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»Wollen Sie sich nicht am Spiel beteiligen?« fragte Fenner.

Daniel lehnte ab, doch die andern drängten, und da er nicht unhöflich erscheinen wollte, gab er schließlich nach. »Worum wird gespielt? Ich habe nichts, was ich einsetzen könnte.«

»Um Rechenzeit natürlich!« antwortete Figueira. »Sie haben doch Ihre Bons noch nicht verbraucht!«

Daniel griff in seine Jackentasche – ja, er hatte die Bons bei sich. Und es war logisch, um die Rechenzeit zu spielen; es war das einzige, was nicht unbeschränkt zur Verfügung stand. Alles andere gab es umsonst – Essen, Trinken, Wohnung, Dienstleistungen von Automaten und Primis, Übertragungen des Kommunikationssystems. Alle diese Dinge konnte man nur beschränkt verbrauchen, es bestand keine Notwendigkeit, sie zu rationieren. Bei der Datenverarbeitung war das anders – hier gab es keine natürliche Schranke. Einfache Umsetzungen, Transformationen, visuell/auditiv zum Beispiel, Umordnungen, Auszüge, Zusammenfassungen, sie alle brachten nur geringfügigen Verbrauch mit sich. Auch einfache Rechnungen, Statistiken, Extrapolationen, die Lösung von Gleichungen, elementare logische Schlüsse und dergleichen fielen kaum ins Gewicht. Die Benutzung von Lehrdidaktiken, mehrdimensionale geometrische Transformationen, ästhetische Programme kosteten schon mehr. Psychogramme, Soziogramme, die Analyse hoch-komplexer Systeme, nichtlineare Optimierung, Simulationen, Entschlüsselung von Codes mit stochastischer Zuordnung, Wahrscheinlichkeitslogik und ähnliche Aufgaben galten als aufwendig. Trotzdem reichten die zugeteilten Bons durchaus, um beliebig viele solcher Probleme zu lösen. Es gibt aber Datenverarbeitungen mit kreisfunktionalen Prozessen, Iterationen, Rückkopplungen, Rücklaufschleifen, Pendelbeziehungen, mit denen die Rechenkapazität außerordentlich stark in Anspruch genommen wird – eine solche Rechnung kann unter Umständen das gesamte Denksystem beanspruchen, ja, es gibt mathematische Aufgaben – solche vom Lawinentyp –, die nie zu einer Lösung führen, vielmehr ergeben sich, je mehr Zwischenresultate vorliegen, umso mehr Teilaufgaben, so daß der Arbeitsaufwand unendlich groß wird und nie ein Ergebnis zustandekommt. Durch solche Aufgaben könnte man die ganze Rechenanlage lahmlegen, und deshalb mußte die Rechenzeit eingeteilt werden. Jeder konnte die Anlage einsetzen, wofür auch immer er wollte, die Zuteilung von Bons war so reichlich, daß man jede sinnvolle Aufgabe lösen lassen konnte, praktisch waren es nur die Lawinenaufgaben, die imstande waren, die Bons zu erschöpfen, was einen Abbruch der Rechnung zur Folge hatte.

Daniel wäre gern bereit gewesen, einen Teil seiner zwanzigtausend Rechensekunden herzugeben, um das Wohlwollen der Ärzte zu erkaufen, er hatte sogar die Chance zu gewinnen, was ihm allerdings wenig lukrativ erschien. Er erklärte sich zu einem kurzen Spiel einverstanden, bat aber, sich dann zurückziehen zu dürfen, da seine Kleidung durchnäßt war und unangenehm roch.

Die erste Runde begann. »Es geht um fünf Sekunden.« Sie hatten die Bons in den Taschen stecken lassen – sie zählten stumm mit.

»Fünf gegen fünf!«

Die erste Folge:

0 0 1 1 0 0

»Macht Null!«

»Angenommen.«

»Jeder eins!«

»Der nächste!«

»Fünf gegen Fünf!«

1 0 0 0 1 0

»Macht Null!«

»Ich spiele weiter.«

1 1 1 1 1 1

»Macht Null!«

»Angenommen!«

»Jeder zwei!«

»Der nächste!«

0 0 1 0 0 0

»Macht eins!«

»Der nächste!«

Sie hatten bei Fenner angefangen, der links neben Daniel saß. Daniel war der letzte der sechs Spieler. Der Biologe ließ die Münze rotieren: 1, schon griff der nächste danach.

