»Müssen Sie denn die ganze Bande auf uns aufmerksam machen? Du lieber Himmel, ich kann Dummheit nicht ertragen. So reden Sie schon! Haben Sie mit Crantz gesprochen?«
Daniel legte schon die Hand an die Taste, um wenigstens den Ton abzuschalten, als er eine Regung an der Klarsichtscheibe der Wand bemerkte. Drüben stand ein Mädchen und bedeutete ihm etwas... offenbar sollte er das Schaltpult nicht berühren, den Raum verlassen. Er warf einen Blick auf den Bildschirm. Der Mann sprach noch immer und schien allmählich wütend zu werden.
Daniel gehorchte dem Mädchen. Es trug einen gelben Kittel und eine halblange gelbe Hose, ähnlich einem Karatekostüm, an den Füßen schwarze Pantoffeln. Es hatte breite Schultern, war geradezu unförmig dick, hatte ein plattes, rundes Gesicht, braunes Haar, glatt, in Nackenhöhe gerade abgeschnitten.
»Kommen Sie, sonst haben wir Unannehmlichkeiten«, flüsterte das Mädchen, nahm ihn an der Hand und zog ihn fort.
»Weshalb sollten Sie Unannehmlichkeiten haben?« fragte Daniel.
»Ich hätte aufpassen sollen.« Der Weg führte durch mehrere menschenleere Räume. »Ich hätte nicht weggehen dürfen.« Das Mädchen lief überraschend schnell, Daniel konnte kaum Schritt halten.
»Hier hinein!« Sie hielten vor einer Zelle, die Daniel noch in unliebsamer Erinnerung hatte. »Fahren Sie los, beeilen Sie sich!«
»Ich kenne mich hier nicht aus, bin erst seit kurzem hier!«
Das Mädchen schob ihn in die enge Kabine, drängte sich zu ihm hinein, wobei sie einige Tasten an der Schalttafel hinunterdrückte. Die Schiebetür schloß sich, sie fuhren ein kurzes Stück abwärts, hielten an, dann setzte sich die Fahrt in horizontaler Richtung fort. Durch die gläsernen Scheiben der Kabine sah man Leuchtziffern vorübergleiten.
»Hat man Ihnen keinen Wohnraum zugewiesen? Wie sind Ihre Koordinaten?«
»Ich bin eben erst angekommen, wollte mich eben anmelden... ein Mißgeschick...«
»Oh, Sie sind neu hier? Darum habe ich Sie noch nie gesehen. Ich heiße Pamela. Und Sie?« Bisher hatte Daniel das Gefühl gehabt, sie wolle ihn möglichst schnell abschieben, doch jetzt zeigte sie plötzlich Interesse.
Daniel nannte seinen Namen und berichtete von den Erlebnissen der letzten halben Stunde.
»Warten Sie, wir fahren einmal rundherum. Hier beobachtet uns niemand. Wir werden überlegen, was man für Sie tun kann.« Sie kam nahe an ihn heran, näher, als es die Enge der Kabine erforderte, er sah ihr Gesicht unmittelbar an seinem, die frischen, vorgewölbten Lippen, die etwas zu kurz geratene Nase, die großen braunen Augen, er spürte ihren Atem, roch ihr Haar, ihr Körper drückte sich an den seinen, und da er nicht unhöflich sein wollte, rückte er nur verstohlen von ihr ab, was keine Wirkung hatte, denn sie drängte sofort nach und preßte ihre Brüste an seinen Körper. Sie war jung, nicht unappetitlich, und es gab eigentlich keinen Grund, sie abzuweisen. Er merkte, daß ihre Nähe keineswegs unangenehm war, und obwohl er, hätte er sie unter anderen Umständen kennengelernt, kaum den Wunsch gehabt hätte, mit ihr in engeren Kontakt zu kommen, so wurde er jetzt ganz von selbst auf diese Frage gelenkt, und er gestand sich ein, daß er durchaus bereit war, mit ihr zu schlafen, wenn es sich ergab.
Obwohl sie nun eng aneinandergepreßt dastanden, sprach sie ganz sachlich weiter. »Selbstverständlich müssen Sie sich sofort anmelden, sie brauchen ein Appartement und Bons für Rechenzeit. Außerdem wird es Sie ja interessieren, womit man Sie beschäftigen will. Haben Sie sich freiwillig gemeldet?«
Daniel hatte Mühe, ebenso ruhig zu antworten, denn ihre Fülle war nicht formlos, sondern wies alle Vorzüge der Fraulichkeit auf, ihr Körper war muskulös, die Schenkel fest, die Bauchdecke hart, die Brüste prall, doch da ihm die Situation unangenehm war, beherrschte er sich, er wollte nicht noch mehr blamable Abenteuer bestehen, er hatte Angst, in dieser Situation ertappt zu werden.
