Wenn ich mich recht erinnere! Jennifer hätte ihr Leben darauf verwettet, daß Patrick Maguire jede Statistik aus diesem Fall auswendig kannte. »Ich werde mich um einen neuen Prozeß bemühen.« »Wirklich? Auf welcher Grundlage?« fragte Maguire höflich.
Jennifer öffnete ihren Diplomatenkoffer und nahm das Memorandum heraus, das sie vorbereitet hatte. Sie reichte es Maguire.
»Ich verlange eine Wiederaufnahme wegen unterlassener Information der klagenden Partei.«
Maguire blätterte die Papiere durch, unbeeindruckt. »Oh, ja«, meinte er. »Diese Bremsengeschichte.«
»Sie wußten davon?«
»Natürlich.« Er tippte den Ordner mit einem stämmigen Finger an. »Miß Parker, damit kommen Sie nicht weit. Sie müßten beweisen, daß genau der Lastwagen, der in den Unfall verwickelt war, ein defektes Bremssystem hatte. Er wurde aber inzwischen schon ein dutzendmal überholt, so daß Sie kaum beweisen können, in welcher Verfassung er damals war.« Er schob ihr den Ordner wieder zu. »Sie haben nichts in der Hand.«
Jennifer nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. »Ich brauche nur nachzuweisen, was der schlechte Zustand dieser Wagen in den letzten Jahren für Unfälle herbeigeführt hat. Ganz gewöhnliche Sorgfalt hätte Ihrem Mandanten klarmachen
müssen, daß sie defekt waren.« Maguire fragte beiläufig: »Was schlagen Sie vor?« »Ich habe eine Mandantin von Anfang Zwanzig, die in einem Zimmer sitzt, das sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr verlassen kann, weil sie weder Arme noch Beine hat. Ich bin auf einen Vergleich aus, der sie wenigstens etwas für die Qual entschädigt, die sie durchleidet.
Patrick Maguire nahm einen Schluck Kaffee. »Was für eine Vorstellung haben Sie da?« »Zwei Millionen Dollar.«
Er lächelte. »Das ist eine ganze Menge Geld für jemanden mit leeren Händen.«
»Wenn ich vor Gericht gehe, Mr. Maguire, dann habe ich keine leeren Hände, das verspreche ich Ihnen. Und ich werde eine ganze Menge mehr als das gewinnen. Wenn Sie uns zwingen, zu klagen, dann werden wir fünf Millionen Dollar verlangen.«
Wieder lächelte er. »Sie jagen mir ganz schön Angst ein. Noch etwas Kaffee?« »Nein, danke.« Jennifer stand auf.
»Warten Sie einen Augenblick. Setzen Sie sich, bitte. Ich habe noch nicht nein gesagt.«
»Sie haben auch nicht ja gesagt.«
»Trinken Sie noch etwas Kaffee. Wir kochen ihn selber.« Jennifer dachte an Adam und den Kenya-Kaffee. »Zwei Millionen Dollar sind viel Geld, Miß Parker.« Jennifer schwieg.
»Ich meine, wenn wir über einen geringeren Betrag sprächen, könnte ich vielleicht...» Er fuchtelte ausdrucksvoll mit den Händen herum. Jennifer schwieg immer noch.
Schließlich sagte Patrick Maguire: »Sie wollen wirklich zwei Millionen, wie?«
»In Wirklichkeit will ich fünf Millionen, Mr. Maguire.«
»In Ordnung. Ich nehme an, da läßt sich was arrangieren.« Das war leicht!
»Ich muß morgen nach London fliegen, aber ich bin in der nächsten Woche wieder hier.«
»Ich möchte diese Sache abschließen. Ich wüßte es sehr zu schätzen, wenn Sie so bald wie möglich mit Ihrem Mandanten sprechen würden. Ich möchte meiner Klientin gern in der nächsten Woche einen Scheck geben können.« Patrick Maguire nickte. »Das läßt sich eventuell einrichten.« Auf dem ganzen Weg zurück ins Büro fühlte Jennifer sich unwohl. Es war zu einfach gewesen.
Am Abend auf dem Nachhauseweg kaufte sie eine Kleinigkeit in einem Drugstore. Als sie herauskam und über die Straße gehen wollte, bemerkte sie Ken an der Seite eines hübschen blonden Mannes. Sie zögerte, dann trat sie in eine Seitenstraße, um nicht gesehen zu werden. Kens Privatleben war seine Sache.
An dem Tag, an dem sie mit Patrick Maguire verabredet war, erhielt Jennifer einen Anruf von seiner Sekretärin. »Mr. Maguire bat mich, ihn bei Ihnen zu entschuldigen, Miß Parker. Er ist heute den ganzen Tag in Besprechungen. Aber es würde ihn freuen, sich morgen mit Ihnen zu treffen, wenn es Ihnen paßt.«
»Gut«, sagte Jennifer. »Danke.«
Der Anruf ließ eine Alarmglocke in ihrem Kopf schrillen. Ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen. Patrick Maguire hatte etwas vor.
