Sonja meint, du würdest aus meinen Worten nicht klug. Sie wird weiterschreiben.
Ja – ich muß es dir noch sagen: Wir sind nur noch zu dritt – Sonja, Tibor und ich, Pavel. Greg wurde erschossen, als er unsere Vorräte bewachte. Josef kehrte von einem Patrouillengang nicht zurück...
Ich weiß nicht, ob ich dir wünschen soll, daß du wiederkommst – es ist schrecklich hier. Es ist nicht nur die Stadt, die stirbt, es ist auch, als seien die Menschen vom Wahnsinn infiziert. Mord und Meuterei – das war einst die Elitetruppe der Pioniere. Auch wir selbst sind unser nicht mehr sicher. Vielleicht liegt es an den Erlebnissen in den Räumen, an den Projektionen, den künstlich gelenkten Gefühlen, daß wir nicht mehr wissen, was normal ist und was nicht. Es ist, als hätte sich die Logik in einer ganz seltsamen Weise ins Irrationale verschoben.
Aber ich wollte ja chronologisch berichten...
Als du nach 24 Stunden nicht wiedergekommen warst, beschlossen wir nachzuforschen – wie es vereinbart war. Wir stellten fest, daß sich die Tür öffnen ließ. Das Appartement war leer. Keine Spur von dir; wir hatten gehofft, du würdest eine Nachricht hinterlassen, fanden aber nichts. Wir hätten versuchen können, die Wände aufzureißen, doch wie du weißt, wurde jede Anwendung von Gewalt mit einem betäubenden Gas beantwortet. Inzwischen haben wir festgestellt, woher es kam: aus winzigen Düsen in der Wand.
Es blieb uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Wir hielten uns in der Nähe auf. Von Zeit zu Zeit suchten wir nach dir – vergeblich. Inzwischen setzten wir unsere Nachforschungen fort und haben auch eine Menge über die Steuerung und Funktion des Systems ermittelt. Greg gelang es, den Ruf für einen Speicher herauszufinden, dem er interessante technische Details entnehmen konnte. (Wir fügen die Aufzeichnungen bei.) Wo sich die zentrale Steuereinheit befindet, haben wir nicht feststellen können.
Wie du weißt, gab es schon vor deinem Verschwinden Unruhe bei den Mannschaften. Wir standen mit dem Hauptquartier in Verbindung und erfuhren, daß immer mehr Fälle von unerlaubtem Entfernen von der Truppe vorkamen. Zuerst verschwanden einige für ein paar Stunden. Als sie später wiederkamen, berichteten sie von seltsamen Erlebnissen, Gerüchte liefen um. Als die Vorräte rationiert wurden, wurde die Lage gespannt. Es hatte sich herumgesprochen, wo die leeren Räume lagen, immer mehr Leute holten – trotz angedrohter Strafen – von dort Nahrungsmittel und Getränke, immer mehr spielten an den Projektionseinrichtungen, und schließlich kamen einige nicht mehr zurück. Sie blieben in den Räumen und konnten gegen ihren Willen nicht mehr zurückgeholt werden. Der Oberst stellte Wachen auf, die den Befehl hatten, auf jeden zu schießen, der das Lager verließ. Am Tag darauf begann die Meuterei.
Seit dem Eindringen in die Stadt waren etwa 14 Tage vergangen. Seither gab es keine Verbindung mit den übrigen Landungstruppen mehr. Auch der Funkverkehr hatte sich nicht wieder aufnehmen lassen. Der Oberst wartete auf Verstärkung und Nachschub, doch vergebens. Da die Vorräte inzwischen bedenklich abnahmen, beschloß er, einen Trupp loszuschicken, der mit den Landeeinheiten Verbindung aufnehmen sollte. Die Leute kamen nach kaum einer Stunde zurück: Um die Stadt herum lag ein Gürtel von Gammastrahlung, zu intensiv für unsere Abschirmung. Wir waren eingeschlossen. Niemand konnte aus der Stadt heraus.
Als die Nachricht zu den Mannschaften durchsickerte, kam es zum offenen Aufstand. Von da an sind wir nur mangelhaft informiert. Die uns mitgegebenen Leute hatten sich längst in alle Winde zerstreut; wir waren allein. Als wir Schüsse hörten, versuchten Pavel und Josef die Ursache festzustellen. Sie drangen bis zum Obersten vor; nur wenige Leute, vielleicht dreißig Mann, waren bei ihm geblieben. Er ließ gerade die Granatwerfer auf ein Gebäude richten, das von Meuterern besetzt war. Durch ein Megaphon forderte er sie auf, zurückzukommen, und als niemand seiner Aufforderung folgte, setzte er die Granaten ein. Er hatte gedroht, jedes Gebäude zu zerstören, in dem er Deserteure vermutete, und es sah so aus, als wollte er seine Drohung wahr machen. Das wissen wir von Pavel. Der Oberst hatte ihn und Josef zu den Kampfmannschaften eingeteilt, hatte ihnen verboten, sich zu entfernen. Am Abend versuchten sie, sich durchzuschlagen. Pavel kam davon, doch Josef wurde getroffen – ein Schuß von den Wachmannschaften. In den Kopf. Er war sofort tot.
