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Die Nächte waren noch schlimmer als die Tage. Sie schienen endlos, denn Jennifer litt an Schlaflosigkeit, und wenn sie schließlich einschlief, hatte sie Alpträume. Die Schlaflosigkeit hatte in der Nacht begonnen, in der Jennifers Mutter sie und ihren Vater verlassen hatte, und was immer es war, das die Alpträume verursachte, Jennifer konnte es nicht vertreiben. Sie war einsam. Gelegentlich ging sie mit jungen Rechtsanwälten aus, aber unausweichlich verglich sie die Männer mit Adam Warner, und sie alle verblaßten gegen ihn. Die Abende verliefen immer gleich: man ging essen, ins Kino oder ins Theater, und dann folgte ein Ringkampf vor ihrer Wohnung. Jennifer war nie ganz sicher, ob die Männer erwarteten, daß sie mit ihnen ins Bett ging, weil sie ihr ein Essen bezahlt hatten oder weil sie vier steile Treppen hinauf- und hinuntergeklettert waren. Es gab Zeiten, in denen sie versucht war, ja zu sagen, nur um jemanden für die Nacht zu haben, jemanden, an dem sie sich festhalten konnte. Aber sie brauchte mehr im Bett als eine Sprechpuppe; sie brauchte einen Menschen, der sich um sie kümmerte, um den sie sich kümmern konnte. Die interessantesten Anträge kamen von verheirateten Männern, und Jennifer lehnte sie rundheraus ab. Sie erinnerte sich an eine Zeile aus Billy Wilders Film ›Das Appartement‹: »Wenn du in einen verheirateten Mann verliebt bist, solltest du keine Wimperntusche benutzen.« Ihre Mutter hatte die Ehe ihrer Eltern zerstört und ihren Vater getötet. Das konnte sie niemals vergessen.

Weihnachten und Silvester verbrachte Jennifer allein. Heftige Schneefälle hatten die Stadt in eine riesige Weihnachtskarte verwandelt. Jennifer wanderte durch die Straßen, sah, wie jedermann der Wärme seines Heims und seiner Familie zustrebte, und spürte ein schmerzliches Gefühl der Leere in sich aufsteigen. Sie hatte ihren Vater nie mehr vermißt. Sie war froh, als die Ferien vorüber waren. Neunzehnhundertsiebzig wird ein besseres Jahr, sagte sie sich. An ihren schlimmsten Tagen heiterte Ken Bailey sie auf. Er nahm sie zum Football in den Madison Square Garden mit, in Diskotheken oder gelegentlich ins Kino. Jennifer wußte, daß er sich von ihr angezogen fühlte und dennoch eine Schranke zwischen ihnen errichtet hatte.

Im März entschloß Otto Wenzel sich, mit seiner Frau nach Florida zu ziehen. »Meine Knochen werden zu alt für die New Yorker Winter«, erklärte er Jennifer.

»Sie werden mir fehlen.« Jennifer meinte es ehrlich. Otto Wenzel war ihr ans Herz gewachsen. »Kümmern Sie sich ein wenig um Ken.« Jennifer blickte ihn fragend an. »Er hat es Ihnen erzählt, oder?« »Was erzählt?«

Wenzel zögerte eine Sekunde. »Seine Frau hat Selbstmord begangen. Er gibt sich die Schuld daran.« Jennifer war schockiert. »Wie entsetzlich! Warum... warum hat sie das getan?«

»Sie überraschte Ken im Bett mit einem jungen Mann.«

»Oh, mein Gott!«

»Sie schoß auf Ken und richtete die Waffe dann auf sich selber. Er überlebte es, sie nicht.«

»Wie furchtbar! Ich hatte keine Ahnung, daß... daß...«

»Ich weiß. Er wirkt immer fröhlich, aber er trägt seine private Hölle mit sich herum wie ein Hund seine Kette.«

»Danke, daß Sie es mir erzählt haben.« Als Jennifer wieder im Büro war, sagte Ken: »Der gute, alte Otto wird uns also verlassen.«

»Ja.«

Bailey grinste. »Ich schätze, jetzt heißt es, jeder für sich, und wir gegen alle.«

»Das schätze ich auch.« Und irgendwie, dachte Jennifer, stimmt es sogar.

Sie sah Ken jetzt mit anderen Augen. Sie aßen zusammen zu Mittag und zu Abend, und sie konnte an nichts erkennen, daß er homosexuell war, aber sie wußte, daß Otto Wenzel ihr die Wahrheit gesagt hatte: Ken Bailey schleppte seine eigene Privathölle mit sich herum.

