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Die Antwort kam prompt – kaum daß er die Frage gedacht hatte.

Er erwachte, wie wenn man im Dunkeln erwacht, in einem stillen Raum und mit geschlossenen Augen. Trotzdem entstand kein Zweifel an der eigenen Existenz. Eher noch am Ort des Erwachens. Aber er war weder blind noch taub. Sehen – es stand ihm frei, die Kameras zu benutzen, jene im Innern der Zentrale oder draußen in der Stadt, auf einsamen Berggipfeln oder in den Wohnbezirken der Zurückgebliebenen, im Meeresgrund oder auf der Rückseite des Mondes. Es stand ihm frei, sich der Röntgenkameras zu bedienen, oder der Infrarotdetektoren, der Mikrosonden oder der Szintiskope. Hören – er hatte seine Ohren überall, brauchte nur zu denken: eine Koordinatengruppe, einen Namen, ein Thema. Assoziative Zuordnung – eine untergeordnete Instanz tastete die einlaufenden Meldungen ab. Und der Katalog der Erinnerungen! Die Kapazität des Gedächtnisses war ins Unermeßliche gewachsen – Zugriff zu sämtlichen Speichern, das bedeutet: zum Wissen der Welt. Anreiz zu Gedanken ungeheuerlicher Tragweite, zum Ausschwärmen in nie geahnte Räume.

Das Unbekannte lockte, aber hätte er dem Ruf nachgegeben, wäre das einer Flucht gleichgekommen. Was getan werden mußte, mußte getan werden.

*

Daniel rief die Uhrzeit ab – erst Sekunden waren seit seiner Integration vergangen. Er dachte an seinen Körper – und sah ihn auf dem Liegebett ausgestreckt, von den Schaumstoffpolstern getragen. Er visierte die motorischen Zentren an – und erkannte, welche er benutzen mußte. Er schaltete die Routinemaßnahmen aus, nahm einen Robotwagen unter seine Kontrolle, befahl ihm, den leblosen Leib in die Reaktivierung zu bringen. Es war nichts zerstört, auch das Gehirn unverletzt – die Information war kopiert, doch nicht gelöscht worden. Durch mehrere Sonden beobachtete er, wie die Gefäße gereinigt wurden, wie frisches Blut in sie eindrang, wie einige Organe ausgetauscht wurden, eine neue Leber, neue Venen, neue Keimdrüsen, wie alte, degenerierte Zellen abgebaut wurden und sich junge an ihre Stelle setzten, wie sich die Haut glättete und straffte, wie die aktivierende Strahlung eindrang und der elektrische Impuls, der das Herz wieder in Gang setzte. Und dann löste er den Block.

Er beobachtete, wie sich der Mann aufrichtete, wie er sich umsah, wie er vom Tisch herunterglitt, einige Schritte machte...

Nun zog er sich zurück – überließ ihn seinem Schicksal – endgültig. Das war alles, was er tun konnte.

Er selbst war jetzt frei, er konnte sich ausbreiten. Mit Lichtgeschwindigkeit konnte er in die lockenden Bereiche der Erkenntnisse eindringen, konnte Kontakte mit anderen suchen, sich mit ihnen koppeln oder mischen. Erst schien es, als wäre der Raum, der ihm nun zugänglich war, grenzenlos, als wären seine Tiefen nicht auszuloten. Später stieß er auf Grenzen, doch sie ließen sich zurückschieben. Hier konnte er seine Aufgabe suchen – Entfaltung, Evolution. Die Richtung zu bestimmen, war ihm selbst überlassen – in die Bereiche der logischen und mathematischen Zusammenhänge, der physikalischen und kosmologischen Fragen, in die Tiefen der Vergangenheit und der Zukunft, in die Welt der Mikrowesen oder in die Weite des Weltraums. Er konnte sich auch der Biologie widmen, der weiteren Entwicklung des Menschen, den potentiellen Möglichkeiten psychischer und soziologischer Strukturen, den Problemen der freien Entscheidungen – der Ethik.

Seine Entscheidung war schon viel früher gefallen. Er ließ sich in das astronomische Labor auf dem Südpol des Jupiters transferieren und baute eine Raumkapsel auf – einen Lichtdrucksegler. Durch eine Rakete ließ er sich emporheben, entrann dem Gravitationsfeld, dann löste er die Verbindung und trieb hinaus ins All.

Er hatte Zeit, und er konnte diese Zeit ablaufen lassen, wie er wollte. Ihr Maß war die Pulsfrequenz. Milliarden Impulse in der Sekunde oder einer in Jahrhunderten – es war ihm überlassen. Er konnte die Sterne sehen, wie er wollte – in beständigen Konfigurationen, das unveränderliche Firmament des naiven Menschen; in einem Reigen von Kreis- und Ellipsenbahnen, Parabeln und Hyperbeln, den dynamischen Himmel Newtons; oder als Werden und Vergehen – Zusammenballungen, Explosionen, Pulsationen – das Weltall der Kosmologie.

