Die Stadt war aufgegeben, geräumt. Es befanden sich keine Menschen mehr hier, es gab nichts zu schützen. Eine Sperre war sinnlos geworden.
Haben Sie sich mit dem Geigerzähler davon überzeugt, daß die Strahlung aufgehört hatte?
Nein.
Wie kamen Sie durch die Wand der Kuppel?
Ich fand eine gesprengte Öffnung – offenbar jene des Trupps, den der Oberst ausgeschickt hatte.
Sie hatte sich nicht wieder geschlossen?
Nein.
Bemerkten Sie Spuren von Menschen?
Die Zerstörungen waren deutlich genug.
Ich meine Spuren von lebenden Menschen.
Nein.
Haben Sie nach Menschen gesucht?
Ich bin nachts gewandert, um nicht gesehen zu werden. Ich besaß Vorräte.
Hatten Sie keine Hoffnung mehr, die Angehörigen Ihres Teams noch am Leben zu finden?
Von Zeit zu Zeit schaltete ich den Sender ein – im Äther herrschte absolute Stille. Nicht einmal ein Hintergrundrauschen. Die Abschirmung war absolut.
War das nicht ein Widerspruch zu Ihrer Annahme, man hätte die Strahlungssperre aufgehoben?
Darüber habe ich nicht nachgedacht.
Wieviel Tage vergingen, bis Sie mit uns Verbindung aufnehmen konnten?
Vor der Stadtgrenze fand ich einen unversehrten Ballonwagen. Ich belud ihn mit Treibstoff – es gab genug davon. Nur die Nahrungsmittel waren knapp, und das Wasser. Die letzten Tage trank ich vom Kühlwasser. Ich brauchte zehn oder elf Tage, genau weiß ich es nicht mehr. Ich hatte nichts mehr zu essen und trank immer wieder Kühlwasser. Der Motor wurde rasch heiß, doch ich achtete genau auf die Temperatur. Zuletzt konnte ich immer nur zehn Minuten fahren, mußte lange Pausen einlegen. Die Sonne brannte, es regnete nie. Ich überlegte, ob ich den letzten Wasservorrat entnehmen und zu Fuß weitergehen sollte. Ich zapfte das Wasser ab und hatte wieder etwas Vorrat. Dann kam ich auf die Idee, Kerosin in den Kühlwassertank zu schütten. Ich wußte, was ich riskierte. Aber es ging – die Kühlung funktionierte wieder besser. Wenn ich langsam fuhr, konnte ich längere Strecken überwinden. Bis der Tank plötzlich explodierte. Ich ließ mich seitlich aus dem Wagen hinausfallen. Unter der Motorhaube schlug eine Stichflamme heraus. Der Wagen fuhr weiter, eine Fackel. Er brannte aus. Ich ging zu Fuß weiter. Zwischendurch hatte ich immer wieder versucht, Funkverbindung aufzunehmen. Ich hatte nur noch wenig Hoffnung, aber für mich stand fest: Ich würde mich solange weiterschleppen, als es möglich war. Dann auf einmal normale Funkgeräusche, Stimmen, Musik. Ich rief auf unserer Welle und erhielt Antwort. Eine Stunde später holte mich ein Hubschrauber ab.
Wir kommen noch einmal auf Ihre Erlebnisse in der Zentrale zurück. Vielleicht bilden sie den Schlüssel zum ganzen Geschehen, vielleicht haben sie auch keinerlei Bedeutung. Wie stehen Sie dazu? Meinen Sie, daß es sich um wirkliche Vorfälle gehandelt hat oder daß Sie einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen sind?
Ich weiß nicht, ob man diese Frage so eindeutig beantworten kann.
Sie müssen sich doch irgendein Urteil gebildet haben.
Ich würde es nicht als Täuschung bezeichnen.
Was Sie und andere an den Projektionswänden erlebten, waren doch offenbar künstlich gelenkte Halluzinationen.
In meinem Fall gab es gewisse Unterschiede. Wie meine Kameraden feststellten, befand ich mich nicht mehr in dem Raum, den ich aufgesucht hatte.
Man kann Sie in ein anderes Zimmer gebracht haben. Offenbar gab es verborgene Wege – hinter der Wandverkleidung befand sich ein ganzes System von Maschinen- und Transportanlagen.
Wozu hätte man mich in einen anderen Raum bringen sollen? Und meine Rückkehr? – Ich kam aus einem unterirdischen Kanal, ich stieg aus einem Bathyskop.
Das ist es eben, was zu bezweifeln ist – genausogut könnte es sich um Fieberphantasien gehandelt haben, die Ihnen lebensecht erschienen. Wir können es nicht nachprüfen. Die Stadt ist inzwischen nur noch eine flache Erhebung aus Staub. Das Land ist wertlos, es bleibt für immer gesperrt.
