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»Ja, es ist alles in Ordnung«, bestätigte Daniel. Aber er hatte ein Gefühl der Beklemmung, das ihn auf eine merkwürdig vertraute Art ängstigte.

Als er mit betont zielbewußten Schritten den Korridor entlang ging, hatte er den Eindruck, daß der Psychiater ihm nachschaute, aber er tat, als kümmerte ihn das nicht, und ging weiter, obwohl er nicht wußte, wo er sich befand, und sich nicht im klaren darüber war, was er als nächstes tun sollte. Dieser Teil des Bauwerks war belebter als der Wohntrakt, der Gang erweiterte sich bald zu Sälen mit Tischen und Stühlen, den Wartezimmern von Kliniken ähnlich, da und dort saß jemand, die meisten in sich selbst versunken, vor sich hindösend, andere in Gespräche vertieft, einige glitten auf Bürstenschuhen an ihm vorbei, gelegentlich ein Kyborg auf einem Rollgleiter, und obgleich niemand Notiz von ihm nahm, behielt Daniel seine demonstrativ selbstsichere Haltung bei, bis er einen leeren Raum entdeckte, eine Theke, Barhocker; er setzte sich, holte sich einen Becher Säuerling aus dem Automaten und überlegte, was er unternehmen sollte. Seine neue Umgebung wirkte nach wie vor verwirrend auf ihn, aber das konnte nicht anders sein, er hatte es nicht anders erwarten dürfen, mußte sich abfinden, versuchen, sich so rasch wie möglich einzugewöhnen. Heute war er nicht mehr so verloren wie gestern, er war registriert, hatte eine Erkennungsmarke, verfügte über ein Appartement und hatte Zugriff zur Datenbank. Am besten, er setzte sich mit der Automatik in Verbindung und verschaffte sich Übersicht über die Kommunikationsmittel, die Organisation, die Modalitäten. Er suchte sein Zimmer auf.

Inzwischen hatte sich ein Mann einige Sitze von ihm entfernt an der Theke niedergelassen und Bier-schwarz in einen Becher rinnen lassen. Nun rückte er näher, griff an einige Hebel, ohne etwas zu bestellen, bis er schließlich neben Daniel saß – ein junges, asketisches Gesicht, braun getönt – was auf eine Überdosis UV schließen ließ –, weißblond, rote Augenlider. Er schob das Bierglas hin und her, blickte sich betont unauffällig um und wandte sich schließlich, ohne ihm ins Gesicht zu sehen, an Daniel, der sein Gehabe merkwürdig fand.

»Warum kommen Sie gerade hierher?« Er sprach mit Verschwörermiene, aus dem Mundwinkel heraus. »Ist das nicht ein wenig unvorsichtig? Außerdem: Sie sind nicht avisiert.« Er tippte Daniel an den Kragenaufschlag. »Wer hat Ihnen das Zeichen mitgeteilt? Pst!«

Zwei Primis schoben eine Rollbahre vorbei, auf der ein Mensch lag, von einer Plastikfolie bedeckt. Sie haftete fest auf Stirn, Nase, Wangen, Kinn, an den Stellen von Augen, Mund und Nase waren runde, schwarz gesäumte Löcher eingeschnitten. Lautlos verschwanden sie im Gang.

»Wieder einer«, sagte der Blonde. »Sie sehen, hier kann man sich kaum unterhalten. Haben Sie schon Mutungspunkte?«

Daniel hob die Schultern, doch eine Handbewegung hieß ihn schweigen. Der Blonde blickte angestrengt zur Seite, horchte...

»Hören Sie?« fragte er. »Für mich wird es Zeit. Am besten, Sie kommen einmal zu einer unserer Sitzungen. Hier!« Er ergriff Daniels Hand, legte ein Stück Folie hinein, schloß ihm die Finger zur Faust. »Freie Bahn!« Er stand auf, ging rasch, doch ohne zu hasten, davon.

Nachdenklich sah Daniel ihm nach. Auch das gehörte wohl dazu: daß sich die Menschen merkwürdig benahmen, daß er vieles, was sie taten, sagten, andeuteten, von ihm verlangten, nicht verstand. Seine Hand tastete den Kragen entlang... hier steckte seine Plakette, der Schieber geschlossen. Trug man ihn offen? Wahrscheinlich. Dadurch war er aufgefallen. Aber wer hatte es nötig, sich durch Geheimzeichen zu verständigen? Unzufriedene? Anarchisten? Saboteure?

In einer flachen Ecke – 120 Grad, dem Sechseckprinzip entsprechend – bemerkte er eine Zelle des Beförderungssystems. Er stand auf und trat heran: die Tür öffnete sich nicht. Er nestelte an seiner Erkennungsmarke herum, zog den Schieber heraus... die Tür glitt beiseite. Er trat ein. Die Tür schloß sich hinter ihm.