»Keine Anrufe mehr«, ließ Jennifer Cynthia wissen. Dann schloß sie sich in ihrem Raum ein, ging unruhig auf und ab und versuchte herauszufinden, was sie übersehen hatte. Zuerst hatte Patrick Maguire sie glauben machen wollen, sie hätte nichts in der Hand. Dann mußte er gar nicht groß überredet werden und willigte ein, Connie Garrett zwei Millionen Dollar zu bezahlen. Jennifer dachte daran, wie unwohl sie sich in dem Augenblick gefühlt hatte. Seit jenem Zeitpunkt war Patrick Maguire nicht zu erreichen gewesen. Zuerst London - falls er überhaupt dort gewesen war - und dann die Konferenzen, die ihn die ganze Woche daran gehindert hatten, Jennifers Anrufe zu erwidern. Und jetzt eine weitere Verzögerung. Aber warum? Der einzige Grund konnte darin liegen, daß... Jennifer blieb plötzlich stehen, hob den Hörer des Hausapparats ab und rief Dan Martin an. »Könntest du einmal nachsehen, wann genau Connie Garretts Unfall war, Dan? Ich muß wissen, wann das Verjährungsgesetz in Kraft tritt.« Zwanzig Minuten später betrat Dan Martin Jennifers Büro. Sein Gesicht war weiß.
»Wir haben es verpatzt«, sagte er, »deine Ahnung war richtig. Heute war der letzte Tag, an dem wir noch etwas hätten unternehmen können.«
Jennifer fühlte sich plötzlich krank. »Bist du sicher?«
»Ja. Es tut mir leid, Jennifer. Einer von uns hätte das vorher überprüfen müssen. Ich - ich habe nicht daran gedacht.«
»Ich auch nicht.« Jennifer wählte eine Nummer. »Patrick Maguire, bitte. Jennifer Parker.«
Sie wartete eine halbe Ewigkeit, dann sagte sie strahlend in den Hörer: »Hallo, Mr. Maguire, wie war's in London?« Sie lauschte. »Nein, ich war noch nie da... ja, wer weiß, irgendwann vielleicht einmal... Der Grund, aus dem ich anrufe«, fuhr sie beiläufig fort, »ist Connie Garrett. Ich habe gerade mit ihr gesprochen. Wie ich schon sagte, will sie nur vor Gericht gehen, wenn sie unbedingt muß. Deshalb dachte ich, wenn wir heute zu einer Übereinkunft...«
Patrick Maguires Lachen schien den Hörer sprengen zu wollen. »Netter Versuch, Miß Parker. Heute tritt das Verjährungsgesetz in Kraft. Niemand wird mehr irgend jemanden verklagen. Wenn Sie sich mit einem Mittagessen irgendwann zufriedengeben, können wir gern ein wenig über den launischen Finger des Schicksals plaudern.« Jennifer versuchte, ihren Ärger nicht durchklingen zu lassen, als sie sagte: »Das war ein ziemlich mieser Trick, Freundchen.«
»Wir leben in einer ziemlich miesen Welt, Freundchen«, erwiderte Maguire und lachte in sich hinein. »Es geht nicht darum, wie man spielt - es geht darum, zu gewinnen oder nicht, richtig?«
»Sie sind nicht schlecht, Schätzchen, aber ich bin schon etwas länger im Geschäft als Sie. Sagen Sie Ihrer Mandantin, ich wünsche ihr mehr Glück beim nächsten Mal.« Und er hängte auf. Jennifer starrte den Hörer in ihrer Hand an. Sie dachte an Connie Garrett. Jennifers Herz begann zu schlagen, und ein feiner Schweißfilm bildete sich auf ihrer Stirn. Sie nahm ein Aspirin aus der Schublade und blickte auf die Uhr an der Wand. Es war vier. Sie hatten nur bis fünf Uhr Zeit, um ihren Antrag beim Obersten Gerichtshof einzureichen. »Wie lange würde es dauern, den Antrag zu formulieren?« fragte Jennifer Dan Martin, der mit ihr litt. Er folgte ihrem Blick. »Mindestens drei Stunden. Wenn nicht vier. Es gibt keine Möglichkeit.« Es muß eine geben, dachte Jennifer.
Sie fragte: »Hat Nationwide Motors nicht überall in den Vereinigten Staaten Filialen?«
»Ja.«
»In San Francisco ist es erst ein Uhr. Wir könnten dort gegen sie klagen und später eine Verlegung des Gerichtsstandes beantragen.«
Dan Martin schüttelte den Kopf. »Jennifer, alle Unterlagen sind hier. Selbst wenn wir eine Kanzlei in San Francisco fänden und sie darüber ins Bild setzen könnten, was wir erreichen wollen, damit sie dort neue Unterlagen vorbereiten - selbst dann haben wir keine Chance, die Maschine vor fünf Uhr in Gang zu setzen.«