Ich habe Ihnen technische Details gegeben, Schaltpläne, Programme, Informationen über Maschinensprachen. Sicher haben Sie alles geprüft. Hat sich irgendwo ein Widerspruch ergeben?
Ob Täuschung oder Wirklichkeit, wesentlich für uns ist, daß Sie eine Wandlung durchgemacht haben, die uns bedenklich erscheint.
Bin ich nicht gesund? Ich fühle mich wohl.
Sie wären mit Ihrer Aufgabe nie betraut worden, wenn wir nicht den Eindruck gehabt hätten, daß Sie unser politisches System und die Philosophie, auf der es aufbaut, ohne Vorbehalte akzeptieren. Ihre Antworten erwecken den Eindruck, daß das nicht mehr so ist. Wir fragen uns, ob Sie nicht einem Einfluß unterlagen, der in Ihnen Zweifel geweckt hat. Wir fragen uns weiter, ob von solchen Zweifeln nicht eine zersetzende Kraft ausgeht.
Meine Einstellung hat sich nicht geändert... ich habe mein Leben eingesetzt, um zurückzukehren.
Sie haben ein gesellschaftliches System höchst ungewöhnlicher Art geschildert, ein System, das von einer Demokratie himmelweit entfernt ist, und trotzdem haben wir keine Abwehrreaktion verzeichnet, weder in Ihrer Ausdrucksweise, noch über die Kontrollgeräte. Wäre es so gekommen, wie wir es geplant hatten – hätten wir die Stadt besetzt, dann wäre es Ihre Aufgabe gewesen, die Bevölkerung über die Kommunikationsmittel von unseren Absichten zu überzeugen und zur Mitarbeit zu bringen... wir fragen uns, ob Sie noch imstande gewesen wären, diese Aufgabe zu bewältigen.
Es muß Ihnen doch aufgefallen sein, daß hier die Verhältnisse ganz anders lagen als bei den bisherigen Befreiungsaktionen. Hier hatten wir es nicht mit einem System zu tun, das Freiheiten entzieht und die Entwicklung hemmt, sondern mit einem, das uns weit voraus war, dessen Prinzipien aber durchaus im Einklang mit unseren standen. Vieles war schon verwirklicht, was wir erst anstreben – Gesundheit, Sicherheit, Zutritt zu jeder Art von Wissen. Sie verfügten über alle denkbaren materiellen Güter. Sie hatten keine Furcht, nicht einmal vor dem Tod. Und in vielen Belangen, in denen bei uns notgedrungen noch Zwang ausgeübt werden muß, hatten sie eine Lösung gefunden. Sie kannten kein Geld, keinen Handel, sie zwangen niemanden zu lernen, zu arbeiten.
Sie scheinen darin etwas Wünschenswertes zu sehen! Merken Sie nicht, daß die Zustände, wie Sie sie schildern, nur eine armselige Karikatur unserer Ideale sind?
Sind es nicht die Ziele unseres eigenen Fortschritts?
Mehrere Nächte arbeitete er; in Kauerstellung, hinter dem Tisch verborgen, ohne Licht, stets bemüht, kein Geräusch zu verursachen. Mit Papierservietten strich er die Lösung an die Wand, dann kratzte er mit einer Wundschere, die er im Behandlungsraum entwendet hatte, Schicht um Schicht beiseite. Die Masse wurde nach innen zu härter. Nur langsam kam er tiefer.
Er bemühte sich, den Kunststoff gleichmäßig abzuheben – er wollte nicht an einer Stelle durchstoßen, solange nicht über das ganze Oval hinweg Aussicht dafür bestand. Zwar hatte er noch nichts davon bemerkt, daß man das Bauwerk auf Beschädigungen untersuchte, aber wenn es der Zufall wollte und ein Posten das Loch entdeckte, wären seine Chancen dahin gewesen.
Er brauchte nicht viel zu sehen. Der schwache Schein der Außenbeleuchtung, der durchs Fenster fiel, genügte. Außerdem ließ sich nun die Umrandung des ovalen Flächenstücks, das er herauszuschneiden beabsichtigte, als gleichmäßig tiefe Kerbe ertasten.
Einmal wäre er fast überrascht worden. Er hörte Schritte, schob den Tisch an die Wand, warf sich ins Bett... die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Der Schein einer Taschenlampe gaukelte durchs Zimmer. Unter der Decke durchblinzelnd erkannte er die Silhouette des Arztes. Er wagte sich nicht zu bewegen... einige Zeit hindurch war es still, nur der Lichtschein wanderte. Dann schloß sich leise die Tür.