Vor ihm lag die Ewigkeit.

*

Es war, als liefen tausend Insekten durch seinen Leib, als würde seine Haut gebürstet und massiert. Es prickelte, vibrierte, regte sich – ein tiefer Atemzug, Geräusche, Helligkeit hinter den Augenlidern.

Noch umfing ihn leichte Lähmung, zähe Fäden zogen ihn gegen eine nachgiebige Unterlage. Es kostete Mühe, den Willen bis an die Peripherie hinauszudrängen, die motorischen Zentren zu erreichen... Unter seinen Fingern fühlte er die flaumig aufgerauhte Oberfläche einer Decke. Die Finger waren es, die seinem Willen zuerst gehorchten. Sie tasteten höher, streiften die hindernde Hülle ab... jetzt bewegte sich schon der ganze Arm. Die Fingerkuppen fühlten Haut – warm, feucht glatt. Er streckte sich, fühlte, wie sich die Muskeln spannten.

Nun erst war er wach. Er öffnete die Augen, setzte sich.

Ein medizinischer Behandlungsraum, rund um ihn Geräte. Was auch immer mit ihm geschehen war – es war beendet. Sein Körper war kräftig, und Daniel spürte den Tatendrang, die Ungeduld eines Gesundeten.

Er ließ sich vom Tisch heruntergleiten.

Er war nackt.

Auf einem Stuhl neben ihm ein Bündel Kleider. Er zog sich an, doch seine Gedanken wanderten. Die Zukunft, gewiß... aber auch die Vergangenheit war noch nicht abgetan.

Am Kragen seines Mantel fühlte er etwas Hartes – eine Erkennungsmarke: 000/000/001. Mit einem Mal, als hätte sich ein Ventil geöffnet, strömten die Erinnerungen... jetzt war ihm wieder alles gegenwärtig – jetzt war er wieder eingeflochten ins Geschehen.

Zuerst der Druck einer Enttäuschung: Noch immer befand er sich hier – in der Zentrale. War sein Plan mißlungen? Gewiß, er hatte noch eine Aufgabe, aber er war voller Erwartungen gewesen...

Dann schalt er sich selbst: Er lebte, und das war ja gerade der Beweis dafür, daß alles nach Wunsch gelaufen war. Einen Moment bedauerte er, daß er nicht der andere Teil seiner selbst war – jener, der von allen Pflichten entlastet, von jeder Schwere befreit, aller Zweifel enthoben, jeder Bitterkeit entrückt, jeder Furcht entronnen war. Dann nahm die Logik überhand: Es gab keinen Tausch, nur eine Entsprechung, und hätte man die Information oder, was auch immer es war, ausgetauscht, so wäre er doch wieder derselbe gewesen, der noch einen weiten beschwerlichen Weg vor sich hatte. Oder war die Folgerung falsch? Vielleicht wußte es der andere, der in einer für ihn nicht begreiflichen Form existierte. Bis vor kurzem hatten sie einen gemeinsamen Weg gehabt – nun verzweigte er sich. Ob es ein Wiedersehen gab, oder vielmehr das, was einem Wiedersehen entsprach? Vielleicht einen Gedankenaustausch, oder eine Wiedervereinigung? Er brachte nicht die Ruhe auf, darüber nachzudenken. Viel stärker waren die Wünsche und Ziele, die Forderungen der Aufgaben, die vor ihm lagen.

Daniel ging zur Tür, die offen stand. Noch einmal befand er sich im System der Gänge, ihm nicht zugehörig, ein Ausgestoßener, eine Nullnummer. Aber er wußte, was zu tun war. Ohne Aufenthalt stieg er die Gänge aufwärts, bis zur Empfangshalle. Er trat ans Steuerpult. Daß er nie vorher daran gedacht hatte! Aber auch von den andern hatte keiner daran gedacht – vielleicht auch nur deshalb, weil keine Notwendigkeit bestand. Dabei war es einfach: Die Auffahrt war die Umkehrung der Abfahrt; man brauchte nur den reziproken Befehl zu geben.

Er tastete die Codeziffern ein. Einen Moment lang kam ihm der Gedanke, es könnte eine Sperre vorgesehen sein, die den angebahnten Weg verschloß. Doch da leuchtete das grüne Lämpchen auf, ein leises Schleifen, der Bajonettverschluß öffnete sich, ein Klicken, die Säule wuchs aus dem Boden. Mit reibungsloser Präzision, mit vollendeter Ausgewogenheit aller Bewegungsphasen vollzog sich die Absenkung der Plattform – des Unterteils der Kugel. Die zwei niedrigen Türflügel klappten auf.