Sie hielten, die Flügel der Schwenktür klappten auseinander. Sie standen am Eingang zu einem langgestreckten Raum, so daß an der Seite neben dem Fahrzeug kein Durchgang mehr frei war. Die andern drängten, und als Daniel stehen blieb, eilten zwei Primis herbei, hoben ihn auf den Boden, doch sie ließen ihn nicht los. Sie hatten sich wohl stumm – vielleicht durch Blicke – miteinander verständigt, denn, wie auf ein Zeichen hin, begannen sie, ihm die Kleider auszuziehen. Daniel wehrte sich, doch es nützte nichts, die Primis waren stärker. Sie behandelten ihn keineswegs brutal, ihre Griffe waren schonend, ihre Gewalt rücksichtsvoll, ihre Überlegenheit sachlich, sie blieben völlig unberührt, sie hörten nicht auf das, was er ihnen zu erklären versuchte, wahrscheinlich verstanden sie nicht, sie handelten geschickt, unbeirrt und schnell, und schon stand er nackt zwischen den anderen.
Der Raum war völlig leer, der Boden aus geriffeltem Kunststoff, es roch nach Karbol. Bisher war es angenehm warm gewesen, man fühlte sich hier – Daniel mußte es sich eingestehen – ohne Kleider wohler, doch war die Situation noch immer peinlich genug: der Aufenthalt zwischen diesen mißgestalteten nackten Wesen, männlichen und weiblichen, wie zu erkennen war, obwohl die Geschlechtsorgane kaum entwickelt, verkümmert schienen. Doch jetzt wehte plötzlich ein kühler Wind über sie hinweg, gleichzeitig erscholl ein Klingelzeichen. Daniel sah, wie sich die andern hinhockten und – er traute seinen Augen nicht – ihre Blasen und Därme auf den Boden entleerten, sie hockten sich hin, wo sie gerade standen. Daniel bemühte sich, über diese widerliche Szene hinwegzusehen, doch mußte er zu seinem Ärger feststellen, daß auch ihn plötzlich ein menschliches Rühren überkam – der kühle Luftzug am feuchten, bloßen Leib. Er versuchte, dem Andrang zu widerstehen, er blieb steif und aufrecht stehen, er stellte fest, daß er seinen Körper beherrschen konnte, und gleich darauf fühlte er, wie zum Lohn, daß der Luftzug wärmer wurde, eine Welle rührte an seinen Zehen, Wasser, heiß, aber erträglich, es floß irgendwo ab, eine neue Welle lief heran... Da waren wieder die beiden Primis neben ihm. Er fühlte sich gepackt, in gebückte Stellung gezwungen, und dann machte sich jemand an seinem Hinterteil zu schaffen – voll Empörung mußte er es sich gefallen lassen, daß ihm die Backen auseinandergezerrt wurden und ein Zäpfchen eindrang.
Er stand wieder aufrecht, noch immer festgehalten, nur Sekunden, dann gab es ein Rumoren in seinen Därmen und schon spürte er eine hohle Schwäche im Bauch, einen elementaren Druck, er konnte sich gerade noch hinhocken – die Wärter ließen ihn los – und schon gab er seine Fäkalien ab, stoßweise, krampfartig, keuchend.
Geschwächt, mit zitternden Knien, richtete er sich auf – unten war der Geruch, der sich allmählich ausbreitete, nicht zu ertragen, doch da kam schon ein stark nach Karbol riechender Windstoß herein, warm und angenehm, doch schwindelerregend...
Um ihn herum begann wieder das Geschrei, der Trubel – sie balgten sich, liefen hintereinander her, stießen sich gegenseitig an, er stand verloren inmitten des Treibens, bis eines von den weiblichen Wesen aus irgendeinem Grund auf ihn aufmerksam wurde, an ihn herantrat, einen Schrei ausstieß und auf ihn wies. Nun näherten sich auch die andern, kreisten ihn ein, glotzten, Mutige griffen nach ihm, betappten ihn, wurden frecher, zwickten ihn, berührten seine intimsten Körperpartien.
Daniel versuchte sich zu wehren, doch sie kamen von allen Seiten, es waren zu viele, er fühlte sich umgerissen... Da ging ein Brausen durch den Raum, heiße, scharfe Wasserstrahlen schossen von allen Seiten aus Düsen an den Wänden, sie prasselten auf die ungeschützte Haut, einige stürzten und versuchten, auf allen Vieren der anstürmenden Flut zu entrinnen.
