Daniel trat ein.
Die Tür schloß sich mit einem dumpfen Laut. Ein sanfter Ruck, es ging aufwärts, auf die Öffnung in der Decke zu. Ein letzter Blick in die Halle, in das Labyrinth der Zentrale, dann schloß sich das untere Kugelsegment an das obere.
Es gab keinen Stoß, keine Vibration, keine Geräusche – nur einem kaum wahrnehmbaren Knistern war zu entnehmen, daß die Fahrt begonnen hatte. Eine Hülle aus Licht ringsherum, dann stiegen sie über das Niveau der Decke, und bald lag das gleißende Wabenmuster weit unten in der Tiefe, wurde fahler, jetzt nur noch ein Schimmer, wurde von grüner Tinte übermalt...
Daniel hatte sich auf denselben Platz gesetzt wie bei der Anreise. Er wartete, bis oben ein strahlendes Leuchten sichtbar wurde, ein Flimmern und Flirren, ein Spiel glitzernder Reflexe. Dann bückte er sich und tastete den unteren Rand der Polsterung ab. Er fand den Hohlraum, griff hinein... ein harter Gegenstand. Er zog ihn heraus – ein flaches Kästchen –, er klappte den Deckel hoch.
»Aufgabe vollzogen«, sprach er in den Sender. »Ich komme zurück! Achtung, hört Ihr mich? Ich komme zurück.«
Sie hatten mir geantwortet, doch der Empfang war so schwach, die Stimmen so leise, daß ich sie nicht verstand. Höchstens einige Worte, undeutlich, verzerrt, sie ergaben keinen Sinn, oder ich scheute davor zurück, sie zu deuten. Sicher ist, daß ich in diesem Augenblick einen Teil meiner Zuversicht verlor und Bedenken, Zweifel und Befürchtungen in mir aufstiegen.
Hätte es sich nicht um eine Dämpfung durch die Kugelwand oder durch das Wasser handeln können?
Nein – ich hatte ja bei der Abfahrt guten Empfang. Die Kugelwand bestand aus Kunststoff und absorbierte keine Wellen. Auch das Wasser konnte nicht der Grund sein – er fuhr dicht unter der Oberfläche dahin; die Dämpfung hätte nicht so stark sein dürfen.
Besaßen Sie bei der Abfahrt noch Ihre volle Erinnerung?
Ja. Ich habe ja auch noch den Sender bei vollem Bewußtsein versteckt. Ich nehme an, ich erhielt den Gedächtnisblock während der letzten Phase der Fahrt, vielleicht auch erst kurz vor dem Aussteigen.
Weiter!
Als die Kugel auftauchte und sich öffnete, wurden meine Befürchtungen zur Gewißheit: Ein Teil der Decke war eingestürzt, eine der Seitenwände war ein Schutthang, der noch nicht zur Ruhe gekommen war; körnige Massen rieselten herab, größere Bruchstücke kollerten darüber hinweg, von Zeit zu Zeit rutschte eine Platte nach oder das Bruchstück einer Projektionswand. Der Boden war von den Scherben der Leuchtstoffröhren bedeckt.
War noch Licht in der Halle? Konnten Sie etwas sehen?
Einige Leuchtröhren brannten. Vielleicht hingen sie an einem netzunabhängigen Notstromaggregat.
Ihre Kameraden erwarteten Sie?
Nein. Sie kannten jenen Teil der Stadt nicht. Nachdem ich ausgestiegen war und mich umgesehen hatte, versuchte ich gleich wieder zu senden. Diesmal erhielt ich sofort Antwort, wenn auch sehr leise.
Worauf führen Sie das Versagen der Funkgeräte zurück?
Ganz einfach. Ich selbst hatte eine schwache Dauerbatterie, meine Kameraden dagegen einen starken Sender, der mit einem Iridium-Akku betrieben wurde. Ein Iridium-Akku muß regelmäßig aufgeladen werden – doch sie hatten ihr Aggregat verloren.
Wer meldete sich?
Es war Sonja. Ich verstand sie kaum. Und auch sie schien mich nicht zu hören. Sie wiederholte immer dasselbe. Ich wollte den Sender anpeilen, der Richtung folgen.
Das taten Sie.
Das tat ich.
Und Sie fanden einen Weg durch die Trümmer. Hatten Sie Schwierigkeiten?
Es ging.
Bestand Einsturzgefahr?
Ja.
Hatten Sie Angst? Oder hatten Sie irgendwie das Gefühl, daß Ihnen nichts passieren könnte?
Ich hatte ganz gewöhnliche Angst, wie jeder andere, der sich in Gebäuden aufhält, die jeden Moment zusammenstürzen können.
