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Von Anfang an war Michael sehr vorsichtig im Umgang mit Rosa. Wenn es ihm gelang, mit ihr allein zu sein, tauschten sie glühende Küsse und Umarmungen aus, aber er ließ es nie zu weit kommen. Rosa war Jungfrau, und nichts hätte sie lieber getan, als sich dem Mann, den sie liebte, hinzugeben. Es war Michael, der die Bremse zog.

»Ich empfinde zu tiefen Respekt für dich, Rosa, um vor unserer Hochzeit mit dir ins Bett zu gehen.« In Wirklichkeit war es Antonio Granelli, den er respektierte. Er würde mir die Eier abhacken, dachte er. Und so geschah es, daß zum gleichen Zeitpunkt, als Antonio Granelli über die beste Möglichkeit, Michael loszuwerden, nachdachte, Rosa und Michael erklärten, sie seien ineinander verliebt und wollten heiraten. Der alte Mann schrie und tobte und nannte hundert Gründe, warum das nur über jemandes Leiche passieren würde. Aber am Ende siegte die wahre Liebe, und Michael und Rosa feierten eine prunkvolle Hochzeit. Nach der Hochzeit hatte der alte Mann Michael beiseite genommen. »Rosa ist alles, was ich habe, Michael. Du wirst gut zu ihr sein, nicht?«

»Das werde ich, Tony.«

»Ich lasse dich nicht aus den Augen. Du tätest gut daran, sie glücklich zu machen. Du verstehst, was ich sagen will, Mike?«

»Ich weiß, was du meinst.«

»Keine Nutten, keine Flittchen, verstanden? Rosa kocht gern. Achte darauf, jeden Abend zum Essen zu Hause zu sein. Du wirst ein Musterschwiegersohn sein, auf den man stolz sein kann.«

»Ich werde mein Bestes tun, Tony.«

Nebenbei hatte Antonio Granelli noch gesagt: »Ach, wo wir gerade dabei sind, Mike - jetzt bist du Mitglied der Familie, und wir sollten vielleicht deinen Anteil ändern...« Michael hatte ihm auf die Schulter geklopft. »Danke, Papa, aber es ist genug für uns beide. Ich werde Rosa alles kaufen können, was sie haben möchte.« Und er war gegangen, während der alte Mann ihm sprachlos nachstarrte.

Das war sieben Jahre her, und die folgenden Jahre waren für Michael phantastisch gewesen. Rosa vergötterte ihn, und es ließ sich angenehm und leicht mit ihr leben, aber Michael wußte, daß er es überleben würde, wenn sie ihn verließe oder stürbe. Er würde einfach jemand anderen finden, der Rosas Stelle einnehmen konnte. Er liebte sie nicht. Er glaubte nicht einmal, daß er fähig war, überhaupt ein menschliches Wesen lieben zu können; es schien, als fehlte etwas in ihm. Er brachte Menschen keine Gefühle entgegen, nur Tieren. Zu seinem zehnten Geburtstag hatte er einen Colliewelpen geschenkt bekommen. Der Hund und er waren unzertrennlich. Sechs Wochen später war das Tier bei einem Unfall mit Fahrerflucht getötet worden, und als sein Vater Michael anbot, ihm einen anderen Hund zu kaufen, hatte Michael den Kopf geschüttelt. Danach hatte er nie wieder einen Hund besessen. In seiner Jugend war Michael Zeuge gewesen, wie sich sein Vater für ein paar Pennies zu Tode gerackert hatte, und er hatte beschlossen, daß es ihm nie so gehen würde. Von dem Zeitpunkt an, da er zum erstenmal von seinem berühmten Verwandten Antonio Granelli gehört hatte, wußte er, was er wollte. Es gab sechsundzwanzig MafiaFamilien in den Vereinigten Staaten, davon fünf in New York, und die seines Cousins Antonio war die mächtigste. Von frühester Kindheit an waren Geschichten über die Mafia für ihn wie ein warmer Schauer für eine Blume gewesen. Sein Vater hatte ihm von der Nacht der Sizilianischen Vesper am 10. September 1931 erzählt, als die Macht in andere Hände gelangt war. In dieser einzigen Nacht hatten die Jungtürken eine blutige Revolte inszeniert und dabei mehr als vierzig Mustache Petes ausgerottet - die ganze alte Garde, die noch aus Italien und Sizilien eingewandert war.

Michael gehörte zur neuen Generation. Er hatte das alte Gedankengut abgeschüttelt und frische Ideen entwickelt. Eine nationale Kommission von neun Männern kontrollierte inzwischen alle Familien, und Michael wußte, daß er diese Kommission eines Tages in der Tasche haben würde.

