Als er erwachte, waren zwei leere Gesichter über ihm, zwei Primis, bemüht, ihn aufzuwecken, daneben ein Mann mit einer Uhr:
»Um Gottes Willen, beeilen Sie sich doch, wir haben schrecklich viel Zeit versäumt.« Von oben blickte jemand auf ihn herab, längliche Kopfform, schwarzes Haar, hoch ansetzend, gelbe Haftschalen, Nasenplastik.
Der eine Primi massierte seinen Nacken, der andere hielt einen Kardiographen an seine Brust – das Hemd hatten sie aufgeknöpft – und las von der Sichtscheibe des faustgroßen Instruments die Form der Herzrhythmen ab.
»Es ist soweit«, meldete er. »Er ist zu sich gekommen.«
Der Schwarzhaarige trat vor. »Im Namen aller Mitarbeiter darf ich Sie willkommen heißen. Ich bin der Konsulent, Figueira ist mein Name, und das ist Miriam, Ihre Sekretärin.«
Aus dem Hintergrund schob sich eine Gestalt in Daniels Blickfeld, ein blondes Mädchen, hellgrüne Haftschalen, weißgeschminkter Mund, weiße Haare – Perücke – die Arme unter einer Robe verborgen, die von schmalen Schultern in Falten herabhing, von den Hüften ab eng anlag und von den Beinen nur die Fesseln sehen ließ. Die Füße waren frei bis auf nachgiebige Metallsohlen, mit dünnen Schnüren befestigt, Bürstenbelag, nach unten gerichtet, so daß sie lautlos vorangeleiten konnte, ohne die Beine merklich zu bewegen.
»Bitte, Miriam, das Protokoll!«
»Leider sind wir sehr verspätet, leider. Nichts mehr zu ändern, aber... Wir können den Ministerialdirigenten nicht länger warten lassen.«
Daniel versuchte, Worte zu formen, was ihm Mühe bereitete. »Ich bin im Moment nicht in der Lage... verzeihen Sie... können wir nicht etwas später...«
»Um keinen Preis!« Figueira schien schockiert. »Hat es uns so mitgenommen? Aber ich bitte Sie! Cäsar, eine Spritze! Das haben wir gleich. Wollen Sie nicht das Protokoll... ich glaube, Sie hatten noch keine Gelegenheit, Einsicht zu nehmen...«
Der eine der Gehilfen legte Daniel einen Injektionsspray an die Armbeuge und drückte den Griff langsam herab. Ein schwacher, süßlicher Geruch breitete sich aus, Miriam zog einen Bausch feuerroter Watte aus der Tiefe ihres Faltengewandes und preßte ihn vor die Nase. Sie hatte schlanke weiße Arme.
Daniel fühlte eine Welle der Belebung durch seinen Körper rinnen. Er schob die beiden um ihn bemühten Primis beiseite und stand auf. Während er seine neuen Mitarbeiter, Figueira und Miriam, zum ersten Mal bewußt musterte, schob er den Ärmel seines Hemdes herunter, knöpfte es zu. Figueira half ihm in die Jacke, Miriam drückte ihm ein Bündel Papiere in die Hand. »Das Referat!« sagte sie bedeutungsvoll.
Figueira stand schon ungeduldig an der nächsten Tür.
»Sind wir fertig? Dann rasch, rasch!« Er machte Daniel Platz, der hindurchtrat... ein Vortragssaal, ein Rednerpult, Stühle, fast alle besetzt, Männer, Frauen, alt und jung, auch Rollstühle mit Kyborgs verschiedener Grade. Daniel ging auf einen freien Stuhl zu, doch Figueira packte ihn am Ellbogen und zerrte ihn aufs Podium, an das Pult. Miriam folgte ihnen, setzte sich an ein Seitentischchen mit einem Sprache-Schrift-Transformer. Das Licht wurde gedämpft, nur das Pult war von blendendem Licht eingekreist. Das Auditorium klatschte leise.
Daniel war momentan ratlos, aber Miriam tauchte neben ihm auf, schlug die erste Seite des Manuskripts auf und verschwand wieder. Er beugte sich über die Blätter und las.
»Sehr verehrte Anwesende, Mitglieder des Konzils!
Nur noch zu besonderen Gelegenheiten halten wir es für angebracht, persönlich zusammenzutreffen. Dieser alte schöne Brauch gerät immer mehr in Vergessenheit, je besser die Mittel der Telekommunikation werden. Heute, gewissermaßen in einem historischen Augenblick, möchte ich darauf zurückkommen, um einige Worte, die aus bekanntem Anlaß zu sagen sind, direkt an Sie zu richten.«
Beifall.
