Tür näherte, scholl ihm dumpfes Pochen entgegen. Die Tür öffnete sich, und er trat ein. Vor ihm lag eine langgestreckte Halle, darin im Kreis angeordnet eine Reihe von Aufbauten, einige durch Vorhänge verdeckt, unter denen Drähte, Kabel, Schläuche hervorkamen... Im Zentrum stand jene Maschine, von der das Pochen ausging, einem Ungetüm mit vielen Glasgefäßen, in denen trübe Flüssigkeiten sprudelten, Röhren, in denen Flügelräder liefen, Ballons, die sich aufblähten und wieder zusammensackten.

Zwei Männer standen an einem Sichtschirm, über den grüne Schlangenlinien züngelten... Beide waren weiß gekleidet, Rundmützen, hochgeschlossene Kragen, dünne Gummistiefel. Der eine, glattes rundes Gesicht, violett getönte Haftschalen, wandte sich Daniel zu.

»Müssen Sie uns schon wieder stören? Wie soll man da arbeiten können! Ich halte es einfach nicht für angebracht, daß Sie persönlich kommen. Warum gehen Sie nicht über den Bildschirm?«

»Laß doch, Fenner«, sagte der andere, ein jüngerer Mann mit rotem Gesicht und kleinen, hinter Speckfalten versteckten Augen. »Du weißt: Das Prinzip der Freizügigkeit. Na kommen Sie schon, ich führe Sie!«

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Daniel... »Ich wollte Sie nicht stören, ich habe mich verlaufen, wollte Sie nach dem Weg fragen... Ich muß zur Anmeldung.«

Wie auf Kommando lachten beide.

»Lassen Sie doch, kommen Sie nur, kein Grund zu Ausflüchten!« Der jüngere Mann schob Daniel vor sich her, zum nächsten Aufbau, einer Art Aquarium, das auf einem Sockel stand. Er zog den Vorhang beiseite. »Da haben Sie gleich unser Musterstück, eine Kreuzung zwischen einem Delphin und einem Menschen, aus einer künstlichen Hybridzelle aufgezogen. Schwierig, im Wasser nicht lebensfähig, und auch nicht in Luft, Kiemen, aber menschliche Lungen, Sauerstoffversorgung unmittelbar über das Blut, natürlich auch die Ernährung. Der Darmtrakt nicht intakt, die Schlacken führen wir durch einen Schlauch heraus, dort ist der Desintegrator. Die Augen in Ordnung, Gehör sogar ausgezeichnet, Gehirn gut entwickelt, trotzdem schwachsinnig, hatten keine Gelegenheit, zu schulen, aber: reagiert!«

Er trat an das Wesen heran, halb Fisch, halb Embryo, das in einer Lösung schwamm, Fischleib, Ansatz von Schultern, Arme flügelartig verdickt, keine Finger: Flossen, dicker Hals, menschlicher Schädel mit Schnauze. Fenner ließ eine Taschenleuchte aufblinken, deutete auf einen Oszillographenschirm, auf dem jetzt Wellen in Unruhe gerieten.

»Wenn Sie gestatten, so möchte ich jetzt gehen«, bat Daniel, doch der Weißgekleidete trat schon an den nächsten Verschlag und zog gen Vorhang herunter. »Eine Mutation, spontan, nicht künstlich, früher wäre so etwas natürlich schon im Keimstadium abgestorben, aber wir können alles am Leben erhalten, tun natürlich unsere Pflicht, nur außergewöhnliche Fälle werden hier behandelt, Routinefälle übernimmt die Automatik. Sehen Sie, einmalig, eine kreisförmige Verwachsung, nur ein Arm, ein Bein, der Leib halbiert, keine Leber, dieser Wulst hier ist die Brust – eine Lunge, versteht sich – dieser Sack, mit Gedärm gefüllt, der Bauch, vollausgebildete Geschlechtsorgane, ein Mann, der Kopf gegenüber von Arm und Bein, intelligent, hat sich bisher gegen die Transformation gestemmt, jetzt schläft er, warten Sie, ich wecke ihn, er unterhält sich gern...«

Daniel kämpfte mit Panik, bemühte sich um Fassung, löste seinen Blick von jenem unförmigen Wesen, das in eine Spezialkonstruktion eingespannt war. Der Mann im weißen Mantel hatte einen Hebel gedrückt, und die Klammern, Ringe, Hebel, Leitungen samt dem Körper, den sie umfingen, bewegten sich, hoben ihn in aufrechte Haltung, der Kopf saß starr in einem Gummikragen, die Augenlider zitterten, hoben sich, und ein unendlich trauriger Blick richtete sich auf Daniel.

»Entschuldigen Sie mich jetzt bitte«, preßte dieser heraus und lief zur Tür zurück.

»Aber bleiben Sie doch, er möchte mit Ihnen sprechen!« rief der weißgekleidete Mann, doch Daniel hörte ihn kaum noch, sondern eilte durch die nächste offene Tür. Erst als er ein halbes Dutzend weiterer Räume durchquert hatte, blieb er stehen und überlegte. Weiteres Suchen hatte wenig Sinn. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als irgend jemand zu fragen; schließlich war es ja kein Problem, ihm den Weg zur Anmeldung zu zeigen.

Er sah sich um – er befand sich in einer Steuerzentrale, eine große Schalttafel mit unzähligen Tasten und Anzeigern nahm vier von den sechs Wänden ein. Schlagartig wurde ein großer Bildschirm hell, und er sah den Kopf eines alten Mannes, mit schmerzlich vergrämter Miene, der ihn von oben herab anzusehen schien. Vielleicht bin ich über eine Fernsprechleitung mit ihm verbunden, mutmaßte Daniel und trat an die Konsole heran. Er fand das Mikrophon der auditiven Eingabe und suchte nach einer Taste, mit der er eventuell die Verbindung herstellen könnte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als es nach Gutdünken zu versuchen, und er berührte zögernd eine Taste nach der andern. Plötzlich kam von der Decke ein hoher, durchdringender Pfeifton, das Bild auf dem Schirm wechselte: ein vierkantiger Schädel, haarlos, dunkle Augen, scharfe Nase, schmale Lippen.