Er studierte die beiden Männer, die mit ihm am Eßzimmertisch saßen. Antonio Granelli würde noch ein paar Jahre zu leben haben, aber, mit etwas Glück, nicht mehr allzu viele. Der eigentliche Feind war Thomas Colfax. Der Anwalt war von Anbeginn gegen Michael gewesen. Im gleichen Verhältnis, in dem Michaels Einfluß bei dem Alten gewachsen war, hatte der von Colfax abgenommen.

Michael hatte mehr und mehr von seinen eigenen Männern in die Organisation gebracht, Männer wie Nick Vito, Salvatore Fiore und Joseph Colella, die ihm treu ergeben waren. Thomas Colfax war davon nicht begeistert. Als Michael wegen der Morde an den Brüdern Ramos unter Anklage gestellt wurde und Camillo Stela sich als Zeuge zur Verfügung stellte, hatte der Anwalt geglaubt, Michael endlich loszuwerden, denn der Fall des Staatsanwalts war wasserdicht. Aber Michael hatte mitten in der Nacht einen Weg aus der Falle gefunden. Um vier Uhr morgens war er zu einer Telefonzelle gegangen und hatte Joseph Colella angerufen. »In der nächsten Woche werden einige frischgebackene Anwälte im Büro des Staatsanwalts vereidigt. Kannst du mir ihre Namen besorgen?«

»Sicher, Mike. Leicht.«

»Noch was: Ruf Detroit an und sorg dafür, daß sie ein Schneewittchen einfliegen - einen ihrer Jungs, der noch nie festgenagelt worden ist.« Und Michael hängte auf.

Und dann hatte Michael Moretti im Gerichtssaal gesessen und die neuen Assistenten des Staatsanwalts beobachtet. Er sah sich jeden genau an, seine Augen wanderten von Gesicht zu Gesicht, suchten und beurteilten. Was er vorhatte, war gefährlich, aber gerade, weil es so gewagt war, konnte es funktionieren. Er hatte es mit Anfängern zu tun, die zu nervös sein würden, um viele Fragen zu stellen; im Gegenteil, sie würden begierig sein, zu helfen und hervorzustechen. Nun, einer von ihnen würde hervorstechen.

Michael hatte sich schließlich für Jennifer Parker entschieden. Es gefiel ihm, daß sie unerfahren und gespannt war und daß sie es zu verbergen suchte. Es gefiel ihm, daß sie eine Frau war und sich stärkerem Druck ausgesetzt fühlte als Männer. Als Michael seine Entscheidung getroffen hatte, drehte er sich zu einem Mann im grauen Anzug im Publikum um und deutete mit einem Kopfnicken auf Jennifer. Das war alles. Michael beobachtete, wie der Staatsanwalt sein Verhör des Hurensohns Camillo Stela zu Ende führte. Di Silva wandte sich an Thomas Colfax und sagte: Ihr Zeuge. Thomas Colfax stand auf. Wenn Sie gestatten, Euer Ehren, es ist jetzt fast Mittag. Ich würde mein Kreuzverhör gern ohne Unterbrechung durchführen. Darf ich vorschlagen, daß das Gericht sich jetzt zurückzieht und ich mein Kreuzverhör am Nachmittag durchführe? Die Verhandlung war unterbrochen worden. Jetzt oder nie! Michael sah, daß sein Mann sich wie zufällig zu den Leuten gesellte, die den Staatsanwalt umgaben. Er fügte sich in die Gruppe ein. Einige Sekunden später ging er zu Jennifer und überreichte ihr einen großen Umschlag. Michael saß bewegungslos und hielt den Atem an, versuchte Jennifer mit aller Willenskraft dazu zu bringen, daß sie den Umschlag nahm und zum Raum des Zeugen ging. Es funktionierte. Erst als er sie ohne den Umschlag zurückkommen sah, entspannte Michael Moretti sich.

Das war vor einem Jahr gewesen. Die Zeitungen hatten das Mädchen ans Kreuz geschlagen, aber das war ihr Problem. Michael hatte nicht mehr an Jennifer gedacht, bis die Zeitungen vor kurzem über den Abraham-Wilson-Prozeß berichteten. Sie gruben den alten Moretti-Fall wieder aus - und die Rolle, die Jennifer darin gespielt hatte. Sie veröffentlichten Bilder von ihr. Sie sah umwerfend aus, aber da war noch mehr an ihr - eine Aura von Unabhängigkeit, die etwas in ihm anrührte. Er hatte die Bilder lange angestarrt. Er verfolgte den Wilson-Prozeß mit steigendem Interesse. Bei der Siegesfeier nach dem Ausgang seines Falls hatte einer von Michaels Leuten, Salvatore Fiore, einen Toast ausgebracht. »Die Welt ist wieder einen gottverdammten Anwalt losgeworden.« Aber die Welt war sie nicht losgeworden, dachte Michael. Jennifer Parker war wieder im Ring und kämpfte. Er mochte das. Gestern nacht hatte er sie im Fernsehen gesehen, als sie über ihren Sieg über Di Silva sprach, und Michael hatte eine seltsame Freude empfunden.