»Bevor ich ins Detail gehe, gestatten Sie mir bitte, allen Mitarbeitern einen ganz besonderen Dank auszusprechen. Ohne den unermüdlichen und aufopferungsvollen Einsatz aller Kräfte, ohne die harmonische Zusammenarbeit und ohne das Verständnis für die Schwierigkeiten, die die Mängel am technischen Apparat leider immer noch mit sich bringen, wären wir noch nicht so weit, wie wir heute sind.«
Beifall.
»So lassen Sie mich jetzt zum wesentlichen Teil meines Referates kommen:...«
An dieser Stelle hatte er die letzte Zeile des ersten Blattes erreicht, und er blätterte um. Er stutzte – das nächste Blatt war unbedruckt, weiß, und als er auch dieses umwandte, lag ein weiteres leeres Blatt vor ihm. Er drehte sich zur Seite, zu seiner Sekretärin, suchte den Lichtkäfig zu durchdringen, sah sie undeutlich, hörte sie laut flüstern: »Die nächsten Blätter sind leider noch nicht fertig«, und auf eine fragende Bewegung hin erklärte sie: »Wir hatten einen Defekt am Tonband, die Aufnahmetaste sprang nicht an... leider...«
Er merkte, daß alle Zuhörer aufmerksam heraufblickten, aufmerksamer als während seiner bisherigen Ausführungen. Er wandte sich wieder dem Publikum zu und stützte sich schwer aufs Pult. Sein Mund war trocken.
»An dieser Stelle wäre es sicher angebracht, einen Rückblick auf das Geleistete zu geben. Ich glaube, daß ich mir diesen Rückblick schenken kann; alle waren so stark von ihrer Aufgabe erfüllt, daß jede Phase des Geschehens noch in uns lebendig ist. So bleibt mir nur noch übrig, etwas über die nächsten Schritte zu sagen. Selbstverständlich liegt ein detailliertes Programm vor, und ich darf Ihnen verraten, daß die Aussichten auf künftige erfolgreiche Weiterarbeit außerordentlich günstig sind.«
Beifall.
»Es hätte keinen Sinn, dieses Programm jetzt im einzelnen darzulegen; es wird Ihnen in nächster Zeit zugeleitet werden. Es bleibt kein Zweifel daran, daß wir auch künftig das gesetzte Ziel nur dann erreichen können, wenn jeder mit soviel Können, Beharrlichkeit und Begeisterung am Werk ist wie bisher. Das möchte ich Ihnen und mir für die Zukunft wünschen!«
Anhaltender Beifall.
Daniel trat vom Pult zurück. Jetzt, als die Beleuchtung wieder aufflammte, fühlte er ein Zittern in den Knien. Er kämpfte mit Schwindelgefühlen, während ihn ein Primi vom Podium führte. Hinter ihm gedämpfte Stimmen, der Saal leerte sich. Er saß auf einem Rollstuhl, Miriam stand vor ihm, blickte auf ihren Notizblock, las etwas vor. Figueira tauchte neben ihr auf, sprach schnell und anhaltend. Miriam schien zu widersprechen, wandte sich zu Daniel, stellte eine Frage. Daniel hörte ihre Worte, vermochte aber den Sinn nicht zu erfassen, obwohl er sich zu konzentrieren suchte. Wieder disputierte Miriam mit Figueira. Dann winkte sie einen der Primis heran, nannte ihm einige Zahlen, sie trat vor Daniel, beugte sich zu ihm herab und sagte betont:
»Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Tag. Auf Wiedersehen!«
»Schöner Tag heute«, murmelte Daniel mechanisch.
Der Primi schob den Stuhl an, Daniel schloß die Augen. Er fühlte das sanfte Rollen, leises Anrucken, jede Änderung der Richtung verursachte ihm leichte Übelkeit. Das Klicken einer einrastenden Tür, die Vibration einer anfahrenden Kabine, Summen, der Zug von Zentrifugalkräften, wieder die Wiege mit Gummirädern, die Rückenlehne glitt tiefer...
Daniel fühlte, daß man ihn aus dem Kissen hob, auf ein weiches Lager bettete, entkleidete. Er schlief für Sekunden ein, erwachte wieder, führte einen vergeblichen Kampf gegen seine Mattigkeit, mühte sich vergebens, die Augen zu öffnen, schlief ein...
Mit einem Zusammenziehen der Rückenmuskeln erwachte er, öffnete die Augen... ein sechseckiger Raum, die Wand gegenüber perlgrau, die anderen graublau, ein Tisch, zwei Rollstühle, ein Schemel, ein Regal, in den Fächern einige Mikrofilmrollen, Tonbandkassetten, Lumineszenzröhren, auf Nullspannung, noch schwach leuchtend... er konnte nicht lang geschlafen haben, war immer noch müde...