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»Was ist mit ihr?«

»Wann zeigte sie zum erstenmal Anzeichen einer Krankheit?«

»Sie...«

»Gleich nachdem Dorothy und ich geheiratet haben«, unterbrach Herbert Hawthorne sie. »Die alte Dame konnte mich nicht ausstehen.«

Das ist wohl eher ein Beweis für ihre Vernunft, dachte Jennifer. »Ich habe die Berichte der Ärzte gelesen«, sagte Jennifer. »Sie schienen etwas tendenziös.«

»Was meinen Sie damit, tendenziös?« Sein Ton war streitsüchtig. »Damit meine ich, daß die Berichte erkennen ließen, daß die Ärzte es mit Grauzonen zu tun hatten, in denen es keine eindeutigen Kriterien gab, um das nachzuweisen, was die Gesellschaft Gesundheit nennt. Ihre Entscheidung wurde zum Teil durch das beeinflußt, was Sie und Ihre Frau ihnen über Mrs. Coopers Benehmen erzählt hatten.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich sage, daß das Ergebnis nicht eindeutig ist. Drei andere Ärzte könnten zu einem völlig anderen Schluß kommen.«

»Jetzt hören Sie mal zu«, sagte Herbert Hawthorne. »Ich habe keine Ahnung, was Sie sich da eingebildet haben, aber die alte Dame ist plemplem. Die Ärzte sagen das, und das Gericht sagt es auch.«

»Ich habe die Verhandlungsabschriften gelesen«, antwortete Jennifer. »Das Gericht hat auch angeregt, daß der Fall von Zeit zu Zeit neu betrachtet werden soll.«

Herbert Hawthorne blickte konsterniert. »Sie meinen, die lassen sie vielleicht heraus?«

»Sie werden sie herauslassen«, versprach Jennifer. »Ich werde dafür sorgen.«

»Warten Sie einen Moment! Was, zum Teufel, geht hier vor?«

»Genau das möchte ich herausfinden.« Jennifer wandte sich an das Mädchen. »Ich habe mir die Krankheitsgeschichte Ihrer Mutter angesehen. Sie war immer gesund, sowohl geistig wie auch psychisch. Sie...«

Herbert Hawthorne unterbrach sie. »Das besagt noch gar nichts! Diese Dinge können ganz plötzlich entstehen. Sie...«

»Außerdem«, fuhr Jennifer an Dorothy gewandt fort, »habe ich mich mit den sozialen Aktivitäten Ihrer Mutter beschäftigt. Sie führte ein völlig normales Leben.«

»Mir ist scheißegal, was Sie oder sonst jemand sagen. Die Alte ist verrückt!« schrie Herbert Hawthorne. Jennifer betrachtete ihn einen Augenblick. »Haben Sie Mrs. Cooper aufgefordert, Ihnen das Vermögen zu überantworten?«

»Das geht Sie überhaupt nichts an!«

»Sie werden schon sehen, wieviel mich das angeht. Ich denke, für heute ist alles gesagt.« Jennifer bewegte sich auf die Tür zu.

Herbert Hawthorne sprang ihr in den Weg. »Warten Sie einen Augenblick! Sie stecken Ihre Nase in Sachen, die Sie nichts angehen. Sie wollen für sich selber einen kleinen Schnitt machen, oder? Okay, dafür habe ich Verständnis, Schätzchen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich gebe Ihnen hier und jetzt einen Scheck über tausend Dollar für geleistete Dienste, und Sie vergessen die ganze Geschichte. Okay?«

»Tut mir leid«, sagte Jennifer. »Ich bin nicht käuflich.«

»Sie glauben, die alte Dame bezahlt Ihnen mehr?«

»Nein«, sagte Jennifer und blickte ihm in die Augen. »Von uns beiden geht es hier nur einem um Geld.«

Es dauerte sechs Wochen voller Anhörungen, psychiatrischer Konsultationen und Besprechungen mit vier verschiedenen Behörden. Jennifer stützte sich auf Psychiater ihrer eigenen Wahl, und als ihre Untersuchungen abgeschlossen waren und Jennifer alle ihr zur Verfügung stehenden Fakten auf den Tisch gelegt hatte, hob der Richter seine frühere Entscheidung auf. Helen Cooper wurde entlassen un d ihr Vermögen wieder unter ihre Verfügung gestellt.

Am Morgen von Mrs. Coopers Entlassung rief sie Jennifer an. »Ich möchte Sie ins 21 zum Essen einladen.« Jennifer blickte auf ihren Kalender. Sie hatte einen ausgebuchten Vormittag, eine Verabredung zum Mittagessen, und am Nachmittag mußte sie im Gericht sein, aber sie wußte, wieviel diese Geste der alten Frau bedeutete. »Einverstanden«, sagte Jennifer.