1 0 0 0 1

Und nun Danieclass="underline" 0

»Macht Null!«

»Ich spiele weiter!«

Die nächste Folge:

0 1 1 1 1 0

»Macht Null!«

»Ich spiele weiter!«

0 1 0 1 1 1

»Macht Null!«

»Ich spiele weiter!«

Daniel wußte, daß er jetzt nur noch um den eigenen Einsatz spielte, aber den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit gemäß mußte wieder einmal die Summe 1 kommen. Er entschloß sich, bis zum Gewinn weiterzuspielen.

0 1 1 0 0 0

»Macht Null!«

»Ich spiele weiter!«

Sie spielten nach außen hin ruhig, aber das Spiel hatte plötzlich an Spannung gewonnen, man merkte es am Mienenspiel, an zusammengepreßten Lippen, an schmal werdenden Augen, an den Händen, verkrampften Fingern, weiß heraustretenden Knöcheln.

1 1 0 1 0 1

»Macht Null!«

»Ich spiele weiter!«

Das Spiel ist noch nicht zu Ende, dachte Daniel, ich habe noch eine Chance. Was ist schon ein Spiel! Wenn dieses nicht zum Gewinn führt, dann das nächste. Vielleicht verliere ich, aber was macht’s, ich habe genug Bons, meine Rolle ist fast unverbraucht, ich kann einige Sekunden entbehren.

Er hatte Pech. Ehe er sich’s versah, war seine letzte Entscheidung da, die elfte Runde, die Runde, nach der es keine Wahl mehr gab.

»Ich spiele weiter.«

»Verloren!«

»Pech gehabt!«

Auf Figueiras Stirn standen Schweißperlen.

»Wieviel macht es?« fragte Daniel.

»Wieviel haben Sie?«

»Ich habe bisher kaum etwas verbraucht – zwanzigtausend Sekunden.«

»Nicht mehr?«

Alle blickten ihn jetzt an – kalt, höhnisch, bedauernd.

»Nein – woher sollte ich weitere Bons haben?« Daniel hatte das Röllchen vor sich auf den Tisch gelegt, ein Streifen Magnetband, perforiert, mit dem Kennwort versehen, Nummern weiß aufgedruckt, eine Maßstabsskala, Einteilung in Zehntelsekunden. »Wieviel?«

»Sie haben nicht genug«, stellte Fenner fest. »Die Schuld beläuft sich auf 20 480 Sekunden.« Er griff nach der Rolle, nahm sie an sich. »Zu wenig, Sie haben ohne Deckung gespielt. Das sieht böse aus.«

»Sie schulden uns fünfhundert Sekunden. Jedem hundert.«

»Wie soll ich zu Bons kommen?« fragte Daniel.

Die Größe der Summe hatte in ihm zuerst ungläubiges Staunen, dann lähmendes Entsetzen hervorgerufen. Konnte diese Summe richtig sein? Sie stimmte: 5 mal 2 hoch 10 = 20 480.

»Diese Frage kommt zu spät«, antwortete Fenner. »Hier gibt es keine Spielschulden, die man später irgendwann begleichen könnte. Sie müssen sofort bezahlen.«

Die Gesichter waren unerbittlich.

»Ich habe Ihnen alles gegeben«, versicherte Daniel. »Es tut mir sehr leid... ich wußte nicht...«

»Auch wir bedauern zutiefst«, erklärte Fenner. »Aber wir können Ihnen nicht helfen. Geben Sie mir Ihre Kennmarke.« Er streckte die Hand nach Daniels Kragen aus.

Daniel sprang auf und wich zurück.

»Was haben Sie vor?«

Der Biologe rückte ihm nach. »Sie haben Ihre Zugehörigkeit zur Zentrale verwirkt.«

Daniel ging langsam an die Tür, doch ehe er sie erreichte, schloß sie sich. Er spürte die undurchdringliche Kunststoffwand an seinem Rücken. Die andern standen im Halbkreis um ihn herum, kamen näher. Wieder griff Fenner nach Daniels Kennmarke. Als er eine abwehrende Bewegung machte, sprang Julius vor, packte mit unwiderstehlicher Kraft seine Arme, drückte sie links und rechts an die Wand, dann kniete er vor ihn nieder, und als Daniel versuchte, sich loszureißen, drückte er ihm den Kopf in den Unterleib, so daß er vor Schmerzen aufstöhnte und zu keiner Bewegung mehr fähig war. Nun nahm ihm Fenner die Marke ab, steckte sie ein, heftete ihm eine andere an.

Der Primi richtete sich auf, mit einer raschen Bewegung drehte er Daniels Arm auf den Rücken, die Tür öffnete sich, man schob ihn in einen Gang, zehn, zwanzig Meter weiter... dort war eine Liftkabine. Ein Stoß, und er stand drinnen, in eine Ecke gepreßt. Die Beine versagten ihren Dienst, er sank langsam in die Knie.