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Rasch entschlossen stand er auf, zog den Morgenrock über. Seine Erkennungsmarke? Den Schieber schließen? Damit ließ sich der Lift nicht in Funktion setzen. Am besten, er ging zu Fuß, ließ die Erkennungsmarke da. Er trat aus dem Raum – es war dämmrig draußen, die vertikale Lichtsäule verbreitete nur schwachen Schein. Er orientierte sich, fand sich zurecht, er kannte die Bedeutung der Koordinaten, wußte, wo Positionshinweise zu finden waren, war mit den Richtungsangaben vertraut. Zuerst folgte er der Schraubenlinie der Terrassen, zehnmal rundum, eine ermüdende Aufgabe, aber die automatischen Systeme waren ihm verschlossen. Dann wandte er sich in einen Gang der Richtung A und zweigte in eine Flucht von Räumen ab – Richtung S. Alle Türen standen offen – er war nicht sicher, ob sie sich für ihn geöffnet hatten, er hatte nichts davon bemerkt.

Seine Tasche sah er schon von weitem. Sie lag inmitten eines völlig leeren Raums auf dem Boden – es sah aus, als sei dieser Teil des Gebäudes noch unbenutzt, auch die anderen Zellen, durch die er gekommen war, standen offenbar leer. Er war keinem Menschen begegnet – in der Nacht schien niemand unterwegs zu sein.

Er ging auf die Tasche zu, bückte sich... Als er sich wieder aufrichtete, hatte sich seine Umgebung verändert – die Wände waren undurchsichtig geworden. Er hörte ein Zischen, spürte den Duft von Magnolien. Um ihn herum Hecken, Lauben, schmale Wege, Treppen, Brücken über Tümpel mit Seerosen... die Perspektive änderte sich, die Farben verblaßten, die Bauten wurden durchsichtig, die Wege hoben sich über die Ebene, bildeten ein kompliziertes Muster, Verzweigungen, Sterne, Rundgänge, nur noch das Diagramm, ein schwarzes Liniennetz...

START

Er preßte die Tasche an die Hüfte und folgte dem Pfeil, der die Richtung wies.

INTEGER * 2 I1, I2 UMFORM

LOGICAL * 1 A, B, UN/. FALSE/’TRANS’ S...

Seine Bewegung wurde schneller, er raste dahin, und je mehr er sich der Lichtgeschwindigkeit näherte, um so mehr verlor er seine Persönlichkeit, seine individuellen Eigenschaften, er wurde abstrakt, ein Aggregat von Zahlen, über vorgegebene Wege gejagt, geradeaus, im Kreis herum...

IF (I.EQ.K) GO TO 20

GOTO 7

Die Welt klappte zu einer Fläche zusammen, schmolz zu einer Linie, eine eindimensionale Mannigfaltigkeit von Zuständen, eine Folge von Operationen, an komplizierte Bedingungen geknüpft...

IF (C.EQ.O) GO TO 7

TRANS == TRUE

RETURN

Eine endlose Bahn ohne Ausblick, ohne Ziel, in sich geschlossen, endlose Wiederholungen der gleichen Schleife, rundum. Sprung...

TRANS == FALSE

RETURN

END

Die letzten Kräfte verzehrt, gewichtlos, ausgehöhlt, im Klischee erstickt, zum Schema geworden, aufgerieben, verloren, auf Null reduziert, Modell seiner selbst...

Er lag auf einem Tisch, Gesichter erschienen und verschwanden, unkenntlich hinter Masken, Klirren von Instrumenten, schlürfende Schritte, widerlicher Geruch, grelles Licht, eine Hand, eine dunkle Last über den Augen.

Später: In einem Gleitstuhl. Stille. Dämmerndes Licht, Sonnenuntergang über blühenden Kakteen, rotglühende Wolken, das Huschen einer Fledermaus... Das Bild zerfließt, Solla, zu ihm hinabgebeugt. »Alles in Ordnung, keine Sorge. Morgen sind Sie wieder fit.«

»Was ist geschehen?« flüsterte Daniel und hatte Mühe, die paar Worte herauszubringen.

»Wir fanden Sie in einem leerstehenden Teil des Gebäudes. Ohnmächtig. Sie hatten sich verirrt, waren ohne Erkennungsmarke herumgelaufen, im Morgenrock, die Tasche unterm Arm. Wahrscheinlich ein Anfall von Schlafwandeln. Kommt nicht wieder vor. Wir haben die verantwortlichen Gehirnzellen ausgetauscht, einige Nervenfasern, Leitungen zum Schlafzentrum. Bleiben Sie ganz ruhig. Gefällt Ihnen das Bild?« Er wartete die Antwort nicht ab, die Kakteenwüste tauchte aus dem Grau der Wand, wurde plastisch, die Sonne ging unter, die Fledermaus huschte.

