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»Ja, Ma'am.«

In der Vergangenheit hatte Jennifer im Büro Peabody immer nur mit Sekretärinnen und Praktikanten zu tun gehabt. Es war eine große, angesehene Kanzlei, eine, in die jeder junge Anwalt für sein Leben gern eingetreten wäre. Auf dem Weg zu der Verabredung begann Jennifer zu phantasieren. Wenn Mr. Peabody persönlich sie sehen wollte, mußte es sich um etwas Wichtiges handeln. Vielleicht hatte er eine Erleuchtung gehabt und wollte ihr einen Job in seiner Kanzlei anbieten, um ihr die Chance zu geben, zu zeigen, was sie konnte. Sie würde alle in Erstaunen setzen. Vielleicht würde es eines Tages sogar Peabody, Peabody & Parker heißen.

Jennifer wartete eine halbe Stunde im Flur vor dem Büro, ehe sie um punkt elf Uhr den Empfangsraum betrat. Sie wollte nicht zu willfährig wirken. Man ließ sie zwei Stunden warten und führte sie dann ins Büro von Mr. Peabody junior. Der Anwalt war ein großer, dünner Mann im Anzug mit Weste und Schuhen, die extra für ihn in London gefertigt worden waren.

Er forderte sie nicht auf, Platz zu nehmen. »Miß Potter...« Er hatte eine unangenehme, hohe Stimme. »Parker.«

Er nahm ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch. »Dies ist eine Vorladung. Ich möchte, daß Sie sie zustellen.« In diesem Augenblick hatte Jennifer eine Ahnung, daß sie doch noch nicht in die Kanzlei aufgenommen werden würde. Mr. Peabody junior reichte Jennifer die Vorladung und sagte: »Ihr Honorar beträgt fünfhundert Dollar.« Jennifer glaubte, sich verhört zu haben. »Sagten Sie fünfhundert?«

»Das ist richtig. Natürlich nur, wenn Sie Erfolg haben.«

»Die Sache hat einen Haken«, riet Jennifer. »Nun ja«, gab Mr. Peabody junior zu. »Wir versuchen diesen Mann seit über einem Jahr vorzuladen. Sein Name ist William Carlisle. Er lebt auf einem Besitz in Long Island und setzt keinen Fuß vor die Tür. Um die Wahrheit zu sagen, vor Ihnen haben schon ein Dutzend Leute versucht, ihm einen Gerichtsbefehl zuzustellen. Er hat einen bewaffneten Butler, der ihm jeden Besucher von der Haut hält.«

Jennifer meinte: »Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich...« Mr. Peabody junior lehnte sich vor. »Bei dieser Sache steht eine ganze Menge Geld auf dem Spiel. Aber ich kann William Carlisle nicht vor den Kadi zerren, ohne ihm eine Vorladung zu schicken, Miß Potter.« Jennifer korrigierte ihn nicht. »Glauben Sie, Sie schaffen das?«

Jennifer dachte daran, was sie mit fünfhundert Dollar alles anfangen könnte. »Ich werde einen Weg finden.«

Um zwei Uhr nachmittags stand Jennifer vor dem imponierenden Besitz von William Carlisle. Das Haus in der Mitte eines mindestens zehn Morgen umfassenden, sorgfältig gepflegten Grundstücks hätte auf einer Plantage in Georgia stehen können. Eine gewundene Auffahrt endete an der Front des von anmutigen Tannen eingerahmten Hauses. Jennifer hatte lange über ihr Problem nachgedacht. Da in das Haus nicht hineinzugelangen war, mußte sie Mr. William Carlisle dazu bringen, daß er herauskam.

Einen halben Block die Straße hinunter stand der Kombi einer Gärtnerei. Jennifer betrachtete den Kombi einen Moment lang, dann begab sie sich auf die Suche nach den Gärtnern. Es waren drei Japaner, und sie arbeiteten hinter dem Kombi. Jennifer ging auf sie zu und fragte: »Wer hat hier zu entscheiden?«

Einer von ihnen richtete sich auf. »Ich.«

»Könnten Sie vielleicht eine kleine Aufgabe für mich...«, begann Jennifer.

»Nichts zu machen, Miß. Zuviel Arbeit.« »Es dauert nur fünf Minuten.« »Nein, ganz unmöglich...« »Ich zahle Ihnen hundert Dollar.« Die drei Männer starrten sie an. Der Obergärtner fragte: »Sie zahlen hundert Dollar für fünf Minuten Arbeit?« »So ist es.« »Was sollen wir tun...?«

Fünf Minuten später rollte der Kombi der Gärtnerei in die Auffahrt von William Carlisles Besitz, Jennifer und die drei Gärtner stiegen aus. Jennifer blickte sich um, entschied sich für eine wunderschöne Tanne in der Nähe der Eingangstür und sagte: »Grabt sie aus!«

Sie holten ihre Spaten aus dem Wagen und begannen zu graben. Es war noch keine Minute vergangen, da flog die Eingangstür auf, und ein riesiger Mann in einer Butleruniform stürmte heraus.