Noch bevor er seine Kennummer und damit die Koordinaten seines Appartements eintasten konnte, setzte sich die Kabine in Bewegung. Zugleich tönte aus einem Lautsprecher in der Decke die Stimme:

»Wir rufen:

037 quer 170 quer 155,

Dringlichkeitsstufe A 3,

Sie werden erwartet:

Koordinaten 034 quer 281 quer 577. –

Wir bitten Sie, sich einzufinden.

Wir rufen: 037 quer 170 quer 155...«

Die Stimme begleitete ihn die ganze unfreiwillige Fahrt hindurch. An den Leuchtziffern an der Wand merkte er, daß es den genannten Koordinaten näher ging. Wie vorauszusehen: Stop bei 034/281/577. Die Tür glitt auf.

Daniel trat hinaus: Eine Zelle, eng, leer, sechseckig, undurchsichtige Wand, eine Tür, geschlossen. Von der Decke die Stimme:

»Ihre Kollegen heißen Sie willkommen, bitte warten.«

Pause. Dann wieder:

»Ihre Kollegen heißen Sie willkommen, bitte warten.«

Pause. Noch einmaclass="underline"

»Ihre Kollegen heißen Sie willkommen, bitte warten.«

Noch mehrmals, immer wieder. Daniel sah sich um – keine Sitzgelegenheit im Raum.

Ein Knacken. Summen aus dem Lautsprecher.

Sekunden später: Die Tür öffnete sich.

Die Stimme:

»Bitte, treten Sie ein!«

»Blicken Sie bitte nach links!«

Eine Projektionswand. Das Aufflimmern eines Bildes. Ein Gesicht, schon bekannt...

Er hörte Schritte hinter sich, eine Hand legte sich auf seine Schulter.

»Lassen Sie sich nicht verblüffen, kommen Sie!«

Eine Frau, dem Äußeren nach 28 bis 30, doch sicher reaktiviert –, das zeigte die porenlose Haut hinter den Augen; schwarzes Haar, gelockt, grüne Augen. Sie lächelte ihn an, wandte sich dann zum Videoschirm.

»Alles in Ordnung! Abblenden!« Sie führte ihn durch eine weitere Tür, die sich lautlos geöffnet hatte: eine Flucht von Räumen, durchsichtige Wände, grau und blau verkleidete Automaten, Fernschreiber, Schalttafeln, Sichtschirme, hüpfende Ziffern auf gerastertem Glas. Zwei Männer kamen ihm entgegen, glatte Gesichter von Dreißigjährigen, der eine groß und breit, mit gewelltem, zurückgekämmtem, hellbraunem Haar, natürlich eine Perücke, der andere dunkelhaarig, gebückt, schlank, mit langen Armen.

»Schöner Tag heute, wir freuen uns«, sagte der Große. »Das ist Maud, das ist Larry, ich heiße Benedikt. Mit uns werden Sie hauptsächlich zu tun haben. Setzen Sie sich doch, bitte.«

Daniel schüttelte die Hände, murmelte seinen Namen: »Es tut mir leid, daß ich Sie warten ließ! Offenbar haben Sie mich suchen lassen, doch Ihr Ruf hat mich erst vor ein paar Minuten erreicht!«

»Kein Grund zur Eile«, erklärte Benedikt. »Sie hatten sich wohl ausgeschaltet. Das ist Ihr gutes Recht.«

Sie setzten sich vor eine Kaleidoskopwand; die Figuren wechselten kaum merklich, Maud reichte Erfrischungskapseln; würziger Duft hing für kurze Zeit in der Luft, ehe ihn die Ventilatoren forttrugen.

»Das sind Sie also«, meinte Benedikt und sah Daniel wohlwollend an. »Offenbar haben Sie alles gut überstanden. Die ersten Stunden sind immer schwer.«

»Ja«, bestätigte Larry, »ich hatte einige scheußliche Erlebnisse – erinnere mich nur ungern daran. Die Psychiater haben uns allen übel mitgespielt.«

»Es war nur eine kurze Unterredung«, sagte Daniel.

Sie lachten. »Gewiß, aber die Tests haben es in sich.«

»Tests?« wiederholte Daniel.

»Reduktion der Verhaltensbedingungen, parzellierte Information, Labilisierung, Verunsicherung... sagen Sie bloß, Sie hätten es nicht bemerkt.«

»Ich hatte einige ungewöhnliche Erlebnisse – allerdings... Aber was war Test, und was war Wirklichkeit? Wie kann man sie unterscheiden?«

»Das ist es ja eben – daß man sie nicht unterscheiden kann. Wirklichkeit und Test gehen ineinander über. Ich bin überzeugt, daß mancher Konflikt, dem man zufällig ausgesetzt ist, als Test verwertet wird und umgekehrt: Situationen, als Testfälle konstruiert, setzen sich in der Wirklichkeit fort.«