Als Solla den Raum verlassen hatte, griff Daniel nach der Steuerkonsole des Krankenwagens, doch das Gefährt reagierte nicht auf den Knopfdruck. Er ließ den Arm seitlich herunterfallen, ertastete die Bremse. Mit aller Kraft stemmte er sich dagegen, und der Wagen drehte sich. Er glitt zu jenem Tischchen, auf dem der Morgenrock lag, und auf diesem die Tasche. Er brauchte zehn Minuten, um sie auf seine Knie zu ziehen und zu öffnen. Sie war leer.

*

Er schlief lange, erwachte, bekam Injektionen, schlief wieder, erwachte, fühlte sich kräftiger, nahm Anteil am Geschehen in seiner Umgebung, genoß die Ruhe, ein Primi schob ihn mit dem Gleitwagen einen Rundhorizont entlang, eine Projektionswand mit unmerklich wechselnden Landschaften, Gebirge, die Antarktis, die Sahara, die Kraterfelder des Mondes, es sah aus, als blickte man von einer Plattform herunter, von einem Weg, von einer Brücke... Gefiel ihm ein Bild besonders gut, so gab er Anweisung, den Wagen stehenzulassen, er schickte den Primi fort und blickte lange und nachdenklich in die Weite.

»Eines der stimmungsvollsten Motive!« Ein anderer Gleitstuhl war, ohne daß er es bemerkt hatte, neben den seinen geschoben worden. Eine Gestalt, bis zum Hals in Decken vermummt, ein altes Gesicht, faltig, braungefleckt, wirres, schütteres, weißes Haar, Mann oder Frau, es war nicht zu erkennen, auch die heisere Stimme verriet nichts. »Eine Rekonstruktion aus alten Farbaufnahmen, vorzüglich gelungen. Aus solchen Wäldern sind wir einst hervorgekrochen – kaum zu glauben.«

Auf der Wiese standen jetzt zwei schlankbeinige braune Tiere. Gefiederte Wedel von Farnen neigten sich im Wind.

»Ja, es ist sehr eindrucksvoll«, stimmte Daniel zu. Er war nicht gerade erfreut über die Störung, doch er hatte keinen Grund, abweisend zu sein.

»Haben Sie sich zur Transposition entschieden? Sie sehen noch jung aus. Raten Sie, wie alt ich bin! 230 Jahre. Mir nützt keine Reaktivierung mehr. Ich habe mich lange gesträubt, hatte Angst – trotz aller Versicherungen. Jetzt fühle ich mich prächtig. Darauf kommt es an: wie man sich fühlt. Auf das Aussehen achtet man später nicht mehr. Ich glaube, das ist ein Beweis dafür, daß man reifer wird. Ja, auch mit zweihundert lernen Sie dazu. Seit dreißig Jahren habe ich es aufgegeben, mich reaktivieren zu lassen. Daß sich ein paar junge Leute ekeln... egal. Man ist nur noch selten nach AUSSEN gewandt. Man verliert das Interesse am oberflächlichen Geschehen. Was früher etwas bedeutet hat, wird bedeutungslos. Ein Wandel in der Orientierung. Nicht mehr. Ein Reifungsprozeß, meine ich. Die energetische Welt ist ärmlich. In Verbindung mit ihr von Freizügigkeit zu reden, ist lächerlich, jetzt sehe ich es ein. Aktionen, Bewegungen, Eingriffe, physikalische Prozesse, eingeengt durch eine Unzahl von Gesetzen. Ein Gefängnis. Die Welt von AUSSEN ist ein Gefängnis.

Einst sind wir aus den Wäldern gekommen. Jetzt setzen wir zur nächsten Stufe an. Ich höre nicht mehr auf die Eklektiker! Lange genug haben sie meine Entwicklung verzögert. Jetzt sehe ich das ein. Freilich, wer jung ist, macht sich die Situation nicht klar. Man läßt sich reaktivieren, immer wieder. Daß auch das einmal zu Ende ist, will man nicht wahrhaben, es liegt in weiter Ferne – so scheint es zunächst. Aber wenn es soweit ist – es ist nicht gleichgültig, glauben Sie mir. Man döst nicht dahin, man verdämmert nicht. Man findet sich nicht ab, man ergibt sich nicht in sein Schicksal. Zur nächsten Stufe zu finden, darauf kommt es an.