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Daniel spürte den leicht säuerlichen Körpergeruch des Primitiven; es ekelte ihn, obwohl er es sich nicht anmerken ließ.

»Geben Sie her, ich will sie behalten«, forderte er und streckte die Hand aus.

»Aber sie nützt Ihnen nichts!« Es sah aus, als überlegte er. Dann reichte er sie zurück. »Wie Sie wünschen!«

»Danke«, sagte Daniel, »Sie können gehen.«

»Die Bons!« erinnerte der Primi. »Hier bitte!«

»Und meine Kredits?« Daniel holte einige der gelochten Karten aus seiner Brusttasche.

»Wertlos«, antwortete der Primi verächtlich. »Werfen Sie sie in den Müllschlucker. Hier bekommen Sie alles, was Sie wünschen. Sie brauchen nicht zu bezahlen.«

»Und die Bons?«

»Rechenzeit«, sagte der Primi. Er verbeugte sich. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.« Er verließ den Raum.

Der Besuch des Primitiven hatte Daniels gute Laune gedämpft; er grübelte darüber nach, warum. Vielleicht war es das: Julius unterschied sich nicht nur äußerlich von anderen Primis – er war intelligent, zeigte Regungen, man konnte ihn offenbar kränken, ihm vielleicht sogar eine Freude machen. Aber wodurch? Und wozu? War es nötig, sich mit den Primis gut zu stellen? Ein neues Problem; er wischte es beiseite.

8 Uhr 50 zeigten die Leuchtziffern des Chronometers an. Er hatte Lust, einen Blick nach draußen zu werfen. Bestand Gefahr, daß er sich verirrte? Diesmal war er vorsichtig. Er trat vor die Tür des Appartements... er befand sich auf einer von vielen Etagen, die in einer Spirale rund um einen riesigen Schacht liefen. Das Prinzip des Wohnsilos – eine endlose Reihe von Türöffnungen, dazwischen Mündungen von Gängen. Sechseckiger Schachtquerschnitt.

In der Mittelachse eine materielose Lichtsäule. Schattenlose Beleuchtung.

Daniel trat an das Geländer. Tief unten ein Gleitkarren, lautlos auf seinem Quecksilberpolster schwimmend, den Spiralen rundum folgend.

Plötzlich fühlte er sich nach hinten gerissen, es gab einen dumpfen Laut, und neben ihm lag jemand am Boden, rundlich, kahlköpfig, in gelbem Plastikumhang, vergeblich bemüht sich aufzurichten... Daniel half dem Hingefallenen auf die Beine... ein faltiges Gesicht, graue Haftschalen, rosa getönte Kaumechanik.

»Verzeihen Sie, es sind die Bürstenschuhe, man bewegt sich erschütterungsfrei fort, doch wenn man aus dem Gleichgewicht gerät... Hoffentlich habe ich Sie nicht erschreckt! Wie fühlen Sie sich?«

Die Stimme ließ Daniel vermuten, daß es ein Zwitter war; er mußte lautlos aus einem Gang gekommen sein, war vielleicht ausgerutscht, und doch verstand Daniel die Situation nicht ganz. »Gut, danke. Doch wie fühlen Sie sich? Weh getan?«

»Keineswegs. Bin mit Ballonreifen ausgerüstet.« Er deutete an seinen aufgeblähten Umhang. »Trage diese Schuhe erst seit gestern. Ungewohnt. Sah Sie hier stehen. Lief natürlich gleich los. Mein Name ist Solla. Arzt. 28 quer 146 quer 91.«

Daniel murmelte seinen Namen.

»Ich weiß: 37 quer 170 quer 155, Ihre Nummer. Ist sie Ihnen schon geläufig?« Er wies auf ein Schild an der Tür. »Unwichtig. Brauchen Sie sich nicht zu merken. Steht ja auch auf Ihrer Marke. Tragen Sie sie geschlossen? Nicht zu empfehlen! Kommen Sie?«

Er führte Daniel in einen Seitengang, zeigte ihm eine Beförderungskabine, erklärte ihm das System. Sämtliche Kommunikationsmittel stützten sich auf die Koordinatenangaben. Man brauchte sie nur einzutasten, Länge, Breite, Höhe. »Zu merken brauchen Sie sich nur eine Nummer: 001 quer 001 quer 001! Sie verbindet Sie mit der Automatik-Ausgabe. Dort erhalten Sie jede beliebige Auskunft; über Mikrophon, über Bildschirm, über Fernschreiber, wie Sie wünschen.«

Sie betraten einen Raum, die üblichen Farbtöne: blau und grau, verkleidete Automaten, die übliche Ausstattung an Kommunikationsgeräten, Monitoren, Konsolen. Ein paar Sessel, ein Tisch.