Helen Coopers Stimme klang erfreut. »Wir werden eine kleine Feier veranstalten.«

Das Essen verlief sehr angenehm. Mrs. Cooper war eine sorgfältige Gastgeberin und offensichtlich gut bekannt im 21. Jerry Berns begleitete sie zu einem Tisch im ersten Stock, wo sie in der Gesellschaft wunderschöner Antiquitäten und georgianischer Silberarbeiten speisten. Essen und Service waren überwältigend.

Helen Cooper wartete, bis sie beim Kaffee angelangt waren. Dann sagte sie zu Jennifer: »Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, meine Liebe. Ich weiß nicht, wie hoch Ihre Rechnung ausfallen wird, aber ich möchte Ihnen etwas mehr geben.«

»Meine Gebühren sind hoch genug.«

Mrs. Cooper schüttelte den Kopf. »Das spielt keine Rolle.« Sie beugte sich vor, schloß Jennifers Hand in die ihre und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Ich werde Ihnen den Staat Wyoming schenken.«

17

Die Titelseite der New York Times erschien mit zwei Aufmachern nebeneinander. Einer verkündete, daß Jennifer Parker einen Freispruch für eine Frau erreicht hatte, die des Mordes an ihrem Mann angeklagt war. Der andere war ein Artikel über Adam Warners Kandidatur für den Senat der Vereinigten Staaten.

Jennifer las die Story über Adam wieder und immer wieder. Sie enthielt seine Lebensgeschichte, berichtete über seine Leistungen als Pilot im Vietnamkrieg und führte seine Tapferkeitsauszeichnungen auf. Sie war voll des Lobes und enthielt Zitate von einer Anzahl prominenter Politiker, die der Meinung waren, Adam Warner würde dem Senat und der ganzen Nation zur Ehre gereichen. Am Ende des Artikels hieß es, ein siegreicher Wahlkampf werde Adam gewiß den Weg zur Präsidentschaftskandidatur ebnen.

Michael Moretti und sein Schwiegervater beendeten ihr Frühstück auf Antonio Granellis Farm in New Jersey. Michael las den Artikel über Jennifer Parker.

Er blickte auf und sagte zu seinem Schwiegervater: »Sie hat es schon wieder geschafft, Tony.«

Antonio Granelli schob sich einen Löffel Rührei in den Mund. »Wer hat was schon wieder geschafft?«

»Diese Anwältin. Jennifer Parker. Sie ist ein Naturtalent.« Antonio Granelli grunzte. »Ich mag den Gedanken nicht, daß Frauen für uns arbeiten. Frauen sind schwach. Du weißt nie, was ihnen gerade einfällt.«

Michael sagte vorsichtig: »Du hast recht. Eine Menge Frauen sind unberechenbar, Tony.«

Es lohnte sich nicht, seinem Schwiegervater zu widersprechen. Solange Antonio Granelli lebte, war er gefährlich; aber wenn er ihn betrachtete, wußte Michael, daß er nicht mehr lange warten mußte. Der alte Mann hatte eine Reihe leichter Schlaganfälle hinter sich, und seine Hände zitterten. Er hatte Schwierigkeiten beim Sprechen, und beim Gehen brauchte er einen Stock. Seine Haut erinnerte an trockenes, gelbes Pergament. Er war saft- und kraftlos geworden. Der Mann, den die FBI-Agenten zum Staatsfeind Nummer eins erklärt hatten, war ein zahnloser Tiger. Sein Name hatte zahllose Mafiosi in Angst und Schrecken versetzt, ihre Witwen mit Haß erfüllt. Jetzt sahen nur noch wenige Menschen Antonio Granelli von Angesicht zu Angesicht. Er versteckte sich hinter Michael, Thomas Colfax und ein paar anderen, denen er vertraute. Michael war noch nicht zum Oberhaupt der Familie ernannt worden, aber es war nur eine Frage der Zeit. »Drei-Finger-Brown« Lucchese war der mächtigste der fünf Mafia-Häuptlinge an der Ostküste gewesen, dann Antonio Granelli und bald... Michael konnte es sich leisten, Geduld zu haben. Er hatte einen weiten, weiten Weg hinter sich gebracht, seit er als frecher, unverdorbener Junge vor den wichtigsten Dons von New York gestanden und mit einem brennenden Stück Papier in der Hand geschworen hatte: »So werde auch ich verbrennen, wenn ich die Geheimnisse der Cosa Nostra verrate.«

Jetzt, beim Frühstück mit dem alten Mann, sagte er: »Vielleicht könnten wir die Parker für kleine Sachen gebrauchen. Nur, um zu sehen, wie sie sich anstellt.« Granelli zuckte mit den Schultern. »Sei vorsichtig, Mike. Ich möchte nicht, daß Fremde mit Familiengeheimnissen zu tun haben.«