»Könnten Sie mich nicht zur Anmeldestelle zurückbringen? Ich werde Ihnen alles erzählen, doch im Moment würde das zu lang dauern. Vielleicht können wir uns später irgendwo treffen?«
»Fein«, sagte Pamela. »Rufen Sie mich an! 3 N 17 D 5. Am Abend bin ich dort. Ich werde warten!« Sie drückte wieder die Knöpfe der Tastatur. »Wenn wir halten, steigen Sie sofort aus. Ich fahre weiter. Am besten, Sie erwähnen mich nicht.«
An der Deckenschleuse erkannte Daniel den Raum seiner Ankunft – sonst unterschied er sich kaum von anderen, die er kennengelernt hatte. Fest entschlossen, sich durch nichts mehr stören zu lassen, ging er auf die Tür mit der Leuchttafel ANMELDUNG zu. Sie öffnete sich von selbst, und er trat ein. Er stand in einer Kammer, sechseckig wie alle anderen, nur viel kleiner, gedämpft beleuchtet, leer. Ein Projektionsschirm zeigte Bilder: ein Mann, der einen Schuttberg zu erklettern versucht, nackte Kinder in einem Bad, ein medizinisches Labor, ein magerer Körper auf dem Behandlungstisch. Die Sequenzen waren nur kurz, wechselten rasch; es sah aus, als wäre jemand auf der Suche nach dem richtigen Programm. Manchmal kippten die Bilder weg, kamen wieder, oft waren die Farben falsch. Gewimmel von Ratten im Käfig, ein Förderband... Dazwischen Szenen, die er nicht entschlüsseln konnte, Mikroaufnahmen, Teil eines bunten Mosaiks, das Auge eines Tieres, weit geöffnet, hin und her zuckend.
Dann ein dämmriges Zimmer, ein Mann von schräg oben gesehen, verschattet, unbewegt... Daniel wandte sich ab, um sich weiter umzusehen, da bemerkte er eine Bewegung an der Projektion und stellte fest, daß sie nun ein Abbild seiner selbst zeigte. Das Bild wurde langsam deutlicher, der Ausschnitt eingeengt:
Brust und Kopf, Gesicht. Ein Moment blickte er sich selbst an wie einen Fremden, dann wurde es dunkel. Jetzt ließ sich die freundliche Stimme der Automatik hören.
»Ein schöner Tag heute!
Willkommen in der Zentrale.
Bitte folgen Sie den Anweisungen!
Es handelt sich um einige unumgängliche Formalitäten.
Bitte gehen Sie weiter, in den nächsten Raum!«
Wieder eine kleine Kammer, an einer Wand ein Kasten mit zwei Öffnungen in Hüfthöhe.
»Stecken Sie die Hände in die Öffnungen!«
Daniel tat es. Die Löcher waren mit schwarzem, nachgiebigem Material ausgekleidet, er fand mit den Fingern in Hohlräume – als hätte er Handschuhe anzuprobieren, die etwas zu groß waren. Er hielt einige Augenblicke still, nichts regte sich, dann die Stimme:
»In Ordnung. Bitte gehen Sie in den nächsten Raum!«
Daniel tat so, als verwechselte er die Richtung und trat auf die Tür zu, durch die er gekommen war. Sie öffnete sich nicht. Er wandte sich um, ging in den nächsten Raum und dort gleich weiter zur nächsten Tür. Auch sie blieb geschlossen. Obwohl er seine Anweisungen im Ton höflicher Bitten bekam, waren es Befehle; es blieb ihm nichts übrig, als zu gehorchen.
Er mußte sich zwischen zwei mannshohe Wände stellen, in der nächsten Station bis zwanzig zählen, in der nächsten Station in ein Linsensystem blicken, in der nächsten unter eine Haube treten. Es waren langweilige Prozeduren, deren er bald überdrüssig wurde; um so überraschender kam der blitzartig einsetzende Schmerz, als er sich ohne Bedenken in einen Lehnstuhl mit Kopfstütze gesetzt hatte. Eine sengende Flamme schoß durch sein Gehirn, ein Feuerball füllte sein Bewußtsein, Hunderte von Filamenten züngelten durch das Nervennetz in die motorischen Zentren und zogen sämtliche Muskelfibern zusammen. Er bäumte sich im Krampf auf, verlor das Bewußtsein, fiel zu Boden.