»Was, zum Teufel, tun Sie da?«

»Long Island Baumschule«, sagte Jennifer kurz. »Wir graben die ganzen Bäume aus.« Der Butler starrte sie an. »Was machen Sie?« Jennifer wedelte mit einem Blatt Papier. »Ich habe den Auftrag, die ganzen Bäume auszugraben.«

»Das ist unmöglich! Mr. Carlisle würde einen Anfall kriegen!« Er wandte sich den Gärtnern zu. »Aufhören!«

»Hören Sie, Mister«, sagte Jennifer, »ich tue nur meine Arbeit.« Sie nickte den Gärtnern zu. »Grabt weiter, Leute.«

»Nein!« schrie der Butler. »Ich sage Ihnen, das ist ein Mißverständnis! Mr. Carlisle hat niemals den Auftrag gegeben, die Bäume auszugraben.«

Jennifer zuckte die Achseln und sagte: »Mein Boß ist anderer Ansicht.«

»Wo kann ich Ihren Boß erreichen?«

Jennifer blickte auf ihre Uhr. »Er hat in Brooklyn zu tun. Gege n sechs müßte er wieder im Büro sein.« Der Butler funkelte sie wütend an. »Eine Minute! Tun Sie nichts, bis ich wieder hier bin.«

»Grabt weiter«, sagte Jennifer zu den Gärtnern. Der Butler lief ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu. Einige Sekunden später sprang sie wieder auf, und der Butler kehrte zurück, begleitet von einem kleinen Mann mittleren Alters.

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu erklären, was, zum Teufel, hier vorgeht?«

»Was geht Sie das an?« fragte Jennifer. »Ich will Ihnen sagen, was mich das angeht«, schnappte der kleine Mann. »Ich bin William Carlisle, und dies ist zufälligerweise mein Besitz.«

»In diesem Fall, Mr. Carlisle«, sagte Jennifer, »habe ich etwas für Sie.« Sie griff in die Tasche und drückte ihm die Vorladungen in die Hand. Dann wandte sie sich an die Gärtner. »Ihr könnt aufhören, zu graben.«

Am nächsten Morgen rief Adam Warner an. Jennifer erkannte seine Stimme auf Anhieb.

»Ich dachte, es würde Sie interessieren«, sagte er, »daß das Ausschlußverfahren gegen Sie offiziell eingestellt wurde. Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen.« Jennifer schloß die Augen und sprach ein stummes Dankgebet. »Ich... ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.«

»Justitia ist nicht immer blind.« Adam sagte kein Wort über den Krach, den er mit Stewart Needham und Robert Di Silva gehabt hatte. Needham war enttäuscht, hatte es aber mit philosophischer Ruhe getragen. Der Staatsanwalt dagegen hatte sich aufgeführt wie ein wütender Stier. »Sie lassen dieser Nutte das durchgehen? Herrgott im Himmel, sie gehört zur Mafia, Adam! Sind Sie denn blind? Sie hat Sie aufs Kreuz gelegt!«

Schließlich war Adam es leid gewesen, und er hatte gesagt: »Das ganze Beweismaterial gegen sie war zufällig, Robert. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort und wurde hereingelegt. Das sieht mir nicht nach Mafia aus.«

»Okay, sie bleibt also Anwältin«, hatte Di Silva endlich gesagt. »Ich hoffe nur zu Gott, daß sie in New York praktiziert, denn in dem Augenblick, in dem sie den Fuß in einen meiner Gerichtssäle setzt, werde ich sie vernichten!« Von all dem erwähnte Adam nichts. Jennifer hatte sich einen tödlichen Feind geschaffen, aber das ließ sich nicht mehr ändern. Robert Di Silva war ein rachsüchtiger Mann, und Jennifer war eine verwundbare Zielscheibe. Sie war intelligent, idealistisch und geradezu schmerzlich jung und reizend. Adam wußte, daß er sie nie wiedersehen durfte. Es gab Tage, Wochen und Monate, während deren Jennifer am liebsten alles hingeworfen hätte. Das Schild mit der Aufschrift Jennifer Parker, Rechtsanwalt, hing immer noch an der Tür, aber es führte niemanden hinters Licht, am wenigsten sie selber. Ihre Arbeit hatte nichts mit der eines Anwalts zu tun. Sie verbrachte ihre Tage damit, in Regen, Graupelschauern und Schnee herumzurennen und Vorladungen an Leute zuzustellen, die sie dafür verabscheuten. Hin und wieder übernahm sie unentgeltlich einen Fall, verhalf alten Menschen zu Essensmarken oder löste für Schwarze, Puertoricaner und andere Unterprivilegierte juristische Probleme. Aber sie fühlte sich wie in einer Falle.