Gelegentlich verirrten sich ein paar Mandanten in Jennifers Büro. Sie waren im allgemeinen ärmlich gekleidet, konfus und manchmal durch und durch psychopathologische Fälle. Prostituierte baten sie, bei der Festsetzung ihrer Kaution aufzutreten, und Jennifer war erstaunt, wie jung und attraktiv einige von ihnen waren. Sie wurden eine kleine, aber regelmäßige Einkommensquelle. Jennifer konnte nicht herausfinden, wer sie zu ihr schickte. Wenn sie es Ken Bailey gegenüber erwähnte, zuckte er mit den Schultern und kümmerte sich nicht weiter darum.

Immer wenn Jennifer Klientenbesuch hatte, verschwand Ken diskret. Er war wie ein stolzer Vater, der sie ermutigte, am Ball zu bleiben.

Gelegentlich wurden ihr Scheidungsfälle angeboten, aber die lehnte sie ab. Sie konnte nicht vergessen, was einer ihrer Professoren einmal gesagt hatte: Scheidung ist für einen Anwalt, was Abtreibung für einen Arzt ist. Die meisten Scheidungsanwälte hatten einen schlechten Ruf. Wenn ein Ehepaar rot sah, rochen sie Geld. Hochkarätige Scheidungsanwälte hatten den Spitznamen Bomber, denn um einen Fall zu gewinnen, scheuten sie nicht davor zurück, juristischen Sprengstoff zu benutzen, und sie zerstörten nicht selten Mann, Frau und Kinder mit einem einzigen Knopfdruck.

Aber einige der Mandanten, die Jennifer aufsuchten, unterschieden sich so deutlich von den anderen, daß es sie verwirrte. Sie waren gut gekleidet, hatten einen Flair von Reichtum, und ihre Aufträge waren nicht von der Art der billigen Fälle, die Jennifer gewöhnlich handhabte. Es ging um Nachlaßfragen von beträchtlichem Streitwert und Prozesse, die jede renommierte Anwaltskanzlei mit Vergnügen vertreten hätte.

»Wo haben Sie von mir gehört?« fragte Jennifer regelmäßig, aber die Antworten waren ausweichend. Von einem Freund... ich habe von Ihnen gelesen... Ihr Name fiel auf einer Party. Erst als einer dieser Mandanten Adam Warner erwähnte, als er sein Problem erklärte, begriff sie. »Mr. Warner hat Sie hergeschickt, nicht wahr?« Der Klient geriet in Verlegenheit. »Nun, tatsächlich hat er gesagt, es wäre besser, ich ließe seinen Namen nicht fallen.« Jennifer entschloß sich, Adam anzurufen. Schließlich verdankte sie ihm einiges. Sie würde freundlich, aber formell sein. Natürlich würde sie ihn nicht merken lassen, daß sie ihn aus irgendeinem anderen Grund anrief, als um ihre Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. In ihrer Phantasie probte sie das Gespräch wieder und immer wieder. Als sie schließlich allen Mut zusammennahm und seine Nummer wählte, informierte seine Sekretärin sie, Mr. Warner sei in Europa und werde erst in einigen Wochen zurückerwartet. Nach dieser Enttäuschung wurde Jennifer von Niedergeschlagenheit befallen.

Sie merkte, daß sie öfter und öfter an Adam dachte. Sie erinnerte sich immer wieder an den Abend, an dem er sie in ihrem Appartement besucht und sie sich so unmöglich aufgeführt hatte. Es war großartig gewesen, wie er auf ihr kindisches Benehmen reagierte, als sie ihre Wut an ihm ausließ. Und zu allem Überfluß schickte er ihr jetzt auch noch Mandanten. Jennifer wartete drei Wochen und rief ihn dann noch einmal an. Diesmal war er in Südamerika.

»Soll ich ihm eine Nachricht ausrichten?« fragte die Sekretärin.

Jennifer zögerte. »Keine Nachricht«, sagte sie dann. Sie versuchte, nicht mehr an Adam zu denken, aber es war unmöglich. Sie fragte sich, ob er verheiratet oder verlobt sein mochte. Sie fragte sich, wie es wohl war, Mrs. Adam Warner zu sein. Und sie fragte sich, ob sie den Verstand verloren hatte.

Gelegentlich stieß sie in den Zeitungen auf den Namen Michael Moretti. Im New Yorker stand eine Hintergrundgeschichte über Antonio Granelli und die östlichen Mafia-Familien. Es hieß, mit Granellis Gesundheit gehe es abwärts, und Moretti bereite sich darauf vor, sein Reich zu übernehmen. Life brachte eine Story über Michael Morettis Lebensstil, an deren Ende der Moretti-Prozeß erwähnt wurde. Camillo Stela saß in Leavenworth hinter Gittern, während Michael Moretti frei herumlief. Der Artikel erinnerte die Leser daran, wie Jennifer Parker den Fall zum Platzen gebracht hatte, der für Moretti Gefängnis oder elektrischen Stuhl bedeutet hätte. Jennifers Magen kribbelte, als sie den Artikel las. Der elektrische Stuhl? Sie selber hätte Moretti mit Freuden unter Strom gesetzt.