Schon am nächsten Tag merkten wir, daß sich in der Stadt etwas tat. Zuerst stellten wir fest, daß es keine verschlossenen Räume mehr gab. Alle Türen waren offen, alle Räume leer. Dann funktionierte die Schienenbahn nicht mehr, und wenig später – wir hatten es uns angewöhnt, Essen und Trinken aus den Gebäuden zu holen – fiel die automatische Versorgung aus. Und dann erlosch das Licht. Wir waren auf die Sonne angewiesen, die matt durch das Kunststoff dach schien. Es gab wieder Tag und Nacht.
An diesem Tag begann der Zerfall der Stadt und zugleich ein erbarmungsloser Kampf um die Vorräte. Wir hatten genug davon, denn die Soldaten unseres Begleittrupps hatten alles zurückgelassen, wir brachten es in Sicherheit, legten einige Depots an und versuchten, uns zu verstecken. Als der Zusammenbruch der Stadt begann, mußten wir sie mehrmals verlagern, zwei Depots wurden trotzdem verschüttet, im Moment haben wir noch drei.
Bei einer solchen Verlagerung kam es zu einem Überfall, der Greg das Leben kostete. Wir hatten uns einen Raum in der ersten Etage für ein provisorisches Lager ausgesucht. Eine langsam anwachsende Schutthalde drohte den Zugang zu verschütten, und wir mußten es räumen. Dabei hatten sie uns aufgespürt. Sie haben Greg erschlagen und einen Teil der Vorräte fortgeschleppt. Dann warteten sie, bis wir anderen zurückkehrten, und beschossen uns. Es gab einen kurzen Feuerwechsel, dann flüchteten sie. Tibor bekam einen Schuß in die Schulter – nicht weiter schlimm, trotzdem bedenklich, weil wir kaum noch Medikamente und Verbandsmaterial haben. Er liegt neben mir auf dem Haufen zerrissener Schaumstoffmatten. Er läßt dich grüßen.
Die Schüsse sind inzwischen seltener geworden – es sieht so aus, als wären nicht mehr viele Menschen übriggeblieben. Trotzdem müssen wir vorsichtig sein.
Die Gebäude brechen unaufhaltsam in sich zusammen – es gibt keine Terrasse mehr, man klettert über Schutthänge, watet im Staub.
Tibor braucht Pflege, er hat Fieber. Wir haben beschlossen, uns zur Peripherie hin durchzuschlagen; vielleicht gibt es irgendwo Medikamente.
Wir installieren den Sender hier und lassen ihn laufen – für den Fall, daß du doch noch kommst. Du wirst ihn hören und kannst ihn anpeilen. Wir lassen auch einige Reserven zurück – Notrationen und Wasser; viel haben wir nicht mehr. Wenn du kommst, können wir uns über Funk miteinander in Verbindung setzen. Wir haben noch ein Sendegerät. Alles Gute!
Sonja
Pavel
Tibor
Wie war Ihre Reaktion auf diese Nachricht? Sie hatten nicht nur Ihre Kameraden verloren, sondern Sie mußten auch erkennen, daß Sie Ihre Aufgabe nicht erfüllt hatten, daß die Aktion gescheitert war. Wurde Ihnen das bewußt?
Ich weiß nicht mehr, was ich gefühlt und gedacht habe. Ich war müde und ausgebrannt. Lange saß ich in der riesigen Halle. Es war dunkel, nur durch ein Loch irgendwo hoch oben fiel Tageslicht ein.
Was haben Sie dann unternommen?
Ich suchte die Vorräte, von denen im Brief die Rede war. Halb von Staub und krümeligen Massen bedeckt, fand ich einen Seesack mit Wasserflaschen und Proviant und noch einigen Kleinigkeiten – Schmerztabletten, ein Verbandspäckchen, eine Taschenlampe...
Faßten Sie sofort den Plan, die Stadt zu verlassen, sich durchzuschlagen?
Das erschien mir selbstverständlich... ich habe nichts anderes erwogen.
Aber Sie hatten doch erfahren, daß die Stadt durch einen Strahlengürtel abgeriegelt war. Waren Sie darüber informiert, daß die Sperre inzwischen aufgehoben war?