Daniel glaubte zunächst, es handelte sich um eine Maßnahme zu seinem Schutz, doch dann merkte er, daß sich niemand ängstlich oder auch nur überrascht zeigte, im Gegenteil, ein Jauchzen ging durch die Reihen, sie ließen von ihm ab, stemmten sich gegen die Strahlen, versuchten, dagegen anzurennen, glitten aus, wälzten sich am Boden, der nun eine Handspanne hoch von Wasser bedeckt war, spritzten sich gegenseitig an, sprangen hoch und stampften mit beiden Füßen in das Wallen und Fluten.
Mit einem Mal flockte etwas Weißes in der Luft, Blasen, Schaum, vielleicht befand sich jetzt ein Netzmittel im Wasser, Seife, Desodorant. Bald waren sie von Schaumflocken bedeckt, hatten Schaum im Gesicht und trugen Schaum wie Mützen auf den Köpfen.
Wieder ein Wechsel – kühleres Wasser, jetzt sogar kalt, Schreie des Vergnügens oder Mißvergnügens, es war nicht auseinanderzuhalten, der Schaum verschwand... das Wasser versiegte, ein feiner Nebel aus Aerosol, der fade Geschmack von Öl, es gluckste in verborgenen Abflußlöchern, die Düsen an der Wand waren geschlossen.
Nun drängten, schoben und stießen sie zum Wagen zurück. Die Flügeltür schloß sich, das Fahrzeug fuhr an. Vorn der Primi, steuernd, hin und wieder nach hinten blickend. Daniel hatte sich einen Platz am Geländer erobert. Die anderen sahen gerade noch darüber hinweg, für sie war es eine wirksame Barriere – nicht aber für ihn. Als sie um eine Ecke kurvten, schwang er sich darüber, stolperte, stürzte, warf sich rasch zur Seite... schon war er außerhalb des Blickfelds. Sein Knöchel schmerzte... verstaucht? gebrochen?
Er richtete sich auf, versuchte, aufzutreten... er spürte einen dumpfen Schmerz, der hell aufloderte, sobald er das Gewicht auf das betroffene Bein verlagerte.
Hier konnte er nicht bleiben. Er sah sich um – eine Gangkreuzung, nebelerfüllt, Quadrate trüben Lichts. Auf gut Glück wählte er eine Richtung und folgte ihr humpelnd.
Er kam nur langsam voran. In diesem Zustand mußte er jede Begegnung mit den Wärtern vermeiden. Es waren zwar nur einfache Primis, aber körperlich waren sie ihm überlegen, und nur das zählte jetzt.
Mehrmals blieb er stehen und lauschte – jeder Schritt auf dem feuchten Boden erzeugte ein schmatzendes Geräusch, daran würde er es rechtzeitig merken, wenn sich jemand näherte.
In diesem Bereich des Labyrinths rührte sich nichts. Einmal geriet er in einen Raum, in dem etwas größere Exemplare der seltsamen kleinen Menschen in mehreren Reihen auf Pritschen lagen; sie schliefen oder befanden sich in einem Dämmerzustand, denn sie rührten sich nicht. Eine Wand war von einer großen Schalttafel bedeckt – ein Automat arbeitete, man sah die flimmernden Lichtpunkte, die den Speicherinhalt anzeigten. Von den Kopfenden der Pritschen liefen Kabel zu helmförmigen Aufsätzen, die über die Schädel der Liegenden gestülpt waren.
Daniel humpelte zurück, der Schmerz wurde allmählich unerträglich. Er ruhte immer länger aus, an die Wand gelehnt, den kranken Fuß angehoben.
Eine Gangkreuzung – wohin? Er wußte nicht, welcher Richtung er folgen sollte. Der Lift, der seinen Anordnungen nicht folgte, nützte ihm nichts, und andere Ausgänge kannte er nicht.
Leises Klatschen, irgendwo in der Tiefe des Ganges. Er wandte sich zur linken Gangfortsetzung... auch hier ein Geräusch, das näher kam. Noch blieben zwei Richtungen offen. Es war gleichgültig, wohin er sich wandte. Auf einem Fuß sprang er vorwärts, sich an die Wand stützend.
Auch hier leises Klatschen... Daniel hielt an, auch sein gesundes Bein versagte den Dienst, es knickte ein. Er hockte am Boden, zu keiner Bewegung mehr fähig.
Die Schritte kamen näher, tappten hinter der Nebelwand – noch war niemand zu sehen, nur von Zeit zu Zeit ein Schatten, der das trübe Weiß des Lichts verdunkelte, Umrisse plumper Gestalten...