Sondermeldung: Die Aktionen in der Zone Null wurden erfolgreich abgeschlossen. Die Verluste sind gering. Bis auf ein Sonderkommando, das mit einer speziellen Aufgabe betraut war – 186 Mann, 11 Offiziere –, kehrten alle Angehörigen der Besatzungstruppe wohlbehalten zurück. Wir ehren die Gefallenen.
Nun ist die Zone Null der Freien Welt eingegliedert. Nun umfaßt diese die Gesamtheit aller Kontinente, das gesamte feste Land von Meer zu Meer. Damit ist das Ziel erreicht, das wir uns vor Jahrhunderten gestellt hatten – die Welt ist frei von Unterdrückung, Ausbeutung und Sklaverei.
Neue Aufgaben stehen bevor. Der weite Bereich der Zone Null muß der menschlichen Besiedlung erschlossen werden. Wir fanden eine leblose Wildnis vor, für Menschen unbewohnbar. Die Experten sind dabei, ein Programm auszuarbeiten, das die völlige Integration dieser Gebiete einleitet. Am Anfang stehen klimatechnische Maßnahmen. Durch eine künstliche Wolkendecke soll die gefährliche Sonnenstrahlung abgeschirmt und die Abdiffusion der Feuchtigkeit unterbunden werden. Künstliche Satelliten werden für gleichmäßiges Licht und die Beseitigung der archaischen nächtlichen Dunkelheit sorgen. Nach einer einmaligen chemischen Düngung, dem Absprühen von Präparaten durch ferngelenkte Flugkörper, werden Bodenbakterien für die Aufbereitung der Oberflächenschichten angepflanzt. Sobald der Bereich den Menschen zugänglich ist, wird der Aufbau von Kolonien beginnen, von denen aus die zweite Phase der Eingliederungsmaßnahmen, die Besiedlung durch Menschen, eingeleitet wird.
Der Zustand, in dem wir die Zone Null vorfanden, ist ein Zeugnis kapitalistischer Mißwirtschaft. Statt ihre Aufgabe am Allgemeinwohl der Bewohner zu messen, hat sich die Führung industriellem Profitdenken unterworfen. Es erfolgte eine Konzentration der Einwohner in den Städten, wo sie mit Hilfe eines mißbrauchten Kommunikationssystems dem Konsumzwang widerstandslos unterworfen waren. Da auf dem Sektor der Gebrauchsgüter kein unbeschränkter Bedarf zu erzwingen ist, wich die Industrie auf Freizeitrequisiten aus. Dadurch kam es zu einem Rückfall in kindische Vergnügungssucht, zu einer Degeneration, die um so ungehemmter vor sich gehen konnte, als durch die Isolierung ein Abschluß vor freiheitlichem Gedankengut mit politischer Verantwortlichkeit erreicht war. Hier liegt ein typisches Beispiel für den Mißbrauch technischer Machtmittel vor, der bis zur Selbstzerstörung reicht.
Unser Einschreiten fiel in die letzte Phase des Zusammenbruchs. Die meisten Siedlungen waren leer, die Gebäude zerfallen, die Maschinen zerstört, von den Bewohnern keine Spur. Nur eine einzige Stadt wurde noch vor ihrer Auflösung besetzt, und somit wissen wir etwas mehr über die Lebensweise ihrer Bewohner, die ein Gegenstand soziologischer Untersuchungen der nächsten Jahre sein wird. Wir sind überzeugt, daß wir daraus Wissen schöpfen werden, das dem weiteren Aufbau unserer freien Gesellschaft nützlich ist.
Die Integration der Zone Null unterschied sich wesentlich von der Eingliederung jener verschiedenartigen Land- und Stadtkulturen, die wir in letzter Zeit vorgenommen haben. Dort fanden wir Menschen, die zwar unterdrückt und unterentwickelt waren, die aber nach kurzen Intervallen der Umschulung glücklich waren, in unserer Gesellschaft mitarbeiten zu dürfen. Ein solches Resultat war uns in der Zone Null nicht beschieden; das Land ist tot, die Bewohner ausgestorben. Wir bedauern, daß wir nicht früher eingreifen konnten, doch wurde das durch die wohlbegründete hermetische Abriegelung durch automatische Abwehrwaffen verhindert. Nun ist es dank des Fortschritts unserer Technik doch gelungen, diesem Land die Freiheit zu bringen, und wenn sie auch den ursprünglichen Bewohnern nicht mehr zugute kommen kann, so wird sie doch das Symbol für jene Pioniere sein, die unsere Zivilisation dort ansiedeln und pflegen werden. In diesem Sinn sehen wir die Aktion als vollen Erfolg an, als einen Markstein in der Geschichte der Freien Welt.