»Wollen Sie gleich mit der Untersuchung beginnen? Soll ich mich entkleiden?«

Solla hatte seinen Umhang abgestreift und sich der umgebundenen Kissen entledigt. Er ließ sich in einen Sessel fallen.

»Nein, nein. Ein Mißverständnis. Sie sind gesund, das wurde schon festgestellt.« Er deutete auf eine Couch. »Bitte.«

»Ich würde gern mit der Arbeit beginnen. Es wäre mir lieb, wenn ich nicht noch länger aufgehalten würde.«

Solla lächelte freundlich und wiederholte seine einladende Handbewegung. Er schob eine Packung Riechkapseln über den Tisch. »Bedienen Sie sich!«

»Keine Untersuchung?«

»Nur ein Gespräch – eine Formsache. Eigentlich haben Sie schon alles überstanden. Nur noch, daß wir uns kennenlernen. Ich habe Sie hier zu betreuen.«

»Wozu Betreuung?« Er merkte, daß er unhöflich wirkte, und setzte hinzu: »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, das richtet sich nicht gegen Sie. Doch bin ich nun einmal hier, habe mich ordnungsgemäß angemeldet und mein Appartement bezogen. Ich bin gut ausgeruht und frisch und möchte keine Zeit verlieren.«

Solla drückte eine Kapsel auf, hielt sie an die Nase und zog genießerisch die belebende Gasmischung ein. Er atmete einige Male tief, bevor er antwortete. »Wozu einen Betreuer? Sie sind völlig fremd hier. Haben Sie nicht das Bedürfnis, sich mit jemand auszusprechen?«

»Sie sind Psychiater«, sagte Daniel.

»Natürlich. Das Soma stellt keine Probleme. Wir sind hier ein bißchen weiter als die da draußen. Einfache, aber wirksame Methoden. Kein mühsames Aufmöbeln mehr. Organaustausch, Transplantation. – Nein, nein, wenn etwas Probleme stellt, dann ist es die Psyche.«

»Ich fühle mich durchaus wohl.«

»Hatten Sie heute schon Ärger? Glauben Sie mir, ich verstehe mich auf Symptome. Selbstverständlich befinden Sie sich völlig innerhalb des Stabilitätsbereichs. Doch erscheinen Sie mir ein wenig gereizt. Was könnte es gewesen sein?«

Daniel schüttelte den Kopf.

»Heute morgen hatten Sie Besuch... Julius, nicht wahr? Sehen Sie, das sind Kleinigkeiten, die Stimmungen verderben. Ungewöhnlich, daß er zu Ihnen kam. Sie haben es gestattet? Nebenbei, darüber ist ein Streit in Gang: Sind sie noch Tiere? Was meinen Sie dazu?«

Er wartete nicht auf Daniels Antwort, steckte die Daumen in die Brusttasche seines Jacketts.

»Wissen Sie, daß man sie heute mit beliebiger Intelligenz züchten kann? Man braucht nur einige zusätzliche Abschnitte in die DNS einzubauen. Und schon erwächst das Problem: Die Geschöpfe bekommen Persönlichkeit. Wir wissen, daß wir ihnen gegenüber keinerlei ethische Verpflichtungen haben, doch es meldet sich das schlechte Gewissen, das sich nicht an historische Fakten hält. Sie sind unsere Produkte, unser Eigentum, doch plötzlich merkt man einen eigenen Willen, Eigensinn, wenn Sie so wollen, Ausdruck – Zweifel, Mißbilligung – Kritik! Haben Sie es nicht etwa so empfunden?«

»Kann sein«, gab Daniel zu. »Ich habe nicht darüber nachgedacht.«

»Nicht bewußt. Aber man muß es aussprechen«, sagte der Arzt. »Sonst trägt man den ganzen Tag einen Stachel mit sich herum. Nicht, daß es wichtig wäre – ich wollte Ihnen nur zeigen, daß Sie mir vertrauen können, daß es sich lohnt, zu mir zu kommen, wenn Sie der Schuh drückt. Das sind Sie sich selbst schuldig: Sie müssen auf Ihr inneres Gleichgewicht achten. Also gehen Sie jetzt, wenn Sie wollen. Ich halte Sie nicht zurück.« Er stand auf, geleitete Daniel zur Tür.

»Sie sind offenbar genau darüber informiert, was ich getan habe«, sagte Daniel. Er blieb kurz an der Schwelle stehen. »Ich glaubte, es gäbe keine Überwachung.«

»Gibt es auch nicht«, antwortete Solla. »Sie können sich völlig frei bewegen, niemand achtet darauf, was Sie tun. Auch wir Ärzte überwachen niemand, es unterliegt unserer eigenen Verantwortung, ob wir Kontakt mit einem Patienten herstellen, und wir tun es nur in besonderen Fällen. Bei einem Neuankömmling mußte ich mich freilich überzeugen... Nun, es ist ja alles in Ordnung. Einen schönen Tag wünsche ich!«